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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Barocksculptur. Grabmäler.
hatte seine "Klugheit" und "Gerechtigkeit" ruhig auf dem Sarcophag
Pauls III lagern lassen, allerdings nicht mehr so unbekümmert um
den Beschauer wie Michelangelo's Tag, Nacht und Dämmerungen 1).
Seit Bernini aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine dra-
matische Scene
aufführen; ihre Stelle ist desshalb nicht mehr auf
dem Sarcophag, sondern zu beiden Seiten, wo sie stehend oder sitzend
(und dann auffahrend) ihrem Affect freien Lauf lassen können. Der
Inhalt dieses Affectes soll meist Trauer und Jammer, Bewunderung,
verehrende Ekstase um den Verstorbenen sein, was denn jeder Bild-
hauer auf seine Weise zu variiren sucht. -- Die kirchliche Decenz
verlangte jetzt eine vollständige Bekleidung, sodass an diesen Gräbern
von S. Peter die ausgesuchtesten damaligen Draperiemotive zu finden
sind. Die Bravour im Nackten entschädigte sich durch beigegebene
Putten. Daneben bringt schon Bernini -- wenn ich nicht irre, zum
erstenmal seit dem Mittelalter -- die scheussliche Allegorie des Todes
ain Gestalt eines Skelettes vor; am Grabmal Urbans VIII schreibt
dasselbe auf einen marmornen Zettel die Grabschrift zu Ende; am
Monument Alexanders VII hebt es die colossale Draperie von gelb
und braun geflecktem Marmor empor, unter welcher sich die Thür
befindet. Leider fand gerade diese "Idee" sehr eifrige Nachbeter.


Bei Anlass dieses Extremes ist von den Allegorien Einiges zu
sagen, weil sie gerade für die Sepulcralsculptur als wesentlichste Ge-
dankenquelle betrachtet wurden; auch an Altären spielen sie oft die
erste Rolle. Die Prachtgräber und Altäre Italiens sind eben so voll
von verzweifelten Versuchen, dieses Element interessant zu machen,
wie eine gewisse Gattung der damaligen Poesie. Über die Stelle der
Allegorie in der Kunst überhaupt haben wir hier nicht zu entschei-
den. Ihre Unentbehrlichkeit in allen nicht-polytheistischen Zeitaltern
und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung zugegeben,
fragt es sich nur, wesshalb sie uns bei den Berninesken so ganz be-
sonders ungeniessbar erscheint?

Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraction, haben eben
ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos

1) Die Grabtypen der Zwischenzeit siehe S. 689.

Barocksculptur. Grabmäler.
hatte seine „Klugheit“ und „Gerechtigkeit“ ruhig auf dem Sarcophag
Pauls III lagern lassen, allerdings nicht mehr so unbekümmert um
den Beschauer wie Michelangelo’s Tag, Nacht und Dämmerungen 1).
Seit Bernini aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine dra-
matische Scene
aufführen; ihre Stelle ist desshalb nicht mehr auf
dem Sarcophag, sondern zu beiden Seiten, wo sie stehend oder sitzend
(und dann auffahrend) ihrem Affect freien Lauf lassen können. Der
Inhalt dieses Affectes soll meist Trauer und Jammer, Bewunderung,
verehrende Ekstase um den Verstorbenen sein, was denn jeder Bild-
hauer auf seine Weise zu variiren sucht. — Die kirchliche Decenz
verlangte jetzt eine vollständige Bekleidung, sodass an diesen Gräbern
von S. Peter die ausgesuchtesten damaligen Draperiemotive zu finden
sind. Die Bravour im Nackten entschädigte sich durch beigegebene
Putten. Daneben bringt schon Bernini — wenn ich nicht irre, zum
erstenmal seit dem Mittelalter — die scheussliche Allegorie des Todes
ain Gestalt eines Skelettes vor; am Grabmal Urbans VIII schreibt
dasselbe auf einen marmornen Zettel die Grabschrift zu Ende; am
Monument Alexanders VII hebt es die colossale Draperie von gelb
und braun geflecktem Marmor empor, unter welcher sich die Thür
befindet. Leider fand gerade diese „Idee“ sehr eifrige Nachbeter.


Bei Anlass dieses Extremes ist von den Allegorien Einiges zu
sagen, weil sie gerade für die Sepulcralsculptur als wesentlichste Ge-
dankenquelle betrachtet wurden; auch an Altären spielen sie oft die
erste Rolle. Die Prachtgräber und Altäre Italiens sind eben so voll
von verzweifelten Versuchen, dieses Element interessant zu machen,
wie eine gewisse Gattung der damaligen Poesie. Über die Stelle der
Allegorie in der Kunst überhaupt haben wir hier nicht zu entschei-
den. Ihre Unentbehrlichkeit in allen nicht-polytheistischen Zeitaltern
und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung zugegeben,
fragt es sich nur, wesshalb sie uns bei den Berninesken so ganz be-
sonders ungeniessbar erscheint?

Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraction, haben eben
ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos

1) Die Grabtypen der Zwischenzeit siehe S. 689.
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[702/0724] Barocksculptur. Grabmäler. hatte seine „Klugheit“ und „Gerechtigkeit“ ruhig auf dem Sarcophag Pauls III lagern lassen, allerdings nicht mehr so unbekümmert um den Beschauer wie Michelangelo’s Tag, Nacht und Dämmerungen 1). Seit Bernini aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine dra- matische Scene aufführen; ihre Stelle ist desshalb nicht mehr auf dem Sarcophag, sondern zu beiden Seiten, wo sie stehend oder sitzend (und dann auffahrend) ihrem Affect freien Lauf lassen können. Der Inhalt dieses Affectes soll meist Trauer und Jammer, Bewunderung, verehrende Ekstase um den Verstorbenen sein, was denn jeder Bild- hauer auf seine Weise zu variiren sucht. — Die kirchliche Decenz verlangte jetzt eine vollständige Bekleidung, sodass an diesen Gräbern von S. Peter die ausgesuchtesten damaligen Draperiemotive zu finden sind. Die Bravour im Nackten entschädigte sich durch beigegebene Putten. Daneben bringt schon Bernini — wenn ich nicht irre, zum erstenmal seit dem Mittelalter — die scheussliche Allegorie des Todes in Gestalt eines Skelettes vor; am Grabmal Urbans VIII schreibt dasselbe auf einen marmornen Zettel die Grabschrift zu Ende; am Monument Alexanders VII hebt es die colossale Draperie von gelb und braun geflecktem Marmor empor, unter welcher sich die Thür befindet. Leider fand gerade diese „Idee“ sehr eifrige Nachbeter. a Bei Anlass dieses Extremes ist von den Allegorien Einiges zu sagen, weil sie gerade für die Sepulcralsculptur als wesentlichste Ge- dankenquelle betrachtet wurden; auch an Altären spielen sie oft die erste Rolle. Die Prachtgräber und Altäre Italiens sind eben so voll von verzweifelten Versuchen, dieses Element interessant zu machen, wie eine gewisse Gattung der damaligen Poesie. Über die Stelle der Allegorie in der Kunst überhaupt haben wir hier nicht zu entschei- den. Ihre Unentbehrlichkeit in allen nicht-polytheistischen Zeitaltern und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung zugegeben, fragt es sich nur, wesshalb sie uns bei den Berninesken so ganz be- sonders ungeniessbar erscheint? Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraction, haben eben ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos 1) Die Grabtypen der Zwischenzeit siehe S. 689.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 702. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/724>, abgerufen am 11.06.2024.