Bildung des Einzelnen ist hier so vorzüglich und so sehr von antiken Nachklängen beseelt, als an den Arbeiten in Toscana. Dagegen zeigen die Reliefs der Schmalseiten und der Rückseite eine viel geringere Arbeit; wenn sie auch unter Niccolo's Aufsicht entstanden sein mö- gen, von seiner Hand sind sie nicht. Die Zwischenstatuetten endlich erscheinen schon als Werke des entwickelten pisanischen Styles und könnten bei ihrer Vortrefflichkeit wohl von Giovanni herrühren.
(Im Camposanto zu Pisa wird dem Niccolo noch das unvollendetea Relief einer Geburt Christi, N. XVIII, zugeschrieben.)
Den Übergang aus der Weise des Niccolo Pisano in die seines Sohnes Giovanni macht die Kanzel im Dom von Siena, an welcherb sie in der That Beide gearbeitet haben (1266? oder eher später?). Das Antikisirende ist hier schon ein halb erlöschender Nachklang und selbst in den ruhigen allegorischen Figuren nur noch stellenweise kenntlich; der jüngere Meister des dramatischen Ausdruckes behält das Feld. Die Löwen und Löwinnen, auf welchen die Säulen hier und an den Pisaner Kanzeln ruhen, sind vielleicht die ersten, und zwar durch antike Anregung ganz lebendig gewordenen Thierbilder des Mittelalters; die architektonische Anordnung des Ganzen vorzüglich.
Andern Nachfolgern scheint die Weise Niccolo's mehr imponirt zu haben als dem eigenen Sohn desselben. So dem Verfertiger der Kanzel von S. Giovanni fuoricivitas in Pistoja (1270), an welcherc sich wieder einige direkte Nachahmungen antiker Sarcophagfiguren finden 1). Das Werk als Ganzes ist ziemlich geistlos, zum Beweis dass man ein N. Pisano sein musste, um damals mit der Antike etwas Rechtes anzufangen.
Wo diese Zeit eigentlich hinauswollte, zeigt sich klar und voll- ständig in den Malereien Giotto's und seiner Schule, auf deren Be- sprechung (s. unten) wir hier der Kürze halb verweisen. Indess hat die Sculptur hier nicht nur, wie gewöhnlich, die zeitliche Priorität vor der Malerei voraus, sondern sie offenbart auch ganz eigenthüm- liche Züge, welche Erörterung verlangen.
1) Laut Vasari von einem Deutschen.
in Bologna und Siena.
Bildung des Einzelnen ist hier so vorzüglich und so sehr von antiken Nachklängen beseelt, als an den Arbeiten in Toscana. Dagegen zeigen die Reliefs der Schmalseiten und der Rückseite eine viel geringere Arbeit; wenn sie auch unter Niccolò’s Aufsicht entstanden sein mö- gen, von seiner Hand sind sie nicht. Die Zwischenstatuetten endlich erscheinen schon als Werke des entwickelten pisanischen Styles und könnten bei ihrer Vortrefflichkeit wohl von Giovanni herrühren.
(Im Camposanto zu Pisa wird dem Niccolò noch das unvollendetea Relief einer Geburt Christi, N. XVIII, zugeschrieben.)
Den Übergang aus der Weise des Niccolò Pisano in die seines Sohnes Giovanni macht die Kanzel im Dom von Siena, an welcherb sie in der That Beide gearbeitet haben (1266? oder eher später?). Das Antikisirende ist hier schon ein halb erlöschender Nachklang und selbst in den ruhigen allegorischen Figuren nur noch stellenweise kenntlich; der jüngere Meister des dramatischen Ausdruckes behält das Feld. Die Löwen und Löwinnen, auf welchen die Säulen hier und an den Pisaner Kanzeln ruhen, sind vielleicht die ersten, und zwar durch antike Anregung ganz lebendig gewordenen Thierbilder des Mittelalters; die architektonische Anordnung des Ganzen vorzüglich.
Andern Nachfolgern scheint die Weise Niccolò’s mehr imponirt zu haben als dem eigenen Sohn desselben. So dem Verfertiger der Kanzel von S. Giovanni fuoricivitas in Pistoja (1270), an welcherc sich wieder einige direkte Nachahmungen antiker Sarcophagfiguren finden 1). Das Werk als Ganzes ist ziemlich geistlos, zum Beweis dass man ein N. Pisano sein musste, um damals mit der Antike etwas Rechtes anzufangen.
Wo diese Zeit eigentlich hinauswollte, zeigt sich klar und voll- ständig in den Malereien Giotto’s und seiner Schule, auf deren Be- sprechung (s. unten) wir hier der Kürze halb verweisen. Indess hat die Sculptur hier nicht nur, wie gewöhnlich, die zeitliche Priorität vor der Malerei voraus, sondern sie offenbart auch ganz eigenthüm- liche Züge, welche Erörterung verlangen.
1) Laut Vasari von einem Deutschen.
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in Bologna und Siena.
Bildung des Einzelnen ist hier so vorzüglich und so sehr von antiken
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die Reliefs der Schmalseiten und der Rückseite eine viel geringere
Arbeit; wenn sie auch unter Niccolò’s Aufsicht entstanden sein mö-
gen, von seiner Hand sind sie nicht. Die Zwischenstatuetten endlich
erscheinen schon als Werke des entwickelten pisanischen Styles und
könnten bei ihrer Vortrefflichkeit wohl von Giovanni herrühren.
(Im Camposanto zu Pisa wird dem Niccolò noch das unvollendete
Relief einer Geburt Christi, N. XVIII, zugeschrieben.)
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Den Übergang aus der Weise des Niccolò Pisano in die seines
Sohnes Giovanni macht die Kanzel im Dom von Siena, an welcher
sie in der That Beide gearbeitet haben (1266? oder eher später?).
Das Antikisirende ist hier schon ein halb erlöschender Nachklang und
selbst in den ruhigen allegorischen Figuren nur noch stellenweise
kenntlich; der jüngere Meister des dramatischen Ausdruckes behält
das Feld. Die Löwen und Löwinnen, auf welchen die Säulen hier
und an den Pisaner Kanzeln ruhen, sind vielleicht die ersten, und
zwar durch antike Anregung ganz lebendig gewordenen Thierbilder des
Mittelalters; die architektonische Anordnung des Ganzen vorzüglich.
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Andern Nachfolgern scheint die Weise Niccolò’s mehr imponirt
zu haben als dem eigenen Sohn desselben. So dem Verfertiger der
Kanzel von S. Giovanni fuoricivitas in Pistoja (1270), an welcher
sich wieder einige direkte Nachahmungen antiker Sarcophagfiguren
finden 1). Das Werk als Ganzes ist ziemlich geistlos, zum Beweis
dass man ein N. Pisano sein musste, um damals mit der Antike etwas
Rechtes anzufangen.
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Wo diese Zeit eigentlich hinauswollte, zeigt sich klar und voll-
ständig in den Malereien Giotto’s und seiner Schule, auf deren Be-
sprechung (s. unten) wir hier der Kürze halb verweisen. Indess hat
die Sculptur hier nicht nur, wie gewöhnlich, die zeitliche Priorität
vor der Malerei voraus, sondern sie offenbart auch ganz eigenthüm-
liche Züge, welche Erörterung verlangen.
1) Laut Vasari von einem Deutschen.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/587>, abgerufen am 16.07.2024.
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