besprechen. Ein grosses Stück der Geschichte der Sculptur lässt sich hier mit Beispielen aus den verschiedensten Jahrhunderten belegen.
a
Zunächst sollen antike Bildwerke daran vorkommen. Es ist mög- lich, dass unter den Kleinigkeiten, die an der Nordseite eingemauert sind, sich etwas der Art befindet; dagegen sind die beiden Reliefs mit Thaten des Hercules an der vordern Fassade wohl nichts anderes, als sehr merkwürdige Versuche eines wohl noch mittelalterlichen Bild- hauers (XIV. Jahrhundert?), griechische Reliefs nachzuahmen.
b
Altchristlich ist sodann der Architrav des äussersten untern Fas- sadenfensters links; -- er bezeichnet das äusserste plastische Unver- mögen vielleicht des X. Jahrhunderts, das sich nur durch Zusammen- setzung alter (und schlechter) Sarcophagbruchstücke zu helfen wusste, um ein Stück biblischer Geschichte zusammenzubringen. Desselben Styles ist wohl auch die Reliefplatte in der Capelle Zeno (rechts), so wie einiges an der Nordseite der Kirche; der zum Dogengrab (Mo- rosini) benützte Sarcophag in der Vorhalle zeigt diesen Styl gänzlich barbarisirt.
Inzwischen griff Byzanz dem plastisch verwahrlosten Venedig unter die Arme, durch übersandte oder von griechischen Bildhauern an Ort und Stelle gearbeitete Reliefs (Seite 555) 1). Die Madonna in cder Capelle Zeno (links) und die fast weggeküsste am ersten Pfeiler des rechten Querschiffes gelten als Arbeiten aus Constantinopel; eine Anzahl Reliefplatten mit Madonnen und einzelnen Heiligen in der Kirche (an Pfeilern und Wänden vertheilt), dann die vier Reliefs zwi- schen den fünf untern Hauptbogen der Fassade (Madonna, S. Deme- trius, S. Georg und S. Michael) und diejenigen an den entsprechenden Stellen der Nordseite sind eher venezianisch-byzantinisch, nur dass die letztgenannten sich schon wieder mehr der abendländischen Weise zuneigen.
1) Die beiden Porphyrreliefs, jedes mit einem sich umarmeaden Fürstenpaar, *aussen bei der Porta della Carta, angeblich von Ptolemais hergebracht und als "Harmodius und Aristogiton" benannt, sind wohl nichts anderes als Denk- mäler irgend einer byzantinischen Doppelregierung, "concordiae augustorum". Ähnliche Darstellungen, aus vielleicht früherer Zeit und eben so barbarisch, **findet man an zwei Porphyrsäulen in der vaticanischen Bibliothek.
Germanische Sculptur. Venedig.
besprechen. Ein grosses Stück der Geschichte der Sculptur lässt sich hier mit Beispielen aus den verschiedensten Jahrhunderten belegen.
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Zunächst sollen antike Bildwerke daran vorkommen. Es ist mög- lich, dass unter den Kleinigkeiten, die an der Nordseite eingemauert sind, sich etwas der Art befindet; dagegen sind die beiden Reliefs mit Thaten des Hercules an der vordern Fassade wohl nichts anderes, als sehr merkwürdige Versuche eines wohl noch mittelalterlichen Bild- hauers (XIV. Jahrhundert?), griechische Reliefs nachzuahmen.
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Altchristlich ist sodann der Architrav des äussersten untern Fas- sadenfensters links; — er bezeichnet das äusserste plastische Unver- mögen vielleicht des X. Jahrhunderts, das sich nur durch Zusammen- setzung alter (und schlechter) Sarcophagbruchstücke zu helfen wusste, um ein Stück biblischer Geschichte zusammenzubringen. Desselben Styles ist wohl auch die Reliefplatte in der Capelle Zeno (rechts), so wie einiges an der Nordseite der Kirche; der zum Dogengrab (Mo- rosini) benützte Sarcophag in der Vorhalle zeigt diesen Styl gänzlich barbarisirt.
Inzwischen griff Byzanz dem plastisch verwahrlosten Venedig unter die Arme, durch übersandte oder von griechischen Bildhauern an Ort und Stelle gearbeitete Reliefs (Seite 555) 1). Die Madonna in cder Capelle Zeno (links) und die fast weggeküsste am ersten Pfeiler des rechten Querschiffes gelten als Arbeiten aus Constantinopel; eine Anzahl Reliefplatten mit Madonnen und einzelnen Heiligen in der Kirche (an Pfeilern und Wänden vertheilt), dann die vier Reliefs zwi- schen den fünf untern Hauptbogen der Fassade (Madonna, S. Deme- trius, S. Georg und S. Michael) und diejenigen an den entsprechenden Stellen der Nordseite sind eher venezianisch-byzantinisch, nur dass die letztgenannten sich schon wieder mehr der abendländischen Weise zuneigen.
1) Die beiden Porphyrreliefs, jedes mit einem sich umarmeaden Fürstenpaar, *aussen bei der Porta della Carta, angeblich von Ptolemais hergebracht und als „Harmodius und Aristogiton“ benannt, sind wohl nichts anderes als Denk- mäler irgend einer byzantinischen Doppelregierung, „concordiæ augustorum“. Ähnliche Darstellungen, aus vielleicht früherer Zeit und eben so barbarisch, **findet man an zwei Porphyrsäulen in der vaticanischen Bibliothek.
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Germanische Sculptur. Venedig.
besprechen. Ein grosses Stück der Geschichte der Sculptur lässt sich
hier mit Beispielen aus den verschiedensten Jahrhunderten belegen.
Zunächst sollen antike Bildwerke daran vorkommen. Es ist mög-
lich, dass unter den Kleinigkeiten, die an der Nordseite eingemauert
sind, sich etwas der Art befindet; dagegen sind die beiden Reliefs mit
Thaten des Hercules an der vordern Fassade wohl nichts anderes, als
sehr merkwürdige Versuche eines wohl noch mittelalterlichen Bild-
hauers (XIV. Jahrhundert?), griechische Reliefs nachzuahmen.
Altchristlich ist sodann der Architrav des äussersten untern Fas-
sadenfensters links; — er bezeichnet das äusserste plastische Unver-
mögen vielleicht des X. Jahrhunderts, das sich nur durch Zusammen-
setzung alter (und schlechter) Sarcophagbruchstücke zu helfen wusste,
um ein Stück biblischer Geschichte zusammenzubringen. Desselben
Styles ist wohl auch die Reliefplatte in der Capelle Zeno (rechts), so
wie einiges an der Nordseite der Kirche; der zum Dogengrab (Mo-
rosini) benützte Sarcophag in der Vorhalle zeigt diesen Styl gänzlich
barbarisirt.
Inzwischen griff Byzanz dem plastisch verwahrlosten Venedig
unter die Arme, durch übersandte oder von griechischen Bildhauern
an Ort und Stelle gearbeitete Reliefs (Seite 555) 1). Die Madonna in
der Capelle Zeno (links) und die fast weggeküsste am ersten Pfeiler
des rechten Querschiffes gelten als Arbeiten aus Constantinopel; eine
Anzahl Reliefplatten mit Madonnen und einzelnen Heiligen in der
Kirche (an Pfeilern und Wänden vertheilt), dann die vier Reliefs zwi-
schen den fünf untern Hauptbogen der Fassade (Madonna, S. Deme-
trius, S. Georg und S. Michael) und diejenigen an den entsprechenden
Stellen der Nordseite sind eher venezianisch-byzantinisch, nur dass die
letztgenannten sich schon wieder mehr der abendländischen Weise
zuneigen.
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1) Die beiden Porphyrreliefs, jedes mit einem sich umarmeaden Fürstenpaar,
aussen bei der Porta della Carta, angeblich von Ptolemais hergebracht und
als „Harmodius und Aristogiton“ benannt, sind wohl nichts anderes als Denk-
mäler irgend einer byzantinischen Doppelregierung, „concordiæ augustorum“.
Ähnliche Darstellungen, aus vielleicht früherer Zeit und eben so barbarisch,
findet man an zwei Porphyrsäulen in der vaticanischen Bibliothek.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/602>, abgerufen am 18.12.2024.
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