besonderm Pathos oder besonderer Verklärung, aber immer schön und bedeutend, und in der Arbeit gewissenhaft; dieser Typus bildet die feste Basis, ohne welche vielleicht die freisten, herrlichsten Madonnen des XVI. Jahrhunderts nicht so vorhanden wären wie sie sind. So- dann wurden biblische und auch legendarische Scenen im Relief be- handelt, und auf diesem Gebiet einzelne Aufgaben so vollendet geist- voll gelöst, wie vielleicht seither nie wieder.
Gerade der nächste, den wir hier zu erwähnen haben, Andrea Pisano, übertrug das Darstellungsprincip Giotto's, unter dessen nächstem Einfluss er arbeitete, mit wahrhaft hohem Bewusstsein in die bedingtern Formen der plastischen Kunst. Von ihm ist die ehernea Südthür am Baptisterium zu Florenz (1330 oder wenig später) mit den Geschichten Johannes des Täufers. Hier ist ein Fortschritt auch über Giovanni hinaus; zwar wird dessen Detailbelebung schon des kleinern Massstabes wegen nicht erreicht, allein die Grenzen des Re- liefs sind hier viel richtiger erkannt und festgehalten. Es ist vielleicht die reinste plastische Erzählung des ganzen germanischen Styles; An- drea giebt das Seinige wunderbar in Wenigem, mit dem sichersten Gefühl dessen was in dieser Gattung überhaupt zu geben war, wäh- rend Giovanni mit seinem Reichthum sich überstürzt hatte. Die Heim- suchung, die Enthauptung, die Überreichung des Hauptes (bloss zwei Figuren), die Grabtragung, die Grablegung des Johannes sind Motive von einfachster Schönheit. Die acht theologischen und moralischen Tugenden in den untern Feldern können ebenfalls in ihrer Art einzig heissen, vor allem die Figur der "Hoffnung". -- Die drei Propheten-b statuen am Campanile (Südseite) sind in ihrer Art viel weniger be- deutend.
Andrea's Sohn, Nino Pisano, erscheint eigenthümlich getheilt. Im Styl der Gewandung möchte er wohl durch Adel, Gemessenheit und schöne Durchführung den Höhepunkt der pisanischen Schule be- zeichnen; auch in den Stellungen seiner ruhigen Figuren hat er nichts von dem Gesuchten, was z. B. den spätern Arbeiten Giovanni's nach- geht; dafür ist seine Bildung der Köpfe und Hände schon auffallend realistisch. Auf dem Hauptaltar von S. Maria della Spina in Pisa istc nicht nur der Petrus mit starken Adern der Hände, mit gerunzelter Stirn, sondern auch die Madonna mit allerlei Zügen einer nicht mehr
Andrea Pisano. Nino.
besonderm Pathos oder besonderer Verklärung, aber immer schön und bedeutend, und in der Arbeit gewissenhaft; dieser Typus bildet die feste Basis, ohne welche vielleicht die freisten, herrlichsten Madonnen des XVI. Jahrhunderts nicht so vorhanden wären wie sie sind. So- dann wurden biblische und auch legendarische Scenen im Relief be- handelt, und auf diesem Gebiet einzelne Aufgaben so vollendet geist- voll gelöst, wie vielleicht seither nie wieder.
Gerade der nächste, den wir hier zu erwähnen haben, Andrea Pisano, übertrug das Darstellungsprincip Giotto’s, unter dessen nächstem Einfluss er arbeitete, mit wahrhaft hohem Bewusstsein in die bedingtern Formen der plastischen Kunst. Von ihm ist die ehernea Südthür am Baptisterium zu Florenz (1330 oder wenig später) mit den Geschichten Johannes des Täufers. Hier ist ein Fortschritt auch über Giovanni hinaus; zwar wird dessen Detailbelebung schon des kleinern Massstabes wegen nicht erreicht, allein die Grenzen des Re- liefs sind hier viel richtiger erkannt und festgehalten. Es ist vielleicht die reinste plastische Erzählung des ganzen germanischen Styles; An- drea giebt das Seinige wunderbar in Wenigem, mit dem sichersten Gefühl dessen was in dieser Gattung überhaupt zu geben war, wäh- rend Giovanni mit seinem Reichthum sich überstürzt hatte. Die Heim- suchung, die Enthauptung, die Überreichung des Hauptes (bloss zwei Figuren), die Grabtragung, die Grablegung des Johannes sind Motive von einfachster Schönheit. Die acht theologischen und moralischen Tugenden in den untern Feldern können ebenfalls in ihrer Art einzig heissen, vor allem die Figur der „Hoffnung“. — Die drei Propheten-b statuen am Campanile (Südseite) sind in ihrer Art viel weniger be- deutend.
Andrea’s Sohn, Nino Pisano, erscheint eigenthümlich getheilt. Im Styl der Gewandung möchte er wohl durch Adel, Gemessenheit und schöne Durchführung den Höhepunkt der pisanischen Schule be- zeichnen; auch in den Stellungen seiner ruhigen Figuren hat er nichts von dem Gesuchten, was z. B. den spätern Arbeiten Giovanni’s nach- geht; dafür ist seine Bildung der Köpfe und Hände schon auffallend realistisch. Auf dem Hauptaltar von S. Maria della Spina in Pisa istc nicht nur der Petrus mit starken Adern der Hände, mit gerunzelter Stirn, sondern auch die Madonna mit allerlei Zügen einer nicht mehr
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Andrea Pisano. Nino.
besonderm Pathos oder besonderer Verklärung, aber immer schön und
bedeutend, und in der Arbeit gewissenhaft; dieser Typus bildet die
feste Basis, ohne welche vielleicht die freisten, herrlichsten Madonnen
des XVI. Jahrhunderts nicht so vorhanden wären wie sie sind. So-
dann wurden biblische und auch legendarische Scenen im Relief be-
handelt, und auf diesem Gebiet einzelne Aufgaben so vollendet geist-
voll gelöst, wie vielleicht seither nie wieder.
Gerade der nächste, den wir hier zu erwähnen haben, Andrea
Pisano, übertrug das Darstellungsprincip Giotto’s, unter dessen
nächstem Einfluss er arbeitete, mit wahrhaft hohem Bewusstsein in
die bedingtern Formen der plastischen Kunst. Von ihm ist die eherne
Südthür am Baptisterium zu Florenz (1330 oder wenig später) mit
den Geschichten Johannes des Täufers. Hier ist ein Fortschritt auch
über Giovanni hinaus; zwar wird dessen Detailbelebung schon des
kleinern Massstabes wegen nicht erreicht, allein die Grenzen des Re-
liefs sind hier viel richtiger erkannt und festgehalten. Es ist vielleicht
die reinste plastische Erzählung des ganzen germanischen Styles; An-
drea giebt das Seinige wunderbar in Wenigem, mit dem sichersten
Gefühl dessen was in dieser Gattung überhaupt zu geben war, wäh-
rend Giovanni mit seinem Reichthum sich überstürzt hatte. Die Heim-
suchung, die Enthauptung, die Überreichung des Hauptes (bloss zwei
Figuren), die Grabtragung, die Grablegung des Johannes sind Motive
von einfachster Schönheit. Die acht theologischen und moralischen
Tugenden in den untern Feldern können ebenfalls in ihrer Art einzig
heissen, vor allem die Figur der „Hoffnung“. — Die drei Propheten-
statuen am Campanile (Südseite) sind in ihrer Art viel weniger be-
deutend.
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Andrea’s Sohn, Nino Pisano, erscheint eigenthümlich getheilt.
Im Styl der Gewandung möchte er wohl durch Adel, Gemessenheit
und schöne Durchführung den Höhepunkt der pisanischen Schule be-
zeichnen; auch in den Stellungen seiner ruhigen Figuren hat er nichts
von dem Gesuchten, was z. B. den spätern Arbeiten Giovanni’s nach-
geht; dafür ist seine Bildung der Köpfe und Hände schon auffallend
realistisch. Auf dem Hauptaltar von S. Maria della Spina in Pisa ist
nicht nur der Petrus mit starken Adern der Hände, mit gerunzelter
Stirn, sondern auch die Madonna mit allerlei Zügen einer nicht mehr
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/595>, abgerufen am 18.12.2024.
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