den lässt, ist ohnediess auch durch Mässigung der Form ein besseres Werk.
Höchst widrig ist denn die Vermischung dieses ekstatischen Aus- druckes mit einem je nach Umständen grässlichen körperlichen Leiden. Die grosse Lieblingsaufgabe, S. Sebastian, welcher nackt und dennoch ein Heiliger ist, wurde jetzt von Puget (Kirche Carig-a nano zu Genua, s. oben) in einer Weise gelöst, welche des rücksichts- losen Naturalismus jener Zeit ganz würdig war. Hatten bisher Maler und Bildhauer das körperliche Leiden des Heiligen entweder wegge- lassen (indem sie den bloss Gebundenen, noch nicht Durchschossenen abbildeten), oder doch würdig dargestellt, so windet sich hier S. Se- bastian wie ein Wurm vor Schmerzen. Das Stärkste aber bietet (ebenda) ein anderer Franzose, Claude David, in seinem S. Bartholo-b mäus; man sieht den nackten, bejahrten Athleten an einen Baumstamm gebunden, halb kniend, halb aufspringend mit schon halbgeschundener Brust; ein heranschwebender Engel zieht das hängende Stück Haut an sich und macht den Beschauer in naseweiser Art auf das Leiden des Heiligen aufmerksam.
Also lauter sehnsüchtige Devotion und Passivität, mit Güte oder Gewalt in das Momentane und Dramatische übersetzt -- diess ist der Inhalt der kirchlichen Einzelstatuen. Ein weiteres pikant gemeintes Interesse verlieh ihnen z. B. Bernini gern durch allzugrosse Bil- dung im Verhältniss zur Kleinheit der Nische (die erwähnten Sta-c tuen im Dom von Siena); die Ausgleichung liegt in gebückter, son- derbar sprungbereiter Stellung u. dgl. Zu diesem gezwungen Momen- tanen, vermeintlich Dramatischen gehört ganz consequent auch die Bildung der Attribute in demselben Verhältniss zur wirklichen Grösse wie die Figuren. Das frühere Mittelalter hatte dem heil. Laurentius nur ein kleines Röstlein, der heil. Catharina ein Rädlein in die Hand gegeben; jetzt weiss man von einer solchen andeutenden, symbolischen Darstellungsweise nichts mehr; da es sich um eine Situation handelt, an deren Gegenwärtigkeit der Beschauer glauben soll, muss Lauren- tius einen mannslangen Rost, Catharina ein Wagenrad mitbekommen; soviel gehört nothwendig mit zur Illusion.
Indess giebt es ein paar Heiligenfiguren, in welchen statt der so oft unechten Ekstase eine ruhige, sogar innig andächtige Stimmung
Martyrien. Attribute.
den lässt, ist ohnediess auch durch Mässigung der Form ein besseres Werk.
Höchst widrig ist denn die Vermischung dieses ekstatischen Aus- druckes mit einem je nach Umständen grässlichen körperlichen Leiden. Die grosse Lieblingsaufgabe, S. Sebastian, welcher nackt und dennoch ein Heiliger ist, wurde jetzt von Puget (Kirche Carig-a nano zu Genua, s. oben) in einer Weise gelöst, welche des rücksichts- losen Naturalismus jener Zeit ganz würdig war. Hatten bisher Maler und Bildhauer das körperliche Leiden des Heiligen entweder wegge- lassen (indem sie den bloss Gebundenen, noch nicht Durchschossenen abbildeten), oder doch würdig dargestellt, so windet sich hier S. Se- bastian wie ein Wurm vor Schmerzen. Das Stärkste aber bietet (ebenda) ein anderer Franzose, Claude David, in seinem S. Bartholo-b mäus; man sieht den nackten, bejahrten Athleten an einen Baumstamm gebunden, halb kniend, halb aufspringend mit schon halbgeschundener Brust; ein heranschwebender Engel zieht das hängende Stück Haut an sich und macht den Beschauer in naseweiser Art auf das Leiden des Heiligen aufmerksam.
Also lauter sehnsüchtige Devotion und Passivität, mit Güte oder Gewalt in das Momentane und Dramatische übersetzt — diess ist der Inhalt der kirchlichen Einzelstatuen. Ein weiteres pikant gemeintes Interesse verlieh ihnen z. B. Bernini gern durch allzugrosse Bil- dung im Verhältniss zur Kleinheit der Nische (die erwähnten Sta-c tuen im Dom von Siena); die Ausgleichung liegt in gebückter, son- derbar sprungbereiter Stellung u. dgl. Zu diesem gezwungen Momen- tanen, vermeintlich Dramatischen gehört ganz consequent auch die Bildung der Attribute in demselben Verhältniss zur wirklichen Grösse wie die Figuren. Das frühere Mittelalter hatte dem heil. Laurentius nur ein kleines Röstlein, der heil. Catharina ein Rädlein in die Hand gegeben; jetzt weiss man von einer solchen andeutenden, symbolischen Darstellungsweise nichts mehr; da es sich um eine Situation handelt, an deren Gegenwärtigkeit der Beschauer glauben soll, muss Lauren- tius einen mannslangen Rost, Catharina ein Wagenrad mitbekommen; soviel gehört nothwendig mit zur Illusion.
Indess giebt es ein paar Heiligenfiguren, in welchen statt der so oft unechten Ekstase eine ruhige, sogar innig andächtige Stimmung
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Martyrien. Attribute.
den lässt, ist ohnediess auch durch Mässigung der Form ein besseres
Werk.
Höchst widrig ist denn die Vermischung dieses ekstatischen Aus-
druckes mit einem je nach Umständen grässlichen körperlichen
Leiden. Die grosse Lieblingsaufgabe, S. Sebastian, welcher nackt
und dennoch ein Heiliger ist, wurde jetzt von Puget (Kirche Carig-
nano zu Genua, s. oben) in einer Weise gelöst, welche des rücksichts-
losen Naturalismus jener Zeit ganz würdig war. Hatten bisher Maler
und Bildhauer das körperliche Leiden des Heiligen entweder wegge-
lassen (indem sie den bloss Gebundenen, noch nicht Durchschossenen
abbildeten), oder doch würdig dargestellt, so windet sich hier S. Se-
bastian wie ein Wurm vor Schmerzen. Das Stärkste aber bietet
(ebenda) ein anderer Franzose, Claude David, in seinem S. Bartholo-
mäus; man sieht den nackten, bejahrten Athleten an einen Baumstamm
gebunden, halb kniend, halb aufspringend mit schon halbgeschundener
Brust; ein heranschwebender Engel zieht das hängende Stück Haut
an sich und macht den Beschauer in naseweiser Art auf das Leiden
des Heiligen aufmerksam.
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Also lauter sehnsüchtige Devotion und Passivität, mit Güte oder
Gewalt in das Momentane und Dramatische übersetzt — diess ist der
Inhalt der kirchlichen Einzelstatuen. Ein weiteres pikant gemeintes
Interesse verlieh ihnen z. B. Bernini gern durch allzugrosse Bil-
dung im Verhältniss zur Kleinheit der Nische (die erwähnten Sta-
tuen im Dom von Siena); die Ausgleichung liegt in gebückter, son-
derbar sprungbereiter Stellung u. dgl. Zu diesem gezwungen Momen-
tanen, vermeintlich Dramatischen gehört ganz consequent auch die
Bildung der Attribute in demselben Verhältniss zur wirklichen Grösse
wie die Figuren. Das frühere Mittelalter hatte dem heil. Laurentius
nur ein kleines Röstlein, der heil. Catharina ein Rädlein in die Hand
gegeben; jetzt weiss man von einer solchen andeutenden, symbolischen
Darstellungsweise nichts mehr; da es sich um eine Situation handelt,
an deren Gegenwärtigkeit der Beschauer glauben soll, muss Lauren-
tius einen mannslangen Rost, Catharina ein Wagenrad mitbekommen;
soviel gehört nothwendig mit zur Illusion.
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Indess giebt es ein paar Heiligenfiguren, in welchen statt der so
oft unechten Ekstase eine ruhige, sogar innig andächtige Stimmung
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/721>, abgerufen am 18.12.2024.
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