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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Amphitheater. Cirken.

Ausserhalb Roms wird dem Amphitheater von Alt-Capua wegena
eines nur kleinen, aber schönen Restes der zwei untern Ordnungen
und wegen einzelner noch besonders deutlich sichtbarer Einrichtungen
um die Arena die erste Stelle zuerkannt. Das Amphitheater vonb
Verona hat den Effekt der vollkommen erhaltenen oder hergestellten
Sitzreihen vor allen Gebäuden dieser Art voraus; allein von seiner
äussern Schale ist nur ein sehr kleiner Theil vorhanden (und vielleicht
nie mehr vorhanden gewesen) der gerade hinreicht, um die Lust nach
dem zerstörten oder nie vollendeten Ganzen zu wecken. (Vgl. S. 36
Anm.) -- Das Amphitheater von Pompeji kann seiner Kleinheit undc
architektonischen Bescheidenheit wegen neben diesen ungeheuern Massen
nicht aufkommen. -- In Lucca noch bedeutende Reste eines Amphi-d
theaters und eines Theaters. -- In Padua bloss der Umriss einese
Amphitheaters, bei S. Maria dell' Arena. -- In Pozzuoli: sehr um-f
fangreiche, aber formlose Trümmer. -- In S. Germano (unterhalb Monteg
Cassino) ein kreisrundes Amphitheater, das einzige dieser Art, indem
sonst die elliptische Form für das Aufstellen zweier Parteien in der
Arena den Vorzug haben musste. -- Vereinzelte Überbleibsel finden
sich überall, wo es Römer gab.

Die Cirken endlich sind mit einziger Ausnahme desjenigen des
Caracalla (richtiger: Maxentius) von der Erde verschwunden, soh
dass man ihre Form höchstens aus dem Zug der Strassen und Gar-
tenmauern um sie herum (wie beim Circus maximus in Rom) oderi
aus der Gestalt eines Platzes, der ihrem Umfang entspricht (wie beim
Stadium Domitians, der jetzigen Piazza Navona) oder auch nurk
aus Erdwellen erkennt. Selbst an dem oben als erhalten genannten
Circus (vor Porta S. Sebastiano) ist alles bauliche Detail mit der Stein-
bekleidung des Hallenbaues ringsum und der Langmauer (spina) in
der Mitte dahin gegangen, so dass wir uns dabei nicht aufhalten dür-
fen. -- Das gänzliche Verschwinden des Circus maximus gehört übri-
gens auch zu den Räthseln des römischen Mittelalters. Denn das
Gebäude fasste auf seinen Sitzreihen fast das Doppelte von der Men-
schenzahl, die man für das Colosseum berechnet, nämlich nach der
geringern Angabe 150,000 Menschen; es muss also nicht bloss die
halbe Viertelstunde Länge, von der man sich noch jetzt überzeugen
kann, sondern auch eine bedeutende Tiefe und Höhe gehabt haben,

Amphitheater. Cirken.

Ausserhalb Roms wird dem Amphitheater von Alt-Capua wegena
eines nur kleinen, aber schönen Restes der zwei untern Ordnungen
und wegen einzelner noch besonders deutlich sichtbarer Einrichtungen
um die Arena die erste Stelle zuerkannt. Das Amphitheater vonb
Verona hat den Effekt der vollkommen erhaltenen oder hergestellten
Sitzreihen vor allen Gebäuden dieser Art voraus; allein von seiner
äussern Schale ist nur ein sehr kleiner Theil vorhanden (und vielleicht
nie mehr vorhanden gewesen) der gerade hinreicht, um die Lust nach
dem zerstörten oder nie vollendeten Ganzen zu wecken. (Vgl. S. 36
Anm.) — Das Amphitheater von Pompeji kann seiner Kleinheit undc
architektonischen Bescheidenheit wegen neben diesen ungeheuern Massen
nicht aufkommen. — In Lucca noch bedeutende Reste eines Amphi-d
theaters und eines Theaters. — In Padua bloss der Umriss einese
Amphitheaters, bei S. Maria dell’ Arena. — In Pozzuoli: sehr um-f
fangreiche, aber formlose Trümmer. — In S. Germano (unterhalb Monteg
Cassino) ein kreisrundes Amphitheater, das einzige dieser Art, indem
sonst die elliptische Form für das Aufstellen zweier Parteien in der
Arena den Vorzug haben musste. — Vereinzelte Überbleibsel finden
sich überall, wo es Römer gab.

Die Cirken endlich sind mit einziger Ausnahme desjenigen des
Caracalla (richtiger: Maxentius) von der Erde verschwunden, soh
dass man ihre Form höchstens aus dem Zug der Strassen und Gar-
tenmauern um sie herum (wie beim Circus maximus in Rom) oderi
aus der Gestalt eines Platzes, der ihrem Umfang entspricht (wie beim
Stadium Domitians, der jetzigen Piazza Navona) oder auch nurk
aus Erdwellen erkennt. Selbst an dem oben als erhalten genannten
Circus (vor Porta S. Sebastiano) ist alles bauliche Detail mit der Stein-
bekleidung des Hallenbaues ringsum und der Langmauer (spina) in
der Mitte dahin gegangen, so dass wir uns dabei nicht aufhalten dür-
fen. — Das gänzliche Verschwinden des Circus maximus gehört übri-
gens auch zu den Räthseln des römischen Mittelalters. Denn das
Gebäude fasste auf seinen Sitzreihen fast das Doppelte von der Men-
schenzahl, die man für das Colosseum berechnet, nämlich nach der
geringern Angabe 150,000 Menschen; es muss also nicht bloss die
halbe Viertelstunde Länge, von der man sich noch jetzt überzeugen
kann, sondern auch eine bedeutende Tiefe und Höhe gehabt haben,

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[45/0067] Amphitheater. Cirken. Ausserhalb Roms wird dem Amphitheater von Alt-Capua wegen eines nur kleinen, aber schönen Restes der zwei untern Ordnungen und wegen einzelner noch besonders deutlich sichtbarer Einrichtungen um die Arena die erste Stelle zuerkannt. Das Amphitheater von Verona hat den Effekt der vollkommen erhaltenen oder hergestellten Sitzreihen vor allen Gebäuden dieser Art voraus; allein von seiner äussern Schale ist nur ein sehr kleiner Theil vorhanden (und vielleicht nie mehr vorhanden gewesen) der gerade hinreicht, um die Lust nach dem zerstörten oder nie vollendeten Ganzen zu wecken. (Vgl. S. 36 Anm.) — Das Amphitheater von Pompeji kann seiner Kleinheit und architektonischen Bescheidenheit wegen neben diesen ungeheuern Massen nicht aufkommen. — In Lucca noch bedeutende Reste eines Amphi- theaters und eines Theaters. — In Padua bloss der Umriss eines Amphitheaters, bei S. Maria dell’ Arena. — In Pozzuoli: sehr um- fangreiche, aber formlose Trümmer. — In S. Germano (unterhalb Monte Cassino) ein kreisrundes Amphitheater, das einzige dieser Art, indem sonst die elliptische Form für das Aufstellen zweier Parteien in der Arena den Vorzug haben musste. — Vereinzelte Überbleibsel finden sich überall, wo es Römer gab. a b c d e f g Die Cirken endlich sind mit einziger Ausnahme desjenigen des Caracalla (richtiger: Maxentius) von der Erde verschwunden, so dass man ihre Form höchstens aus dem Zug der Strassen und Gar- tenmauern um sie herum (wie beim Circus maximus in Rom) oder aus der Gestalt eines Platzes, der ihrem Umfang entspricht (wie beim Stadium Domitians, der jetzigen Piazza Navona) oder auch nur aus Erdwellen erkennt. Selbst an dem oben als erhalten genannten Circus (vor Porta S. Sebastiano) ist alles bauliche Detail mit der Stein- bekleidung des Hallenbaues ringsum und der Langmauer (spina) in der Mitte dahin gegangen, so dass wir uns dabei nicht aufhalten dür- fen. — Das gänzliche Verschwinden des Circus maximus gehört übri- gens auch zu den Räthseln des römischen Mittelalters. Denn das Gebäude fasste auf seinen Sitzreihen fast das Doppelte von der Men- schenzahl, die man für das Colosseum berechnet, nämlich nach der geringern Angabe 150,000 Menschen; es muss also nicht bloss die halbe Viertelstunde Länge, von der man sich noch jetzt überzeugen kann, sondern auch eine bedeutende Tiefe und Höhe gehabt haben, h i k

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/67>, abgerufen am 04.05.2024.