Von Giotto selbst, und zwar aus den letzten Jahren seines Le- abens (1334--36) sind die sämmtlichen Reliefs an den beiden untern Stockwerken des Campanile beim Dom von Florenz entworfen und zum Theil selbst in Marmor ausgeführt (die übrigen von Andrea Pi- sano und Spätern). Composition und plastischer Styl erregen hier ein geringeres Interesse als der Inhalt, welcher eine Art von Ency- clopädie alles profanen und heiligen Thuns der Menschen zu geben sucht. Das Einzelne findet man u. a. in Försters Handbuch verzeich- net. Bei Anlass der Malerei werden wir auf die Anschauungsweise zurückkommen, welche dergleichen Aufzählungen in der damaligen Kunst hervorrief (dergleichen auch der Brunnen von Perugia eine liefert). Jede Kunstepoche braucht einen Gedankenkreis dieser Art, an dem sich die Form entwickeln und äussern kann und der zugleich an sich ein bedeutendes culturgeschichtliches Zeugniss ist. Manche überschätzen ihn wohl auch und legen eine Tiefe hinein, die nicht darin ist.
Bei diesem Anlass eine Bemerkung über den Unterschied der christlichen und der antiken Symbolik überhaupt. Die christliche ist nicht volksthümlichen Ursprunges, nicht mit der Religion und mit der Kunst von selbst entstanden wie die antike, sondern durch Combina- tion und Abstraction Gelehrter und Wissender aus den verschiedensten Stellen der Bibel gewonnen. Schon desshalb hat sie nur eine bedingte Gültigkeit in der Kunst erreicht. Nun kam aber noch aus der gelehrten Theologie und Philosophie ein starkes Contingent abstracter allegorischer Begriffe hinzu, welche ebenfalls von der Kunst eine sinnliche Belebung verlangten. Schon im Alterthum kömmt Ähnliches vor, aber anspruch- loser und weniger buchmässig. Wenn man aber inne wird, welchen heiligen Ernst und welche Treue Giotto und die Seinigen diesem Ge- dankenkreise widmeten, so bleibt kein Zweifel, dass sie davon über- zeugt und beglückt waren. Die Gegenstände sind zeitlich bedingt, wenn nur das Gefühl, welches die Künstler daran knüpfen, ein un- endliches ist! --
Ihre plastischen Aufgaben waren allerdings viel einfacher als diejenigen auf dem Gebiete der Malerei. Es ist die immer von Neuem dargestellte Madonna zwischen anbetenden Engeln, meist in der Hal- tung, die ihr Giovanni Pisano gegeben, ohne irgend ein Streben nach
Germanische Sculptur. Giotto.
Von Giotto selbst, und zwar aus den letzten Jahren seines Le- abens (1334—36) sind die sämmtlichen Reliefs an den beiden untern Stockwerken des Campanile beim Dom von Florenz entworfen und zum Theil selbst in Marmor ausgeführt (die übrigen von Andrea Pi- sano und Spätern). Composition und plastischer Styl erregen hier ein geringeres Interesse als der Inhalt, welcher eine Art von Ency- clopädie alles profanen und heiligen Thuns der Menschen zu geben sucht. Das Einzelne findet man u. a. in Försters Handbuch verzeich- net. Bei Anlass der Malerei werden wir auf die Anschauungsweise zurückkommen, welche dergleichen Aufzählungen in der damaligen Kunst hervorrief (dergleichen auch der Brunnen von Perugia eine liefert). Jede Kunstepoche braucht einen Gedankenkreis dieser Art, an dem sich die Form entwickeln und äussern kann und der zugleich an sich ein bedeutendes culturgeschichtliches Zeugniss ist. Manche überschätzen ihn wohl auch und legen eine Tiefe hinein, die nicht darin ist.
Bei diesem Anlass eine Bemerkung über den Unterschied der christlichen und der antiken Symbolik überhaupt. Die christliche ist nicht volksthümlichen Ursprunges, nicht mit der Religion und mit der Kunst von selbst entstanden wie die antike, sondern durch Combina- tion und Abstraction Gelehrter und Wissender aus den verschiedensten Stellen der Bibel gewonnen. Schon desshalb hat sie nur eine bedingte Gültigkeit in der Kunst erreicht. Nun kam aber noch aus der gelehrten Theologie und Philosophie ein starkes Contingent abstracter allegorischer Begriffe hinzu, welche ebenfalls von der Kunst eine sinnliche Belebung verlangten. Schon im Alterthum kömmt Ähnliches vor, aber anspruch- loser und weniger buchmässig. Wenn man aber inne wird, welchen heiligen Ernst und welche Treue Giotto und die Seinigen diesem Ge- dankenkreise widmeten, so bleibt kein Zweifel, dass sie davon über- zeugt und beglückt waren. Die Gegenstände sind zeitlich bedingt, wenn nur das Gefühl, welches die Künstler daran knüpfen, ein un- endliches ist! —
Ihre plastischen Aufgaben waren allerdings viel einfacher als diejenigen auf dem Gebiete der Malerei. Es ist die immer von Neuem dargestellte Madonna zwischen anbetenden Engeln, meist in der Hal- tung, die ihr Giovanni Pisano gegeben, ohne irgend ein Streben nach
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Germanische Sculptur. Giotto.
Von Giotto selbst, und zwar aus den letzten Jahren seines Le-
bens (1334—36) sind die sämmtlichen Reliefs an den beiden untern
Stockwerken des Campanile beim Dom von Florenz entworfen und
zum Theil selbst in Marmor ausgeführt (die übrigen von Andrea Pi-
sano und Spätern). Composition und plastischer Styl erregen hier
ein geringeres Interesse als der Inhalt, welcher eine Art von Ency-
clopädie alles profanen und heiligen Thuns der Menschen zu geben
sucht. Das Einzelne findet man u. a. in Försters Handbuch verzeich-
net. Bei Anlass der Malerei werden wir auf die Anschauungsweise
zurückkommen, welche dergleichen Aufzählungen in der damaligen
Kunst hervorrief (dergleichen auch der Brunnen von Perugia eine
liefert). Jede Kunstepoche braucht einen Gedankenkreis dieser Art,
an dem sich die Form entwickeln und äussern kann und der zugleich
an sich ein bedeutendes culturgeschichtliches Zeugniss ist. Manche
überschätzen ihn wohl auch und legen eine Tiefe hinein, die nicht
darin ist.
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Bei diesem Anlass eine Bemerkung über den Unterschied der
christlichen und der antiken Symbolik überhaupt. Die christliche ist
nicht volksthümlichen Ursprunges, nicht mit der Religion und mit der
Kunst von selbst entstanden wie die antike, sondern durch Combina-
tion und Abstraction Gelehrter und Wissender aus den verschiedensten
Stellen der Bibel gewonnen. Schon desshalb hat sie nur eine bedingte
Gültigkeit in der Kunst erreicht. Nun kam aber noch aus der gelehrten
Theologie und Philosophie ein starkes Contingent abstracter allegorischer
Begriffe hinzu, welche ebenfalls von der Kunst eine sinnliche Belebung
verlangten. Schon im Alterthum kömmt Ähnliches vor, aber anspruch-
loser und weniger buchmässig. Wenn man aber inne wird, welchen
heiligen Ernst und welche Treue Giotto und die Seinigen diesem Ge-
dankenkreise widmeten, so bleibt kein Zweifel, dass sie davon über-
zeugt und beglückt waren. Die Gegenstände sind zeitlich bedingt,
wenn nur das Gefühl, welches die Künstler daran knüpfen, ein un-
endliches ist! —
Ihre plastischen Aufgaben waren allerdings viel einfacher als
diejenigen auf dem Gebiete der Malerei. Es ist die immer von Neuem
dargestellte Madonna zwischen anbetenden Engeln, meist in der Hal-
tung, die ihr Giovanni Pisano gegeben, ohne irgend ein Streben nach
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/594>, abgerufen am 18.12.2024.
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