Sculptur des XV. Jahrhunderts. Agostino di Guccio.
agegenüber ist, ebenfalls von B.'s Hand, die Büste des Musikers Squar- cialupi, eines Zeitgenossen, welchem der Künstler so wenig als dem bPietro Mellini (Uffizien, Gang d. tosc. Sculpt.) die natürliche Hässlich- keit erliess. Es wurden damals in Florenz fast so viele Büsten aus Marmor, Thon und Kittmasse (und dann farbig) gebildet als Porträts gemalt; in allen werden die unregelmässigen Züge nicht bloss frei zugestanden, sondern als das Wesentliche und zwar bisweilen grandios cbehandelt. Der genannte Gang in den Uffizien und seine meist verschlossene Fortsetzung enthalten eine Anzahl davon, sämmtlich marmorn.
Mit Unrecht wurde früher zum Hause der Robbia derjenige be- deutende Künstler gerechnet, welcher 1461 die Fassade der Brüder- dschaft von S. Bernardino in Perugia (neben S. Francesco) baute und mit Sculpturen bedeckte, Agostino di Guccio aus Florenz 1). Diese reiche und prächtige Arbeit, aus Terracotta, Kalkstein, weissem, röth- lichem und schwarzem Marmor ist der Geschichte und der Glorie des genannten Heiligen geweiht. Das Plastische ist ungleich; die vor- züglichere Hand verräth sich hauptsächlich in den anmuthig schwe- benden Engeln mit ihren feinfaltigen, rundgeschwungenen Gewändern, sowie in einigen der kleinen erzählenden Reliefs. Offenbar stand der Künstler zur Antike in einem viel nähern Verhältniss als die übrigen Robbia, ja als die meisten Sculptoren seiner Zeit; man wird z. B. eine Figur finden, die das bekannte Motiv einer bacchischen Tänzerin ge- radezu wiederholt; auch ist seine Reliefbehandlung plastischer als die der florentinischen Zeitgenossen insgemein, welche alle mehr von Do- natello berührt erscheinen. An innerlichem Schönheitssinn und tieferm Seelenausdruck ist Luca della Robbia auch ihm überlegen.
1) Wahrscheinlich ist der Augustinus de Florentia, welcher 1442 die Platte mit *vier Reliefs aus der Geschichte des heil. Geminian am Dom von Modena (aussen auf der Südseite, nahe beim Chor) fertigte, dieselbe Person. Das von Donatello unabhängige Leben, die leichte, geschickte und deutliche Be- wegung, die feingefalteten, schwungreichen Draperien geben eine Vorahnung des Werkes von Perugia.
Sculptur des XV. Jahrhunderts. Agostino di Guccio.
agegenüber ist, ebenfalls von B.’s Hand, die Büste des Musikers Squar- cialupi, eines Zeitgenossen, welchem der Künstler so wenig als dem bPietro Mellini (Uffizien, Gang d. tosc. Sculpt.) die natürliche Hässlich- keit erliess. Es wurden damals in Florenz fast so viele Büsten aus Marmor, Thon und Kittmasse (und dann farbig) gebildet als Porträts gemalt; in allen werden die unregelmässigen Züge nicht bloss frei zugestanden, sondern als das Wesentliche und zwar bisweilen grandios cbehandelt. Der genannte Gang in den Uffizien und seine meist verschlossene Fortsetzung enthalten eine Anzahl davon, sämmtlich marmorn.
Mit Unrecht wurde früher zum Hause der Robbia derjenige be- deutende Künstler gerechnet, welcher 1461 die Fassade der Brüder- dschaft von S. Bernardino in Perugia (neben S. Francesco) baute und mit Sculpturen bedeckte, Agostino di Guccio aus Florenz 1). Diese reiche und prächtige Arbeit, aus Terracotta, Kalkstein, weissem, röth- lichem und schwarzem Marmor ist der Geschichte und der Glorie des genannten Heiligen geweiht. Das Plastische ist ungleich; die vor- züglichere Hand verräth sich hauptsächlich in den anmuthig schwe- benden Engeln mit ihren feinfaltigen, rundgeschwungenen Gewändern, sowie in einigen der kleinen erzählenden Reliefs. Offenbar stand der Künstler zur Antike in einem viel nähern Verhältniss als die übrigen Robbia, ja als die meisten Sculptoren seiner Zeit; man wird z. B. eine Figur finden, die das bekannte Motiv einer bacchischen Tänzerin ge- radezu wiederholt; auch ist seine Reliefbehandlung plastischer als die der florentinischen Zeitgenossen insgemein, welche alle mehr von Do- natello berührt erscheinen. An innerlichem Schönheitssinn und tieferm Seelenausdruck ist Luca della Robbia auch ihm überlegen.
1) Wahrscheinlich ist der Augustinus de Florentia, welcher 1442 die Platte mit *vier Reliefs aus der Geschichte des heil. Geminian am Dom von Modena (aussen auf der Südseite, nahe beim Chor) fertigte, dieselbe Person. Das von Donatello unabhängige Leben, die leichte, geschickte und deutliche Be- wegung, die feingefalteten, schwungreichen Draperien geben eine Vorahnung des Werkes von Perugia.
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Sculptur des XV. Jahrhunderts. Agostino di Guccio.
gegenüber ist, ebenfalls von B.’s Hand, die Büste des Musikers Squar-
cialupi, eines Zeitgenossen, welchem der Künstler so wenig als dem
Pietro Mellini (Uffizien, Gang d. tosc. Sculpt.) die natürliche Hässlich-
keit erliess. Es wurden damals in Florenz fast so viele Büsten aus
Marmor, Thon und Kittmasse (und dann farbig) gebildet als Porträts
gemalt; in allen werden die unregelmässigen Züge nicht bloss frei
zugestanden, sondern als das Wesentliche und zwar bisweilen grandios
behandelt. Der genannte Gang in den Uffizien und seine meist
verschlossene Fortsetzung enthalten eine Anzahl davon, sämmtlich
marmorn.
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b
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Mit Unrecht wurde früher zum Hause der Robbia derjenige be-
deutende Künstler gerechnet, welcher 1461 die Fassade der Brüder-
schaft von S. Bernardino in Perugia (neben S. Francesco) baute und
mit Sculpturen bedeckte, Agostino di Guccio aus Florenz 1). Diese
reiche und prächtige Arbeit, aus Terracotta, Kalkstein, weissem, röth-
lichem und schwarzem Marmor ist der Geschichte und der Glorie des
genannten Heiligen geweiht. Das Plastische ist ungleich; die vor-
züglichere Hand verräth sich hauptsächlich in den anmuthig schwe-
benden Engeln mit ihren feinfaltigen, rundgeschwungenen Gewändern,
sowie in einigen der kleinen erzählenden Reliefs. Offenbar stand der
Künstler zur Antike in einem viel nähern Verhältniss als die übrigen
Robbia, ja als die meisten Sculptoren seiner Zeit; man wird z. B. eine
Figur finden, die das bekannte Motiv einer bacchischen Tänzerin ge-
radezu wiederholt; auch ist seine Reliefbehandlung plastischer als die
der florentinischen Zeitgenossen insgemein, welche alle mehr von Do-
natello berührt erscheinen. An innerlichem Schönheitssinn und tieferm
Seelenausdruck ist Luca della Robbia auch ihm überlegen.
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1) Wahrscheinlich ist der Augustinus de Florentia, welcher 1442 die Platte mit
vier Reliefs aus der Geschichte des heil. Geminian am Dom von Modena
(aussen auf der Südseite, nahe beim Chor) fertigte, dieselbe Person. Das
von Donatello unabhängige Leben, die leichte, geschickte und deutliche Be-
wegung, die feingefalteten, schwungreichen Draperien geben eine Vorahnung
des Werkes von Perugia.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/632>, abgerufen am 18.12.2024.
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