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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Allegorien der Grabmäler und Altäre.
und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen dar-
stellen, welche dasjenige empfinden was sie vorstellen, allein er muss
diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Gestalt hin-
durchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur sie unbe-
denklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein, der sich
durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern pflegt.
Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Idealfiguren
dieses Styles, wenn sie aber auffahren, springen, einander an den
Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt diess unfehlbar
lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche Handeln
ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss sich zu-
frieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein verleihen kann.

Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagramen-
tales, wo fast lauter allegorische Personen handeln und welche doch
den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der Leser
steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spanischen
Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie, welche
schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifellose
Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte und die uns für
den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berninesken das
ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen. Sodann sind
es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen, nicht einzelne
in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es der Phantasie
des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dichters mit der edel-
sten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem Beschauer auf-
dringt was sie vorräthig hat. -- Übrigens empfindet man bei Rubens
bisweilen eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der Allegorie
wie bei Calderon.

Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen
sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legrosa
und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesu zu Rom:
die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die Abgötterei;
die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen repräsentirt.
Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und breit als clas-
sisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders komischen
Übelstand unterliegen dabei die weiblichen Allegorien des

Allegorien der Grabmäler und Altäre.
und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen dar-
stellen, welche dasjenige empfinden was sie vorstellen, allein er muss
diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Gestalt hin-
durchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur sie unbe-
denklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein, der sich
durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern pflegt.
Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Idealfiguren
dieses Styles, wenn sie aber auffahren, springen, einander an den
Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt diess unfehlbar
lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche Handeln
ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss sich zu-
frieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein verleihen kann.

Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagramen-
tales, wo fast lauter allegorische Personen handeln und welche doch
den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der Leser
steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spanischen
Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie, welche
schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifellose
Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte und die uns für
den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berninesken das
ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen. Sodann sind
es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen, nicht einzelne
in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es der Phantasie
des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dichters mit der edel-
sten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem Beschauer auf-
dringt was sie vorräthig hat. — Übrigens empfindet man bei Rubens
bisweilen eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der Allegorie
wie bei Calderon.

Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen
sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legrosa
und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesù zu Rom:
die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die Abgötterei;
die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen repräsentirt.
Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und breit als clas-
sisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders komischen
Übelstand unterliegen dabei die weiblichen Allegorien des

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[703/0725] Allegorien der Grabmäler und Altäre. und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen dar- stellen, welche dasjenige empfinden was sie vorstellen, allein er muss diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Gestalt hin- durchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur sie unbe- denklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein, der sich durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern pflegt. Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Idealfiguren dieses Styles, wenn sie aber auffahren, springen, einander an den Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt diess unfehlbar lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche Handeln ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss sich zu- frieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein verleihen kann. Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagramen- tales, wo fast lauter allegorische Personen handeln und welche doch den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der Leser steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spanischen Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie, welche schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifellose Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte und die uns für den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berninesken das ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen. Sodann sind es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen, nicht einzelne in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es der Phantasie des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dichters mit der edel- sten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem Beschauer auf- dringt was sie vorräthig hat. — Übrigens empfindet man bei Rubens bisweilen eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der Allegorie wie bei Calderon. Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legros und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesù zu Rom: die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die Abgötterei; die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen repräsentirt. Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und breit als clas- sisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders komischen Übelstand unterliegen dabei die weiblichen Allegorien des a

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/725>, abgerufen am 11.06.2024.