In die letzten Jahrzehnde des XIV. Jahrhunderts fällt dann die Thätigkeit der Brüder Jacobello und Pierpaolo delle Mas- segne von Venedig. Von ihnen sind die vierzehn Statuen der Apo-a stel mit Maria und S. Marcus, welche in S. Marco auf dem Geländer stehen, das den Chor vom Querbau abschliesst; ebenso das Dogengrab Antonio Venier im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; ausserdemb möchte ich ihnen das schöne Lunettenrelief über dem Eingang zum Vor-c hof von S. Zaccaria (Madonna mit Johannes dem Täufer und S. Marcus) und in der Taufcapelle von S. M. de' Frari (sog. Cap. S. Pietro, links)d die fünf Statuen an der Wand über dem Taufbecken, sowie die fünf obern Halbfiguren des dortigen Altars zuschreiben. (Die fünf untern ganzen Figuren sind etwa 60 Jahre neuer.) Vielleicht dürfen wir auch die ehemalige Decke der Pala d'oro im Schatz von S. Marco hieher-e rechnen; sie enthält (in vergoldeter getriebener Arbeit) die Gestalten der Apostel 1). -- Mit einer meist etwas gedrungenen Bildung wird man in den genannten Werken eine ernste Anmuth, einen gediegenen Aus- druck und jenen idealen Schwung der Gewandung verbunden finden, den die Pisaner durch eine mehr zierliche Lebendigkeit ersetzen.
Den Mastro Bartolommeo, welcher den Übergang in den Styl des XV. Jahrhunderts bezeichnet, versparen wir auf die fol- gende Periode. -- Von der grossen Menge anonymer Arbeiten germani- schen Styles, welche bis in die ersten Jahrzehnde des XV. Jahrhun- derts herabreichen, sind hauptsächlich diejenigen an S. Marco hervor- zuheben.
Und zwar wird es hier wohl gethan sein, den ganzen ältern pla- stischen Vorrath dieses wundersamen Gebäudes im Zusammenhang zu
1) Mit diesen Arbeiten ist der grosse Marmoraltar von S. Francesco in Bologna* welcher ebenfalls dem Jacobello und Pierpaolo von Venedig zugeschrieben wird, kaum zu vereinigen. In dieser auszeichneten Arbeit ist statt des eigen- thümlichen Schwunges der Massegne in Haltung und Gewandung eher eine Zerbröckelung in kleine Motive und eine steife Stellung zu bemerken. Von den Charakterköpfen sind einige recht schön. -- Auch dem Agostino und Agnolo von Siena, welchen Vasari den Altar zuschreibt, gleicht der Styl wenig.
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Venedig. Die Massegne.
In die letzten Jahrzehnde des XIV. Jahrhunderts fällt dann die Thätigkeit der Brüder Jacobello und Pierpaolo delle Mas- segne von Venedig. Von ihnen sind die vierzehn Statuen der Apo-a stel mit Maria und S. Marcus, welche in S. Marco auf dem Geländer stehen, das den Chor vom Querbau abschliesst; ebenso das Dogengrab Antonio Venier im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; ausserdemb möchte ich ihnen das schöne Lunettenrelief über dem Eingang zum Vor-c hof von S. Zaccaria (Madonna mit Johannes dem Täufer und S. Marcus) und in der Taufcapelle von S. M. de’ Frari (sog. Cap. S. Pietro, links)d die fünf Statuen an der Wand über dem Taufbecken, sowie die fünf obern Halbfiguren des dortigen Altars zuschreiben. (Die fünf untern ganzen Figuren sind etwa 60 Jahre neuer.) Vielleicht dürfen wir auch die ehemalige Decke der Pala d’oro im Schatz von S. Marco hieher-e rechnen; sie enthält (in vergoldeter getriebener Arbeit) die Gestalten der Apostel 1). — Mit einer meist etwas gedrungenen Bildung wird man in den genannten Werken eine ernste Anmuth, einen gediegenen Aus- druck und jenen idealen Schwung der Gewandung verbunden finden, den die Pisaner durch eine mehr zierliche Lebendigkeit ersetzen.
Den Mastro Bartolommeo, welcher den Übergang in den Styl des XV. Jahrhunderts bezeichnet, versparen wir auf die fol- gende Periode. — Von der grossen Menge anonymer Arbeiten germani- schen Styles, welche bis in die ersten Jahrzehnde des XV. Jahrhun- derts herabreichen, sind hauptsächlich diejenigen an S. Marco hervor- zuheben.
Und zwar wird es hier wohl gethan sein, den ganzen ältern pla- stischen Vorrath dieses wundersamen Gebäudes im Zusammenhang zu
1) Mit diesen Arbeiten ist der grosse Marmoraltar von S. Francesco in Bologna* welcher ebenfalls dem Jacobello und Pierpaolo von Venedig zugeschrieben wird, kaum zu vereinigen. In dieser auszeichneten Arbeit ist statt des eigen- thümlichen Schwunges der Massegne in Haltung und Gewandung eher eine Zerbröckelung in kleine Motive und eine steife Stellung zu bemerken. Von den Charakterköpfen sind einige recht schön. — Auch dem Agostino und Agnolo von Siena, welchen Vasari den Altar zuschreibt, gleicht der Styl wenig.
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Venedig. Die Massegne.
In die letzten Jahrzehnde des XIV. Jahrhunderts fällt dann die
Thätigkeit der Brüder Jacobello und Pierpaolo delle Mas-
segne von Venedig. Von ihnen sind die vierzehn Statuen der Apo-
stel mit Maria und S. Marcus, welche in S. Marco auf dem Geländer
stehen, das den Chor vom Querbau abschliesst; ebenso das Dogengrab
Antonio Venier im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; ausserdem
möchte ich ihnen das schöne Lunettenrelief über dem Eingang zum Vor-
hof von S. Zaccaria (Madonna mit Johannes dem Täufer und S. Marcus)
und in der Taufcapelle von S. M. de’ Frari (sog. Cap. S. Pietro, links)
die fünf Statuen an der Wand über dem Taufbecken, sowie die fünf
obern Halbfiguren des dortigen Altars zuschreiben. (Die fünf untern
ganzen Figuren sind etwa 60 Jahre neuer.) Vielleicht dürfen wir auch
die ehemalige Decke der Pala d’oro im Schatz von S. Marco hieher-
rechnen; sie enthält (in vergoldeter getriebener Arbeit) die Gestalten
der Apostel 1). — Mit einer meist etwas gedrungenen Bildung wird man
in den genannten Werken eine ernste Anmuth, einen gediegenen Aus-
druck und jenen idealen Schwung der Gewandung verbunden finden,
den die Pisaner durch eine mehr zierliche Lebendigkeit ersetzen.
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Den Mastro Bartolommeo, welcher den Übergang in den
Styl des XV. Jahrhunderts bezeichnet, versparen wir auf die fol-
gende Periode. — Von der grossen Menge anonymer Arbeiten germani-
schen Styles, welche bis in die ersten Jahrzehnde des XV. Jahrhun-
derts herabreichen, sind hauptsächlich diejenigen an S. Marco hervor-
zuheben.
Und zwar wird es hier wohl gethan sein, den ganzen ältern pla-
stischen Vorrath dieses wundersamen Gebäudes im Zusammenhang zu
1) Mit diesen Arbeiten ist der grosse Marmoraltar von S. Francesco in Bologna
welcher ebenfalls dem Jacobello und Pierpaolo von Venedig zugeschrieben
wird, kaum zu vereinigen. In dieser auszeichneten Arbeit ist statt des eigen-
thümlichen Schwunges der Massegne in Haltung und Gewandung eher eine
Zerbröckelung in kleine Motive und eine steife Stellung zu bemerken. Von
den Charakterköpfen sind einige recht schön. — Auch dem Agostino und
Agnolo von Siena, welchen Vasari den Altar zuschreibt, gleicht der Styl
wenig.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/601>, abgerufen am 18.12.2024.
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