pforten, wurde der Sculptur grossentheils entzogen, indem man die heil. Figuren und Geschichten durch eingelegte Fäden und (für das Nackte) Flächen von Silber oder Gold darstellte. (Thüren von S. Marcoa in Venedig, an den Domen von Amalfi, Salerno etc., ehemals auchb an S. Paul bei Rom.) Was daneben von Reliefs an gegossenen Thür- flügeln vorkömmt (hintere Thür am Dom von Pisa, XII. Jahrhundert,c von Bonannus etc.; Pforten von S. Zeno in Verona) lässt diese Ein-d busse kaum bedauern 1). -- Der schöne baumförmige Bronze-Cande- laber im linken Querschiff des Domes von Mailand ist sammt seinene zahlreichen Figürchen wohl erst aus dem XIII. Jahrhundert, dem Zeitalter, da die Sculptur anderweitig wieder zu einem neuen Leben erwacht war.
Die Hauptbedingung dieses Erwachens war offenbar die Rück- kehr zur Steinsculptur, und diese konnte erst im Zusammenhang mit einer neuen Entwicklung der kirchlichen Baukunst eintreten.
Der entscheidende Schritt geschah in Toscana und der Lombar- dei, während des XI. und XII. Jahrhunderts, hauptsächlich mit der Schöpfung eines neuen Fassaden- und Portalbaues, welcher die Sculp- tur erst mässig und dann im Grossen in Anspruch nahm. Auch das Innere der Kirchen, aus der bisherigen engen Pracht von Gold und Mosaiken in das Grossräumige und Einfache übergehend, verlangte von der Sculptur jetzt wieder marmorne Altäre, Kanzeln und Grab- mäler, während zugleich das Mosaik dem Fresco allgemach die Stelle räumte.
Die Aufgabe der Bildhauer war und blieb aber geraume Zeit noch dieselbe wie früher: Ausdruck der kirchlichen Ideen durch das Viele, durch ganze Systeme und Kreise von Gestalten und Historien. Es handelte sich nun darum, ob sie in dauernder Abhängigkeit von der Malerei verharren oder innerhalb der unvermeidlichen Schranken ihre eigenen Gesetze nach Kräften entwickeln würde.
1) Und doch liegt überall ein Goldkorn, wo man sucht. Der alte Bonannus hat z. B. bei der Transfiguration die drei Jünger mit der Geberde des tiefsten Sinnens, die Hand am Bart, mit geschlossenen Augen dargestellt.
Erzguss. — Erwachen des romanischen Styles.
pforten, wurde der Sculptur grossentheils entzogen, indem man die heil. Figuren und Geschichten durch eingelegte Fäden und (für das Nackte) Flächen von Silber oder Gold darstellte. (Thüren von S. Marcoa in Venedig, an den Domen von Amalfi, Salerno etc., ehemals auchb an S. Paul bei Rom.) Was daneben von Reliefs an gegossenen Thür- flügeln vorkömmt (hintere Thür am Dom von Pisa, XII. Jahrhundert,c von Bonannus etc.; Pforten von S. Zeno in Verona) lässt diese Ein-d busse kaum bedauern 1). — Der schöne baumförmige Bronze-Cande- laber im linken Querschiff des Domes von Mailand ist sammt seinene zahlreichen Figürchen wohl erst aus dem XIII. Jahrhundert, dem Zeitalter, da die Sculptur anderweitig wieder zu einem neuen Leben erwacht war.
Die Hauptbedingung dieses Erwachens war offenbar die Rück- kehr zur Steinsculptur, und diese konnte erst im Zusammenhang mit einer neuen Entwicklung der kirchlichen Baukunst eintreten.
Der entscheidende Schritt geschah in Toscana und der Lombar- dei, während des XI. und XII. Jahrhunderts, hauptsächlich mit der Schöpfung eines neuen Fassaden- und Portalbaues, welcher die Sculp- tur erst mässig und dann im Grossen in Anspruch nahm. Auch das Innere der Kirchen, aus der bisherigen engen Pracht von Gold und Mosaiken in das Grossräumige und Einfache übergehend, verlangte von der Sculptur jetzt wieder marmorne Altäre, Kanzeln und Grab- mäler, während zugleich das Mosaik dem Fresco allgemach die Stelle räumte.
Die Aufgabe der Bildhauer war und blieb aber geraume Zeit noch dieselbe wie früher: Ausdruck der kirchlichen Ideen durch das Viele, durch ganze Systeme und Kreise von Gestalten und Historien. Es handelte sich nun darum, ob sie in dauernder Abhängigkeit von der Malerei verharren oder innerhalb der unvermeidlichen Schranken ihre eigenen Gesetze nach Kräften entwickeln würde.
1) Und doch liegt überall ein Goldkorn, wo man sucht. Der alte Bonannus hat z. B. bei der Transfiguration die drei Jünger mit der Geberde des tiefsten Sinnens, die Hand am Bart, mit geschlossenen Augen dargestellt.
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Erzguss. — Erwachen des romanischen Styles.
pforten, wurde der Sculptur grossentheils entzogen, indem man die
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Nackte) Flächen von Silber oder Gold darstellte. (Thüren von S. Marco
in Venedig, an den Domen von Amalfi, Salerno etc., ehemals auch
an S. Paul bei Rom.) Was daneben von Reliefs an gegossenen Thür-
flügeln vorkömmt (hintere Thür am Dom von Pisa, XII. Jahrhundert,
von Bonannus etc.; Pforten von S. Zeno in Verona) lässt diese Ein-
busse kaum bedauern 1). — Der schöne baumförmige Bronze-Cande-
laber im linken Querschiff des Domes von Mailand ist sammt seinen
zahlreichen Figürchen wohl erst aus dem XIII. Jahrhundert, dem
Zeitalter, da die Sculptur anderweitig wieder zu einem neuen Leben
erwacht war.
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kehr zur Steinsculptur, und diese konnte erst im Zusammenhang mit
einer neuen Entwicklung der kirchlichen Baukunst eintreten.
Der entscheidende Schritt geschah in Toscana und der Lombar-
dei, während des XI. und XII. Jahrhunderts, hauptsächlich mit der
Schöpfung eines neuen Fassaden- und Portalbaues, welcher die Sculp-
tur erst mässig und dann im Grossen in Anspruch nahm. Auch das
Innere der Kirchen, aus der bisherigen engen Pracht von Gold und
Mosaiken in das Grossräumige und Einfache übergehend, verlangte
von der Sculptur jetzt wieder marmorne Altäre, Kanzeln und Grab-
mäler, während zugleich das Mosaik dem Fresco allgemach die Stelle
räumte.
Die Aufgabe der Bildhauer war und blieb aber geraume Zeit noch
dieselbe wie früher: Ausdruck der kirchlichen Ideen durch das Viele,
durch ganze Systeme und Kreise von Gestalten und Historien. Es
handelte sich nun darum, ob sie in dauernder Abhängigkeit von der
Malerei verharren oder innerhalb der unvermeidlichen Schranken ihre
eigenen Gesetze nach Kräften entwickeln würde.
1) Und doch liegt überall ein Goldkorn, wo man sucht. Der alte Bonannus hat
z. B. bei der Transfiguration die drei Jünger mit der Geberde des tiefsten
Sinnens, die Hand am Bart, mit geschlossenen Augen dargestellt.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/581>, abgerufen am 18.12.2024.
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