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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Sculptur des Mittelalters. Altäre. Throne.

Die kostbarern Altäre erhielten bis ins XII. Jahrhundert einen
Überzug auf allen vier Seiten oder doch auf der Vorderseite des Tisches,
womöglich von Goldblech, mit einer Reihe von Figuren oder von
ganzen Historien in getriebener Arbeit; die Einrahmungen wurden mit
Email, auch mit aufgenieteten antiken Gemmen verziert. Die einzige
vollständig erhaltene Bekleidung dieser Art, von einem Künstler Volf-
avinus, aus der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts, umgiebt den Hoch-
altar von S. Ambrogio in Mailand, welcher ausserdem durch die gleich-
zeitigen, bemalten, ziemlich sorgfältigen Steinsculpturen seines Giebels
merkwürdig ist. Als Bild des Kunstvermögens der carolingischen
Epoche ergiebt sich daraus eine sonderbare Mischung von classischen
Reminiscenzen, eigenthümlichem Ungeschick und byzantinischer Zier-
blichkeit. -- Der Altarvorsatz (pala d'oro) von S. Marco zu Venedig, ein
Werk des X. Jahrhunderts aus Constantinopel, enthält bloss äusserst
saubere Emailgemälde auf zahlreichen Goldplatten; sein bronzener und
vergoldeter Deckel dagegen, eine gute venezianische Arbeit des XIV.
Jahrhunderts, zeigt in den Hochrelieffiguren der Apostel den ent-
cwickelten germanischen Styl. -- Ein Altarvorsatz von Elfenbein mit
vielen Historien (XII. Jahrhundert) in der Sacristei des Domes von
Salerno. -- Bei spärlichen Mitteln vertrat auch wohl Stucco, Vergol-
dung und Malerei das Relief und Email aus edlerm Stoffe. Ein Al-
dtarvorsatz dieser Art, datirt 1215, in der Acad zu Siena, erster Raum.
-- Über das Bauliche der Altäre vgl. S. 79, 97 u. f.

Kleine Hausaltärchen, meist mit schliessbaren Seitenflügeln
e(als Triptychen), wurden vorzüglich aus Elfenbein verfertigt. Das
Museo cristiano des Vaticans enthält unter mehrern Beispielen aus
verschiedenen Jahrhunderten ein sehr ausgezeichnetes byzantinisches
Triptychon von der delicatesten Behandlung. Die Anwendung des Elfen-
beins zu kleinen Altären hat übrigens bekanntlich nie ganz aufgehört.

Bischöfliche Throne erhielten bisweilen eine ganze oder theil-
weise Bekleidung mit Elfenbeinplatten, auf welchen Figuren und ganze
fGeschichten eingeschnitten sind. Dieser Art ist der Thron des heil.
Maximian in der Sacristei des Domes von Ravenna, mit Reliefs von
verschiedenen Händen (wie es scheint) des IV. bis VI. Jahrhunderts;
das Beste die Einzelgestalten an der Vorderwand unten. Auch der
gThron des heil. Petrus, welcher in Bernini's colossale Erzdecoration

Sculptur des Mittelalters. Altäre. Throne.

Die kostbarern Altäre erhielten bis ins XII. Jahrhundert einen
Überzug auf allen vier Seiten oder doch auf der Vorderseite des Tisches,
womöglich von Goldblech, mit einer Reihe von Figuren oder von
ganzen Historien in getriebener Arbeit; die Einrahmungen wurden mit
Email, auch mit aufgenieteten antiken Gemmen verziert. Die einzige
vollständig erhaltene Bekleidung dieser Art, von einem Künstler Volf-
avinus, aus der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts, umgiebt den Hoch-
altar von S. Ambrogio in Mailand, welcher ausserdem durch die gleich-
zeitigen, bemalten, ziemlich sorgfältigen Steinsculpturen seines Giebels
merkwürdig ist. Als Bild des Kunstvermögens der carolingischen
Epoche ergiebt sich daraus eine sonderbare Mischung von classischen
Reminiscenzen, eigenthümlichem Ungeschick und byzantinischer Zier-
blichkeit. — Der Altarvorsatz (pala d’oro) von S. Marco zu Venedig, ein
Werk des X. Jahrhunderts aus Constantinopel, enthält bloss äusserst
saubere Emailgemälde auf zahlreichen Goldplatten; sein bronzener und
vergoldeter Deckel dagegen, eine gute venezianische Arbeit des XIV.
Jahrhunderts, zeigt in den Hochrelieffiguren der Apostel den ent-
cwickelten germanischen Styl. — Ein Altarvorsatz von Elfenbein mit
vielen Historien (XII. Jahrhundert) in der Sacristei des Domes von
Salerno. — Bei spärlichen Mitteln vertrat auch wohl Stucco, Vergol-
dung und Malerei das Relief und Email aus edlerm Stoffe. Ein Al-
dtarvorsatz dieser Art, datirt 1215, in der Acad zu Siena, erster Raum.
— Über das Bauliche der Altäre vgl. S. 79, 97 u. f.

Kleine Hausaltärchen, meist mit schliessbaren Seitenflügeln
e(als Triptychen), wurden vorzüglich aus Elfenbein verfertigt. Das
Museo cristiano des Vaticans enthält unter mehrern Beispielen aus
verschiedenen Jahrhunderten ein sehr ausgezeichnetes byzantinisches
Triptychon von der delicatesten Behandlung. Die Anwendung des Elfen-
beins zu kleinen Altären hat übrigens bekanntlich nie ganz aufgehört.

Bischöfliche Throne erhielten bisweilen eine ganze oder theil-
weise Bekleidung mit Elfenbeinplatten, auf welchen Figuren und ganze
fGeschichten eingeschnitten sind. Dieser Art ist der Thron des heil.
Maximian in der Sacristei des Domes von Ravenna, mit Reliefs von
verschiedenen Händen (wie es scheint) des IV. bis VI. Jahrhunderts;
das Beste die Einzelgestalten an der Vorderwand unten. Auch der
gThron des heil. Petrus, welcher in Bernini’s colossale Erzdecoration

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[556/0578] Sculptur des Mittelalters. Altäre. Throne. Die kostbarern Altäre erhielten bis ins XII. Jahrhundert einen Überzug auf allen vier Seiten oder doch auf der Vorderseite des Tisches, womöglich von Goldblech, mit einer Reihe von Figuren oder von ganzen Historien in getriebener Arbeit; die Einrahmungen wurden mit Email, auch mit aufgenieteten antiken Gemmen verziert. Die einzige vollständig erhaltene Bekleidung dieser Art, von einem Künstler Volf- vinus, aus der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts, umgiebt den Hoch- altar von S. Ambrogio in Mailand, welcher ausserdem durch die gleich- zeitigen, bemalten, ziemlich sorgfältigen Steinsculpturen seines Giebels merkwürdig ist. Als Bild des Kunstvermögens der carolingischen Epoche ergiebt sich daraus eine sonderbare Mischung von classischen Reminiscenzen, eigenthümlichem Ungeschick und byzantinischer Zier- lichkeit. — Der Altarvorsatz (pala d’oro) von S. Marco zu Venedig, ein Werk des X. Jahrhunderts aus Constantinopel, enthält bloss äusserst saubere Emailgemälde auf zahlreichen Goldplatten; sein bronzener und vergoldeter Deckel dagegen, eine gute venezianische Arbeit des XIV. Jahrhunderts, zeigt in den Hochrelieffiguren der Apostel den ent- wickelten germanischen Styl. — Ein Altarvorsatz von Elfenbein mit vielen Historien (XII. Jahrhundert) in der Sacristei des Domes von Salerno. — Bei spärlichen Mitteln vertrat auch wohl Stucco, Vergol- dung und Malerei das Relief und Email aus edlerm Stoffe. Ein Al- tarvorsatz dieser Art, datirt 1215, in der Acad zu Siena, erster Raum. — Über das Bauliche der Altäre vgl. S. 79, 97 u. f. a b c d Kleine Hausaltärchen, meist mit schliessbaren Seitenflügeln (als Triptychen), wurden vorzüglich aus Elfenbein verfertigt. Das Museo cristiano des Vaticans enthält unter mehrern Beispielen aus verschiedenen Jahrhunderten ein sehr ausgezeichnetes byzantinisches Triptychon von der delicatesten Behandlung. Die Anwendung des Elfen- beins zu kleinen Altären hat übrigens bekanntlich nie ganz aufgehört. e Bischöfliche Throne erhielten bisweilen eine ganze oder theil- weise Bekleidung mit Elfenbeinplatten, auf welchen Figuren und ganze Geschichten eingeschnitten sind. Dieser Art ist der Thron des heil. Maximian in der Sacristei des Domes von Ravenna, mit Reliefs von verschiedenen Händen (wie es scheint) des IV. bis VI. Jahrhunderts; das Beste die Einzelgestalten an der Vorderwand unten. Auch der Thron des heil. Petrus, welcher in Bernini’s colossale Erzdecoration f g

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/578>, abgerufen am 16.06.2024.