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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Andrea Sansovino. Rafael. Lorenzetto.
der stärksten innern Erregung aus einem Relief von Ghiberti's Nord-
thür in erhöhter Darstellung wiederfinden. (Nach 1500 gearbeitet.)

Über den Marmorumbau des heiligen Hauses in der Kirche vona
Loretto kann der Verf. nicht aus Anschauung berichten. Bramante
gilt als Erfinder der baulichen Anordnung; Andrea Sansovino leitete
den plastischen Schmuck und arbeitete selbst einen Theil der Reliefs;
die übrigen sind ausgeführt von Tribolo, Bandinelli, Rafael da Mon-
telupo, Franc. da Sangallo, Lancia, Girol. Lombardo und Mosca. Nach
zuverlässigen Urtheilen sollen die Sculpturen dieser Künstler im Gan-
zen mehr ihrem anderweitig bekannten, zum Theil schon beträchtlich
manierirten Styl folgen als dem Vorbilde Andrea's.

In der Johannescapelle des Domes von Genua (links) sind dieb
Statuen des Täufers und der Madonna, (wahrscheinlich frühe) Ar-
beiten von ihm; erstere noch etwas herb, letztere aber ungemein schön
in Stellung und Motiv, das Kind naiv bewegt und wiederum mit einem
kenntlichen lionardesken Anklang. -- Von kleinern Sachen möchte ich
dem Andrea einen Salvator zuschreiben, welcher in Araceli zu Romc
auf der Spitze eines Grabmals (Lud. Gratus, + 1531) links vom Haupt-
portal angebracht worden ist 1).


Diese an Zahl geringen Arbeiten repräsentiren uns in der Sculptur
fast einzig denjenigen Geist massvoller Schönheit, welchen in der
Malerei vorzüglich Rafael vertritt. Auch gleichen ihnen am meisten
diejenigen Sculpturwerke, welche Rafael selbst schuf oder unter
seiner Aufsicht hauptsächlich durch Lorenzetto ausführen liess.
Als eigenhändige (und jetzt wohl einzig vorhandene) Arbeit R.'s gilt
gegenwärtig die nackte Statue des Jonas in S. Maria del Popolod
(Cap. Chigi) zu Rom; eine keinesweges vollkommene körperliche

1) Das Grabmal des Petrus de Vincentia (1504), im Durchgang der Südthür an*
der Kirche Araceli, ist mir immer wie eine Vorarbeit Andrea's zu den oben
genannten Prälatengräbern vorgekommen; die Grabstatue sowohl als das
Rundrelief der Madonna und die Allegorien zu dessen Seiten scheinen sehr
schöne Versuche eines noch nicht ganz geläuterten Strebens, welches erst in
jenen Meisterwerken seine Erfüllung fand. Dagegen kann das Grabmal Ar-
mellini, 1524, im rechten Querschiff von S. M. in Trastevere, höchstens als**
tüchtiges Schulwerk gelten.
B. Cicerone. 41

Andrea Sansovino. Rafael. Lorenzetto.
der stärksten innern Erregung aus einem Relief von Ghiberti’s Nord-
thür in erhöhter Darstellung wiederfinden. (Nach 1500 gearbeitet.)

Über den Marmorumbau des heiligen Hauses in der Kirche vona
Loretto kann der Verf. nicht aus Anschauung berichten. Bramante
gilt als Erfinder der baulichen Anordnung; Andrea Sansovino leitete
den plastischen Schmuck und arbeitete selbst einen Theil der Reliefs;
die übrigen sind ausgeführt von Tribolo, Bandinelli, Rafael da Mon-
telupo, Franc. da Sangallo, Lancia, Girol. Lombardo und Mosca. Nach
zuverlässigen Urtheilen sollen die Sculpturen dieser Künstler im Gan-
zen mehr ihrem anderweitig bekannten, zum Theil schon beträchtlich
manierirten Styl folgen als dem Vorbilde Andrea’s.

In der Johannescapelle des Domes von Genua (links) sind dieb
Statuen des Täufers und der Madonna, (wahrscheinlich frühe) Ar-
beiten von ihm; erstere noch etwas herb, letztere aber ungemein schön
in Stellung und Motiv, das Kind naiv bewegt und wiederum mit einem
kenntlichen lionardesken Anklang. — Von kleinern Sachen möchte ich
dem Andrea einen Salvator zuschreiben, welcher in Araceli zu Romc
auf der Spitze eines Grabmals (Lud. Gratus, † 1531) links vom Haupt-
portal angebracht worden ist 1).


Diese an Zahl geringen Arbeiten repräsentiren uns in der Sculptur
fast einzig denjenigen Geist massvoller Schönheit, welchen in der
Malerei vorzüglich Rafael vertritt. Auch gleichen ihnen am meisten
diejenigen Sculpturwerke, welche Rafael selbst schuf oder unter
seiner Aufsicht hauptsächlich durch Lorenzetto ausführen liess.
Als eigenhändige (und jetzt wohl einzig vorhandene) Arbeit R.’s gilt
gegenwärtig die nackte Statue des Jonas in S. Maria del Popolod
(Cap. Chigi) zu Rom; eine keinesweges vollkommene körperliche

1) Das Grabmal des Petrus de Vincentia (1504), im Durchgang der Südthür an*
der Kirche Araceli, ist mir immer wie eine Vorarbeit Andrea’s zu den oben
genannten Prälatengräbern vorgekommen; die Grabstatue sowohl als das
Rundrelief der Madonna und die Allegorien zu dessen Seiten scheinen sehr
schöne Versuche eines noch nicht ganz geläuterten Strebens, welches erst in
jenen Meisterwerken seine Erfüllung fand. Dagegen kann das Grabmal Ar-
mellini, 1524, im rechten Querschiff von S. M. in Trastevere, höchstens als**
tüchtiges Schulwerk gelten.
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[641/0663] Andrea Sansovino. Rafael. Lorenzetto. der stärksten innern Erregung aus einem Relief von Ghiberti’s Nord- thür in erhöhter Darstellung wiederfinden. (Nach 1500 gearbeitet.) Über den Marmorumbau des heiligen Hauses in der Kirche von Loretto kann der Verf. nicht aus Anschauung berichten. Bramante gilt als Erfinder der baulichen Anordnung; Andrea Sansovino leitete den plastischen Schmuck und arbeitete selbst einen Theil der Reliefs; die übrigen sind ausgeführt von Tribolo, Bandinelli, Rafael da Mon- telupo, Franc. da Sangallo, Lancia, Girol. Lombardo und Mosca. Nach zuverlässigen Urtheilen sollen die Sculpturen dieser Künstler im Gan- zen mehr ihrem anderweitig bekannten, zum Theil schon beträchtlich manierirten Styl folgen als dem Vorbilde Andrea’s. a In der Johannescapelle des Domes von Genua (links) sind die Statuen des Täufers und der Madonna, (wahrscheinlich frühe) Ar- beiten von ihm; erstere noch etwas herb, letztere aber ungemein schön in Stellung und Motiv, das Kind naiv bewegt und wiederum mit einem kenntlichen lionardesken Anklang. — Von kleinern Sachen möchte ich dem Andrea einen Salvator zuschreiben, welcher in Araceli zu Rom auf der Spitze eines Grabmals (Lud. Gratus, † 1531) links vom Haupt- portal angebracht worden ist 1). b c Diese an Zahl geringen Arbeiten repräsentiren uns in der Sculptur fast einzig denjenigen Geist massvoller Schönheit, welchen in der Malerei vorzüglich Rafael vertritt. Auch gleichen ihnen am meisten diejenigen Sculpturwerke, welche Rafael selbst schuf oder unter seiner Aufsicht hauptsächlich durch Lorenzetto ausführen liess. Als eigenhändige (und jetzt wohl einzig vorhandene) Arbeit R.’s gilt gegenwärtig die nackte Statue des Jonas in S. Maria del Popolo (Cap. Chigi) zu Rom; eine keinesweges vollkommene körperliche d 1) Das Grabmal des Petrus de Vincentia (1504), im Durchgang der Südthür an der Kirche Araceli, ist mir immer wie eine Vorarbeit Andrea’s zu den oben genannten Prälatengräbern vorgekommen; die Grabstatue sowohl als das Rundrelief der Madonna und die Allegorien zu dessen Seiten scheinen sehr schöne Versuche eines noch nicht ganz geläuterten Strebens, welches erst in jenen Meisterwerken seine Erfüllung fand. Dagegen kann das Grabmal Ar- mellini, 1524, im rechten Querschiff von S. M. in Trastevere, höchstens als tüchtiges Schulwerk gelten. B. Cicerone. 41

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/663>, abgerufen am 18.12.2024.