stellbar und könnte mit grosser Schönheit und Reinheit gegeben wer- den. Allein wenn er zur Regel wird und bald den einzigen Inhalt und Gehalt auszumachen droht, so ist er der Sculptur gefährlicher als der Malerei, welche letztere durch Farbe und Umgebung viel mehr Abwechselung und neue Motivirung hineinbringen und das Auge be- ständig von Neuem täuschen kann.
Mit einer Art von resoluter Verzweiflung geht die Sculptur an ihr Tagewerk. Sie sucht mit aller Anstrengung nach Nebengedanken; sie giebt dem Heiligen einen Putto bei, mit welchem er Conversation machen kann; sie lässt den Apostel heftig in seinem vorgestützten aBuche blättern (lehrreiche Apostelreihe von Monnot, Le Gros u. A. in bden Pfeilernischen des Laterans); Mocchi's S. Veronica (in S. Peter) cläuft eilig mit ihrem Schweisstuch; Bernini's Engel auf Ponte S. An- gelo cokettiren ganz zärtlich mit den Marterinstrumenten (der mit der Kreuzinschrift von B. eigenhändig ausgeführt); u. dgl. m. -- Im Allge- meinen aber sind und bleiben es einige wenige Motive, welche sich besonders häufig nur versteckt wiederholen. Da macht sich z. B. ein dinspirirtes Auffahren, wie aus einem Traum, bemerklich (Bernini's eStatuen in S. M. del popolo, Cap. Chigi; in der Capella del voto des Domes von Siena etc.); ein eifriges Betheuern und Schwören (Bernini's fLongin in S. Peter, auch mehrere der Ordensstifter in den Nischen gder Hauptpfeiler daselbst; unter diesen ist der S. Ignatius Loyola, von Giuseppe Rusconi, durch tiefern Ausdruck und gediegenere Aus- hführung ausgezeichnet; ganz unverzeihlich schlecht der Beato Alessan- dro Sauli von Puget, in S. M. di Carignano zu Genua, u. a. m.) Es ist noch ein Glück für den Künstler, wenn er seinen Heiligen als be- geisterten Prediger darstellen kann. (S. Peter.) Sonst findet sich namentlich ein schwärmerisches Hinsinken oder Hinknieen, theils mit igesenktem Haupt (Legros, S. Aloys Gonzaga, im rechten Querschiff von S. Ignazio zu Rom), theils mit einem solchen Blick nach oben, dass man wenig mehr als Kinnbacken und Nasenspitze bemerkt. (Eine kHauptstatue dieser Gattung, der silberne S. Ignatius von Legros, im linken Querschiff al Gesu, ist nur noch durch eine kupferversilberte lNachbildung vertreten.) Der S. Andreas des Duquesnoy, in S. Peter, welcher es beim blossen sehnsüchtigen Blick und Handgestus bewen-
Barocksculptur. Ekstasen.
stellbar und könnte mit grosser Schönheit und Reinheit gegeben wer- den. Allein wenn er zur Regel wird und bald den einzigen Inhalt und Gehalt auszumachen droht, so ist er der Sculptur gefährlicher als der Malerei, welche letztere durch Farbe und Umgebung viel mehr Abwechselung und neue Motivirung hineinbringen und das Auge be- ständig von Neuem täuschen kann.
Mit einer Art von resoluter Verzweiflung geht die Sculptur an ihr Tagewerk. Sie sucht mit aller Anstrengung nach Nebengedanken; sie giebt dem Heiligen einen Putto bei, mit welchem er Conversation machen kann; sie lässt den Apostel heftig in seinem vorgestützten aBuche blättern (lehrreiche Apostelreihe von Monnot, Le Gros u. A. in bden Pfeilernischen des Laterans); Mocchi’s S. Veronica (in S. Peter) cläuft eilig mit ihrem Schweisstuch; Bernini’s Engel auf Ponte S. An- gelo cokettiren ganz zärtlich mit den Marterinstrumenten (der mit der Kreuzinschrift von B. eigenhändig ausgeführt); u. dgl. m. — Im Allge- meinen aber sind und bleiben es einige wenige Motive, welche sich besonders häufig nur versteckt wiederholen. Da macht sich z. B. ein dinspirirtes Auffahren, wie aus einem Traum, bemerklich (Bernini’s eStatuen in S. M. del popolo, Cap. Chigi; in der Capella del voto des Domes von Siena etc.); ein eifriges Betheuern und Schwören (Bernini’s fLongin in S. Peter, auch mehrere der Ordensstifter in den Nischen gder Hauptpfeiler daselbst; unter diesen ist der S. Ignatius Loyola, von Giuseppe Rusconi, durch tiefern Ausdruck und gediegenere Aus- hführung ausgezeichnet; ganz unverzeihlich schlecht der Beato Alessan- dro Sauli von Puget, in S. M. di Carignano zu Genua, u. a. m.) Es ist noch ein Glück für den Künstler, wenn er seinen Heiligen als be- geisterten Prediger darstellen kann. (S. Peter.) Sonst findet sich namentlich ein schwärmerisches Hinsinken oder Hinknieen, theils mit igesenktem Haupt (Legros, S. Aloys Gonzaga, im rechten Querschiff von S. Ignazio zu Rom), theils mit einem solchen Blick nach oben, dass man wenig mehr als Kinnbacken und Nasenspitze bemerkt. (Eine kHauptstatue dieser Gattung, der silberne S. Ignatius von Legros, im linken Querschiff al Gesù, ist nur noch durch eine kupferversilberte lNachbildung vertreten.) Der S. Andreas des Duquesnoy, in S. Peter, welcher es beim blossen sehnsüchtigen Blick und Handgestus bewen-
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Barocksculptur. Ekstasen.
stellbar und könnte mit grosser Schönheit und Reinheit gegeben wer-
den. Allein wenn er zur Regel wird und bald den einzigen Inhalt
und Gehalt auszumachen droht, so ist er der Sculptur gefährlicher als
der Malerei, welche letztere durch Farbe und Umgebung viel mehr
Abwechselung und neue Motivirung hineinbringen und das Auge be-
ständig von Neuem täuschen kann.
Mit einer Art von resoluter Verzweiflung geht die Sculptur an
ihr Tagewerk. Sie sucht mit aller Anstrengung nach Nebengedanken;
sie giebt dem Heiligen einen Putto bei, mit welchem er Conversation
machen kann; sie lässt den Apostel heftig in seinem vorgestützten
Buche blättern (lehrreiche Apostelreihe von Monnot, Le Gros u. A. in
den Pfeilernischen des Laterans); Mocchi’s S. Veronica (in S. Peter)
läuft eilig mit ihrem Schweisstuch; Bernini’s Engel auf Ponte S. An-
gelo cokettiren ganz zärtlich mit den Marterinstrumenten (der mit der
Kreuzinschrift von B. eigenhändig ausgeführt); u. dgl. m. — Im Allge-
meinen aber sind und bleiben es einige wenige Motive, welche sich
besonders häufig nur versteckt wiederholen. Da macht sich z. B. ein
inspirirtes Auffahren, wie aus einem Traum, bemerklich (Bernini’s
Statuen in S. M. del popolo, Cap. Chigi; in der Capella del voto des
Domes von Siena etc.); ein eifriges Betheuern und Schwören (Bernini’s
Longin in S. Peter, auch mehrere der Ordensstifter in den Nischen
der Hauptpfeiler daselbst; unter diesen ist der S. Ignatius Loyola, von
Giuseppe Rusconi, durch tiefern Ausdruck und gediegenere Aus-
führung ausgezeichnet; ganz unverzeihlich schlecht der Beato Alessan-
dro Sauli von Puget, in S. M. di Carignano zu Genua, u. a. m.) Es
ist noch ein Glück für den Künstler, wenn er seinen Heiligen als be-
geisterten Prediger darstellen kann. (S. Peter.) Sonst findet sich
namentlich ein schwärmerisches Hinsinken oder Hinknieen, theils mit
gesenktem Haupt (Legros, S. Aloys Gonzaga, im rechten Querschiff
von S. Ignazio zu Rom), theils mit einem solchen Blick nach oben,
dass man wenig mehr als Kinnbacken und Nasenspitze bemerkt. (Eine
Hauptstatue dieser Gattung, der silberne S. Ignatius von Legros, im
linken Querschiff al Gesù, ist nur noch durch eine kupferversilberte
Nachbildung vertreten.) Der S. Andreas des Duquesnoy, in S. Peter,
welcher es beim blossen sehnsüchtigen Blick und Handgestus bewen-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/720>, abgerufen am 18.12.2024.
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