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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Germanische Sculptur. Schule von Pisa.
men eines vollendeten Porträts verdienen, von grossem Interesse; im
Eifer des neugewonnenen Kunstvermögens hat Giovanni den Kopf und
die Hände so im Einzelnen charakterisirt, wie etwa Balth. Denner
zu thun pflegt.


Von seinen mit Namen genannten Schülern und Nachfolgern wird
das Sichere unten aufgezählt. Seine Schule als Ganzes aber giebt sich
in den zahlreichen Sculpturen des XIV. Jahrhunderts in und ausser-
ahalb Pisa kund. In Florenz gehören z. B. die Statuetten mehrerer
Gräber zu S. Croce wahrscheinlich hieher; die grosse plastische Werk-
statt war eben damals überhaupt Pisa und nicht Florenz, sodass
auch die geborenen Florentiner dort Lehre und Anregung empfangen
mochten.

In Pisa haben, wie es scheint, verschiedene Schüler noch bei
Giovanni's Lebzeiten die vielen Statuetten an der Aussenseite der
bvon ihm erbauten S. Maria della Spina verfertigt, die denn auch
von sehr verschiedener Güte sind. Ganz trefflich und rein einige der
zwölf gegen den Christus in der Mitte gewendeten Apostel, auch
einiges am vordern Giebel.

Noch unter Giovanni's Einfluss möchte auch die liegende Grab-
cstatue Heinrichs VII im Camposanto mit dem edel gewendeten
Haupt und dem ganz vorzüglich drapirten Kaisermantel gearbeitet
sein; die Apostel am Sarcophag zeigen unmittelbar den Styl seiner
Schule. (Die sitzende Statue desselben Kaisers am andern Ende des
Gebäudes ist nebst ihren Begleitern ein rohes Werk dieser Zeit.)

Die spätere Zeit der Schule giebt sich u. a. durch ein zierliches
Raffinement der Gewandung kund, wie diess z. B. an der schönen
d(verstümmelten) Madonna im Camposanto N. 179 zu bemerken ist,
auch an der Gruppe eines Apostels mit zwei Propheten N. 69 u. s. w.

Alles in Allem gerechnet, ist Giovanni der einflussreichste Künst-
ler seiner Zeit gewesen. Ohne ihn hätte es keinen Giotto gegeben
oder einen andern und befangenern. -- Giotto verdankt ihm gewiss
mehr als seinem Lehrer Cimabue.


Germanische Sculptur. Schule von Pisa.
men eines vollendeten Porträts verdienen, von grossem Interesse; im
Eifer des neugewonnenen Kunstvermögens hat Giovanni den Kopf und
die Hände so im Einzelnen charakterisirt, wie etwa Balth. Denner
zu thun pflegt.


Von seinen mit Namen genannten Schülern und Nachfolgern wird
das Sichere unten aufgezählt. Seine Schule als Ganzes aber giebt sich
in den zahlreichen Sculpturen des XIV. Jahrhunderts in und ausser-
ahalb Pisa kund. In Florenz gehören z. B. die Statuetten mehrerer
Gräber zu S. Croce wahrscheinlich hieher; die grosse plastische Werk-
statt war eben damals überhaupt Pisa und nicht Florenz, sodass
auch die geborenen Florentiner dort Lehre und Anregung empfangen
mochten.

In Pisa haben, wie es scheint, verschiedene Schüler noch bei
Giovanni’s Lebzeiten die vielen Statuetten an der Aussenseite der
bvon ihm erbauten S. Maria della Spina verfertigt, die denn auch
von sehr verschiedener Güte sind. Ganz trefflich und rein einige der
zwölf gegen den Christus in der Mitte gewendeten Apostel, auch
einiges am vordern Giebel.

Noch unter Giovanni’s Einfluss möchte auch die liegende Grab-
cstatue Heinrichs VII im Camposanto mit dem edel gewendeten
Haupt und dem ganz vorzüglich drapirten Kaisermantel gearbeitet
sein; die Apostel am Sarcophag zeigen unmittelbar den Styl seiner
Schule. (Die sitzende Statue desselben Kaisers am andern Ende des
Gebäudes ist nebst ihren Begleitern ein rohes Werk dieser Zeit.)

Die spätere Zeit der Schule giebt sich u. a. durch ein zierliches
Raffinement der Gewandung kund, wie diess z. B. an der schönen
d(verstümmelten) Madonna im Camposanto N. 179 zu bemerken ist,
auch an der Gruppe eines Apostels mit zwei Propheten N. 69 u. s. w.

Alles in Allem gerechnet, ist Giovanni der einflussreichste Künst-
ler seiner Zeit gewesen. Ohne ihn hätte es keinen Giotto gegeben
oder einen andern und befangenern. — Giotto verdankt ihm gewiss
mehr als seinem Lehrer Cimabue.


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[570/0592] Germanische Sculptur. Schule von Pisa. men eines vollendeten Porträts verdienen, von grossem Interesse; im Eifer des neugewonnenen Kunstvermögens hat Giovanni den Kopf und die Hände so im Einzelnen charakterisirt, wie etwa Balth. Denner zu thun pflegt. Von seinen mit Namen genannten Schülern und Nachfolgern wird das Sichere unten aufgezählt. Seine Schule als Ganzes aber giebt sich in den zahlreichen Sculpturen des XIV. Jahrhunderts in und ausser- halb Pisa kund. In Florenz gehören z. B. die Statuetten mehrerer Gräber zu S. Croce wahrscheinlich hieher; die grosse plastische Werk- statt war eben damals überhaupt Pisa und nicht Florenz, sodass auch die geborenen Florentiner dort Lehre und Anregung empfangen mochten. a In Pisa haben, wie es scheint, verschiedene Schüler noch bei Giovanni’s Lebzeiten die vielen Statuetten an der Aussenseite der von ihm erbauten S. Maria della Spina verfertigt, die denn auch von sehr verschiedener Güte sind. Ganz trefflich und rein einige der zwölf gegen den Christus in der Mitte gewendeten Apostel, auch einiges am vordern Giebel. b Noch unter Giovanni’s Einfluss möchte auch die liegende Grab- statue Heinrichs VII im Camposanto mit dem edel gewendeten Haupt und dem ganz vorzüglich drapirten Kaisermantel gearbeitet sein; die Apostel am Sarcophag zeigen unmittelbar den Styl seiner Schule. (Die sitzende Statue desselben Kaisers am andern Ende des Gebäudes ist nebst ihren Begleitern ein rohes Werk dieser Zeit.) c Die spätere Zeit der Schule giebt sich u. a. durch ein zierliches Raffinement der Gewandung kund, wie diess z. B. an der schönen (verstümmelten) Madonna im Camposanto N. 179 zu bemerken ist, auch an der Gruppe eines Apostels mit zwei Propheten N. 69 u. s. w. d Alles in Allem gerechnet, ist Giovanni der einflussreichste Künst- ler seiner Zeit gewesen. Ohne ihn hätte es keinen Giotto gegeben oder einen andern und befangenern. — Giotto verdankt ihm gewiss mehr als seinem Lehrer Cimabue.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/592>, abgerufen am 16.06.2024.