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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Bandinelli.
Statuen des Lepidus und des Hercules, letztere ungeschlacht muscu-
alös. -- In der Crypta des Domes von Parma ist von Clementi ein
Grab vom Jahr 1542 mit zwei sitzenden Tugenden (hinten, rechts).
b-- In S. Domenico zu Bologna (Durchgang zur linken Seitenthür) am
Grabmal Volta die Statue des heil. Kriegers Proculus, einfach und
tüchtig.

c

Das Grab des Meisters, vom Jahr 1588, im Dom von Reggio
(1. Cap. links) ist mit seiner schönen Büste geschmückt. -- Den Aus-
lauf seiner Schule bezeichnen die Statuen im Querschiff und an der
Fassade daselbst.


Wenn man sich jedoch in Kürze überzeugen will, welche zwin-
gende Gewalt Michelangelo als Bildhauer über sein Jahrhundert und
das folgende ausübte, so genügt schon ein Blick auf die florentinische
Sculptur nach ihm. Sie ist besonders belehrend, weil die mediceischen
Grossherzoge auch die profane, mythologische und monumentale Seite
der Kunst mehr pflegten, als diess sonst irgendwo in Italien geschah,
ohne dass doch die kirchlichen Aufgaben desshalb aufgehört hätten.

Wir haben bis hieher einen florentinischen Künstler verspart, der
als Michelangelo's unedler Nebenbuhler auftrat und doch in seinen
meisten Werken ihn gerade von der bedenklichen Seite nachahmte:
Baccio Bandinelli (1487--1559). Er ist ein sonderbares Gemisch
aus angeborenem Talent, Reminiscenzen der ältern Schule und einer
falschen Genialität, die bis ins Gewissenlose und Rohe geht. -- Das
dBeste, wo er ganz ausreichte, sind die Relieffiguren von Aposteln,
Propheten etc. an den achtseitigen Chorschranken unter der Kuppel
des Domes; hier sind einige Figuren sehr schön gedacht und stehen
trefflich im Raum; alle sind einfach behandelt. -- Dagegen zeigt die be-
ekannte Gruppe des Hercules und Cacus auf Piazza del Granduca,
was er an Michelangelo bewundern musste und wie er ihn miss-
verstand. Er glaubte ihm die mächtigen Formen absehen zu können
und machte ihm auch die Contraste nach, so gut er konnte; aber
ohne alles Liniengefühl und ohne eine Spur dramatischen Gedankens,
wozu doch der Gegenstand genugsame Mittel an die Hand gab; es

Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Bandinelli.
Statuen des Lepidus und des Hercules, letztere ungeschlacht muscu-
alös. — In der Crypta des Domes von Parma ist von Clementi ein
Grab vom Jahr 1542 mit zwei sitzenden Tugenden (hinten, rechts).
b— In S. Domenico zu Bologna (Durchgang zur linken Seitenthür) am
Grabmal Volta die Statue des heil. Kriegers Proculus, einfach und
tüchtig.

c

Das Grab des Meisters, vom Jahr 1588, im Dom von Reggio
(1. Cap. links) ist mit seiner schönen Büste geschmückt. — Den Aus-
lauf seiner Schule bezeichnen die Statuen im Querschiff und an der
Fassade daselbst.


Wenn man sich jedoch in Kürze überzeugen will, welche zwin-
gende Gewalt Michelangelo als Bildhauer über sein Jahrhundert und
das folgende ausübte, so genügt schon ein Blick auf die florentinische
Sculptur nach ihm. Sie ist besonders belehrend, weil die mediceischen
Grossherzoge auch die profane, mythologische und monumentale Seite
der Kunst mehr pflegten, als diess sonst irgendwo in Italien geschah,
ohne dass doch die kirchlichen Aufgaben desshalb aufgehört hätten.

Wir haben bis hieher einen florentinischen Künstler verspart, der
als Michelangelo’s unedler Nebenbuhler auftrat und doch in seinen
meisten Werken ihn gerade von der bedenklichen Seite nachahmte:
Baccio Bandinelli (1487—1559). Er ist ein sonderbares Gemisch
aus angeborenem Talent, Reminiscenzen der ältern Schule und einer
falschen Genialität, die bis ins Gewissenlose und Rohe geht. — Das
dBeste, wo er ganz ausreichte, sind die Relieffiguren von Aposteln,
Propheten etc. an den achtseitigen Chorschranken unter der Kuppel
des Domes; hier sind einige Figuren sehr schön gedacht und stehen
trefflich im Raum; alle sind einfach behandelt. — Dagegen zeigt die be-
ekannte Gruppe des Hercules und Cacus auf Piazza del Granduca,
was er an Michelangelo bewundern musste und wie er ihn miss-
verstand. Er glaubte ihm die mächtigen Formen absehen zu können
und machte ihm auch die Contraste nach, so gut er konnte; aber
ohne alles Liniengefühl und ohne eine Spur dramatischen Gedankens,
wozu doch der Gegenstand genugsame Mittel an die Hand gab; es

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[680/0702] Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Bandinelli. Statuen des Lepidus und des Hercules, letztere ungeschlacht muscu- lös. — In der Crypta des Domes von Parma ist von Clementi ein Grab vom Jahr 1542 mit zwei sitzenden Tugenden (hinten, rechts). — In S. Domenico zu Bologna (Durchgang zur linken Seitenthür) am Grabmal Volta die Statue des heil. Kriegers Proculus, einfach und tüchtig. a b Das Grab des Meisters, vom Jahr 1588, im Dom von Reggio (1. Cap. links) ist mit seiner schönen Büste geschmückt. — Den Aus- lauf seiner Schule bezeichnen die Statuen im Querschiff und an der Fassade daselbst. Wenn man sich jedoch in Kürze überzeugen will, welche zwin- gende Gewalt Michelangelo als Bildhauer über sein Jahrhundert und das folgende ausübte, so genügt schon ein Blick auf die florentinische Sculptur nach ihm. Sie ist besonders belehrend, weil die mediceischen Grossherzoge auch die profane, mythologische und monumentale Seite der Kunst mehr pflegten, als diess sonst irgendwo in Italien geschah, ohne dass doch die kirchlichen Aufgaben desshalb aufgehört hätten. Wir haben bis hieher einen florentinischen Künstler verspart, der als Michelangelo’s unedler Nebenbuhler auftrat und doch in seinen meisten Werken ihn gerade von der bedenklichen Seite nachahmte: Baccio Bandinelli (1487—1559). Er ist ein sonderbares Gemisch aus angeborenem Talent, Reminiscenzen der ältern Schule und einer falschen Genialität, die bis ins Gewissenlose und Rohe geht. — Das Beste, wo er ganz ausreichte, sind die Relieffiguren von Aposteln, Propheten etc. an den achtseitigen Chorschranken unter der Kuppel des Domes; hier sind einige Figuren sehr schön gedacht und stehen trefflich im Raum; alle sind einfach behandelt. — Dagegen zeigt die be- kannte Gruppe des Hercules und Cacus auf Piazza del Granduca, was er an Michelangelo bewundern musste und wie er ihn miss- verstand. Er glaubte ihm die mächtigen Formen absehen zu können und machte ihm auch die Contraste nach, so gut er konnte; aber ohne alles Liniengefühl und ohne eine Spur dramatischen Gedankens, wozu doch der Gegenstand genugsame Mittel an die Hand gab; es d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/702>, abgerufen am 11.06.2024.