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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Barocksculptur. Werke von reinerm Ausdruck.
ausgedrückt ist So in der vielleicht besten Statue des XVII. Jahrh.,
ader H. Susanna des Duquesnoy in S. M. di Loretto zu Rom;
sie deutet mit der Linken auf die Palme, welche sie in der Rechten
hält und blickt sanft nieder. Ohne den bessern Antiken irgendwie
ebenbürtig zu sein, hätte dieses Werk doch genügen sollen, um alle
Zeitgenossen auf ihren Irrwegen zu beschämen. Oder Houttons
bheiliger Bruno (S. M. degli Angeli in Rom, Eingang ins Haupt-
schiff); hier ist im Gegensatz zu dem sonst üblichen unwahren Auf-
fahren jene demüthige, innige Carthäuser-Devotion ganz einfach dar-
gestellt, welche gleichzeitig durch die Maler Stanzioni und Le Sueur
ceinen unvergänglich schönen Ausdruck fand. Bernini's heil. Bibiana
(in der gleichnamigen stets verschlossenen Kirche) soll wenigstens
einen Anflug von ähnlichem einfachem Ernst haben.

Sodann giebt es eine Anzahl Martyrien ohne Pathos, in
welchen nicht mehr das Leiden, sondern der ruhige Augenblick des
Todes dargestellt ist. Was man auch von solchen Gegenständen --
namentlich wenn sie plastisch, ohne irgend ein sachliches Gegengewicht
vorgetragen werden -- denken möge, immerhin sind die hieher ge-
hörenden liegenden Statuen Bernini's zu seinen besten Werken zu
dzählen. So die selige Lodovica Albertoni (in S. Francesco a ripa zu
Rom, hinten links), und der nach seinem Modell von Giorgini aus-
egeführte S. Sebastian (in S. Sebastiano, links). Endlich in S. Cecilia
fzu Rom (unter dem Hochaltar) die schöne, in der Art ihres Liegens
rührende heil. Cäcilia des Stefano Maderna. Mehrere ähnliche Sta-
tuen in andern Kirchen.


Von der Bildung einzelner Gestalten gehen wir über zu den
Gruppen, deren mehrere bereits beiläufig genannt worden sind.
Eine Kunstepoche, welche so grossen Werth auf das Momentane und
Dramatische legte und in allen Künsten so sehr auf Pomp und Pracht
ausging, musste eine entschiedene Vorliebe für grosse Marmorgruppen
haben. Da ihr aber die höhern Liniengesetze gleichgültig waren neben
dem Ausdruck der Wirklichkeit und des Momentes, so mussten in
der Regel verfehlte Werke zum Vorschein kommen.

Barocksculptur. Werke von reinerm Ausdruck.
ausgedrückt ist So in der vielleicht besten Statue des XVII. Jahrh.,
ader H. Susanna des Duquesnoy in S. M. di Loretto zu Rom;
sie deutet mit der Linken auf die Palme, welche sie in der Rechten
hält und blickt sanft nieder. Ohne den bessern Antiken irgendwie
ebenbürtig zu sein, hätte dieses Werk doch genügen sollen, um alle
Zeitgenossen auf ihren Irrwegen zu beschämen. Oder Houttons
bheiliger Bruno (S. M. degli Angeli in Rom, Eingang ins Haupt-
schiff); hier ist im Gegensatz zu dem sonst üblichen unwahren Auf-
fahren jene demüthige, innige Carthäuser-Devotion ganz einfach dar-
gestellt, welche gleichzeitig durch die Maler Stanzioni und Le Sueur
ceinen unvergänglich schönen Ausdruck fand. Bernini’s heil. Bibiana
(in der gleichnamigen stets verschlossenen Kirche) soll wenigstens
einen Anflug von ähnlichem einfachem Ernst haben.

Sodann giebt es eine Anzahl Martyrien ohne Pathos, in
welchen nicht mehr das Leiden, sondern der ruhige Augenblick des
Todes dargestellt ist. Was man auch von solchen Gegenständen —
namentlich wenn sie plastisch, ohne irgend ein sachliches Gegengewicht
vorgetragen werden — denken möge, immerhin sind die hieher ge-
hörenden liegenden Statuen Bernini’s zu seinen besten Werken zu
dzählen. So die selige Lodovica Albertoni (in S. Francesco a ripa zu
Rom, hinten links), und der nach seinem Modell von Giorgini aus-
egeführte S. Sebastian (in S. Sebastiano, links). Endlich in S. Cecilia
fzu Rom (unter dem Hochaltar) die schöne, in der Art ihres Liegens
rührende heil. Cäcilia des Stefano Maderna. Mehrere ähnliche Sta-
tuen in andern Kirchen.


Von der Bildung einzelner Gestalten gehen wir über zu den
Gruppen, deren mehrere bereits beiläufig genannt worden sind.
Eine Kunstepoche, welche so grossen Werth auf das Momentane und
Dramatische legte und in allen Künsten so sehr auf Pomp und Pracht
ausging, musste eine entschiedene Vorliebe für grosse Marmorgruppen
haben. Da ihr aber die höhern Liniengesetze gleichgültig waren neben
dem Ausdruck der Wirklichkeit und des Momentes, so mussten in
der Regel verfehlte Werke zum Vorschein kommen.

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[700/0722] Barocksculptur. Werke von reinerm Ausdruck. ausgedrückt ist So in der vielleicht besten Statue des XVII. Jahrh., der H. Susanna des Duquesnoy in S. M. di Loretto zu Rom; sie deutet mit der Linken auf die Palme, welche sie in der Rechten hält und blickt sanft nieder. Ohne den bessern Antiken irgendwie ebenbürtig zu sein, hätte dieses Werk doch genügen sollen, um alle Zeitgenossen auf ihren Irrwegen zu beschämen. Oder Houttons heiliger Bruno (S. M. degli Angeli in Rom, Eingang ins Haupt- schiff); hier ist im Gegensatz zu dem sonst üblichen unwahren Auf- fahren jene demüthige, innige Carthäuser-Devotion ganz einfach dar- gestellt, welche gleichzeitig durch die Maler Stanzioni und Le Sueur einen unvergänglich schönen Ausdruck fand. Bernini’s heil. Bibiana (in der gleichnamigen stets verschlossenen Kirche) soll wenigstens einen Anflug von ähnlichem einfachem Ernst haben. a b c Sodann giebt es eine Anzahl Martyrien ohne Pathos, in welchen nicht mehr das Leiden, sondern der ruhige Augenblick des Todes dargestellt ist. Was man auch von solchen Gegenständen — namentlich wenn sie plastisch, ohne irgend ein sachliches Gegengewicht vorgetragen werden — denken möge, immerhin sind die hieher ge- hörenden liegenden Statuen Bernini’s zu seinen besten Werken zu zählen. So die selige Lodovica Albertoni (in S. Francesco a ripa zu Rom, hinten links), und der nach seinem Modell von Giorgini aus- geführte S. Sebastian (in S. Sebastiano, links). Endlich in S. Cecilia zu Rom (unter dem Hochaltar) die schöne, in der Art ihres Liegens rührende heil. Cäcilia des Stefano Maderna. Mehrere ähnliche Sta- tuen in andern Kirchen. d e f Von der Bildung einzelner Gestalten gehen wir über zu den Gruppen, deren mehrere bereits beiläufig genannt worden sind. Eine Kunstepoche, welche so grossen Werth auf das Momentane und Dramatische legte und in allen Künsten so sehr auf Pomp und Pracht ausging, musste eine entschiedene Vorliebe für grosse Marmorgruppen haben. Da ihr aber die höhern Liniengesetze gleichgültig waren neben dem Ausdruck der Wirklichkeit und des Momentes, so mussten in der Regel verfehlte Werke zum Vorschein kommen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/722>, abgerufen am 11.06.2024.