eigentliche Schönheit aus; im Nackten ist er Naturalist, in den Köpfen mehr lebendig und (wo der Gegenstand es gestattet) jugendlich voll, als holdselig. Immer aber sind die conventionellen byzantinischen, die rohen romanischen Formen durch seinen Vater und durch ihn ent- schieden beseitigt.
In Pisa selbst werden dem Giovanni noch mehrere Madonnen zugeschrieben: diejenige auf dem Vordergiebel des Domes; die thro-a nende Madonna mit Engeln in dem Baldachin über der einen Thürb des Camposanto (für ihn zu leblos). (Vasari führt noch andere Ma- donnen an.)
Einen nahen Anspruch auf seinen Namen möchten die Propheten- figuren in den Füllungen zweier Beichtstühle zu S. Micchele in Borgoc haben.
Wie weit die ihm beigelegten Arbeiten im Camposanto ihmd angehören, ist schwer zu entscheiden. Am ehesten wohl die edle Statuette des Petrus (bei II.), vielleicht auch die bedeutende Gruppe (N. 47) einer Caritas, über den zusammengestellten Figuren der vier Cardinaltugenden, so viel harte Manier auch darin sein mag; sie könnte etwa für hohe, entfernte Aufstellung berechnet gewesen sein. (Die Nackte von den untern Figuren verräth die Nachbildung eines Venus- motives, in Giovanni's Formen.) Auch bei dem Heiligen mit der Wage (N. 136) über einer Basis mit den sieben freien Wissenschaften (nebst der Philosophie als Königin) wird man am ehesten an Giovanni denken dürfen. Vollends kann der barocke Hercules (N. 2) kaum von einem andern sein als von dem Sohne Niccolo Pisano's; Kopf und Seitenprofil des Ganzen sind der Antike entnommen, die magere Bil- dung durchaus naturalistisch.
Auch das Weihbecken mit den Statuen der vier Evangelisten ime rechten Querschiff des Domes steht der Art Giovanni's noch sehr nahe.
In Padua findet sich noch ein bezeichnetes Werk Giovanni's: "Joh'is magistri Nicoli"; nämlich das Grabmal des Errico Scrovegnof hinter dem Altar in Madonna dell' Arena (1321). Maria, im Gespräch mit dem ganz bekleideten Kinde auf ihrem Arm, und die beiden En- gel sind nicht bloss in der Art, sondern recht sehr in der Manier des Meisters; die Statue des Verstorbenen dagegen ist als eines der frühsten Werke welche seit Untergang der römischen Kunst den Na-
Giovanni Pisano.
eigentliche Schönheit aus; im Nackten ist er Naturalist, in den Köpfen mehr lebendig und (wo der Gegenstand es gestattet) jugendlich voll, als holdselig. Immer aber sind die conventionellen byzantinischen, die rohen romanischen Formen durch seinen Vater und durch ihn ent- schieden beseitigt.
In Pisa selbst werden dem Giovanni noch mehrere Madonnen zugeschrieben: diejenige auf dem Vordergiebel des Domes; die thro-a nende Madonna mit Engeln in dem Baldachin über der einen Thürb des Camposanto (für ihn zu leblos). (Vasari führt noch andere Ma- donnen an.)
Einen nahen Anspruch auf seinen Namen möchten die Propheten- figuren in den Füllungen zweier Beichtstühle zu S. Micchele in Borgoc haben.
Wie weit die ihm beigelegten Arbeiten im Camposanto ihmd angehören, ist schwer zu entscheiden. Am ehesten wohl die edle Statuette des Petrus (bei II.), vielleicht auch die bedeutende Gruppe (N. 47) einer Caritas, über den zusammengestellten Figuren der vier Cardinaltugenden, so viel harte Manier auch darin sein mag; sie könnte etwa für hohe, entfernte Aufstellung berechnet gewesen sein. (Die Nackte von den untern Figuren verräth die Nachbildung eines Venus- motives, in Giovanni’s Formen.) Auch bei dem Heiligen mit der Wage (N. 136) über einer Basis mit den sieben freien Wissenschaften (nebst der Philosophie als Königin) wird man am ehesten an Giovanni denken dürfen. Vollends kann der barocke Hercules (N. 2) kaum von einem andern sein als von dem Sohne Niccolò Pisano’s; Kopf und Seitenprofil des Ganzen sind der Antike entnommen, die magere Bil- dung durchaus naturalistisch.
Auch das Weihbecken mit den Statuen der vier Evangelisten ime rechten Querschiff des Domes steht der Art Giovanni’s noch sehr nahe.
In Padua findet sich noch ein bezeichnetes Werk Giovanni’s: „Joh’is magistri Nicoli“; nämlich das Grabmal des Errico Scrovegnof hinter dem Altar in Madonna dell’ Arena (1321). Maria, im Gespräch mit dem ganz bekleideten Kinde auf ihrem Arm, und die beiden En- gel sind nicht bloss in der Art, sondern recht sehr in der Manier des Meisters; die Statue des Verstorbenen dagegen ist als eines der frühsten Werke welche seit Untergang der römischen Kunst den Na-
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[569/0591]
Giovanni Pisano.
eigentliche Schönheit aus; im Nackten ist er Naturalist, in den Köpfen
mehr lebendig und (wo der Gegenstand es gestattet) jugendlich voll,
als holdselig. Immer aber sind die conventionellen byzantinischen, die
rohen romanischen Formen durch seinen Vater und durch ihn ent-
schieden beseitigt.
In Pisa selbst werden dem Giovanni noch mehrere Madonnen
zugeschrieben: diejenige auf dem Vordergiebel des Domes; die thro-
nende Madonna mit Engeln in dem Baldachin über der einen Thür
des Camposanto (für ihn zu leblos). (Vasari führt noch andere Ma-
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figuren in den Füllungen zweier Beichtstühle zu S. Micchele in Borgo
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Wie weit die ihm beigelegten Arbeiten im Camposanto ihm
angehören, ist schwer zu entscheiden. Am ehesten wohl die edle
Statuette des Petrus (bei II.), vielleicht auch die bedeutende Gruppe
(N. 47) einer Caritas, über den zusammengestellten Figuren der vier
Cardinaltugenden, so viel harte Manier auch darin sein mag; sie könnte
etwa für hohe, entfernte Aufstellung berechnet gewesen sein. (Die
Nackte von den untern Figuren verräth die Nachbildung eines Venus-
motives, in Giovanni’s Formen.) Auch bei dem Heiligen mit der
Wage (N. 136) über einer Basis mit den sieben freien Wissenschaften
(nebst der Philosophie als Königin) wird man am ehesten an Giovanni
denken dürfen. Vollends kann der barocke Hercules (N. 2) kaum von
einem andern sein als von dem Sohne Niccolò Pisano’s; Kopf und
Seitenprofil des Ganzen sind der Antike entnommen, die magere Bil-
dung durchaus naturalistisch.
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Auch das Weihbecken mit den Statuen der vier Evangelisten im
rechten Querschiff des Domes steht der Art Giovanni’s noch sehr nahe.
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In Padua findet sich noch ein bezeichnetes Werk Giovanni’s:
„Joh’is magistri Nicoli“; nämlich das Grabmal des Errico Scrovegno
hinter dem Altar in Madonna dell’ Arena (1321). Maria, im Gespräch
mit dem ganz bekleideten Kinde auf ihrem Arm, und die beiden En-
gel sind nicht bloss in der Art, sondern recht sehr in der Manier
des Meisters; die Statue des Verstorbenen dagegen ist als eines der
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/591>, abgerufen am 16.06.2024.
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