Die ältern dieser Sarcophage zeigen ganz dieselbe fortlaufende Erzählungsweise mit Vereinigung mehrerer dichtgedrängter und be- wegter Scenen auf demselben Raum, wie die spätheidnischen Arbei- ten. Der etwas stenographische Vortrag dieser Ereignisse wird selbst dem bibelfesten Beschauer einigermassen zu schaffen machen; auch die beständige Gegenüberstellung von Vorbildern aus dem alten und Gegenbildern aus dem neuen Testament erleichtert das Erkennen nicht immer, weil diese Bezüge zum Theil etwas gezwungen sind. Eine beschreibende Aufzählung und Deutung würde hier sehr weit führen; das Nothwendige in Betreff des Museo cristiano und der Grotten giebt Platner in der "Beschreibung Roms".
Bei abnehmendem Kunstvermögen gab man bald auch das fort- laufende Relief Preis und theilte die einzelnen Vorgänge durch Säul- chen ab. In dieser Form übernahm das Mittelalter den Sarcophag und bildete derselben auch seine Reliquienschreine im Grossen und im Kleinen nach.
Mehr und mehr schrumpft die Sculptur zu einer Kleinkunst zusammen und beschränkt sich allmählig auf die Stoffe, mit welchen sie einst in uralten Zeiten begonnen, auf Gold, Silber, Erz und Elfen- bein. Und dabei machen ihr fast in allen Gattungen, die sie noch ver- tritt, das Email, die Malerei und die eingelegte Flacharbeit die Stelle streitig. Steinern bleiben bloss die Sarcophage und die wenigen Re- liefs, welche auch die Byzantiner innen und aussen an ihren Kirchen anzubringen pflegten. (Einige in und an S. Marco in Venedig.) Auch erhielten wohl die Altarschranken (cancelli) und die Kanzeln biswei- len einen flgürlichen Schmuck von Stein. (Sculpirte ehemalige Altar-a schranken mit den Geschichten Simsons und Christi, aus dem XI. oder XII. Jahrhundert, in S. Restituta am Dom zu Neapel, hinten links.) Im Bewusstsein der eigenen Ungeschicklichkeit wandte man bisweilen antike Sarcophage zu verschiedenem Kirchenschmuck an, trotz ihres heidnischen Inhalts (S. 549, g bis l). (Ein altchristl. Sarcophag als Trägerb der Kanzel in S. Ambrogio zu Mailand; an der Kanzel selbst der bron- zene Adler und der Evangelist, etwa X. Jahrhundert; die übrigen Figuren ziemlich barbarisch, XII. Jahrhundert.)
Vom übrigen Vorrath plastischer Arbeiten wollen wir nur einige bezeichnende Beispiele für jede Gattung anführen.
Sarcophage und andere Steinsculptur.
Die ältern dieser Sarcophage zeigen ganz dieselbe fortlaufende Erzählungsweise mit Vereinigung mehrerer dichtgedrängter und be- wegter Scenen auf demselben Raum, wie die spätheidnischen Arbei- ten. Der etwas stenographische Vortrag dieser Ereignisse wird selbst dem bibelfesten Beschauer einigermassen zu schaffen machen; auch die beständige Gegenüberstellung von Vorbildern aus dem alten und Gegenbildern aus dem neuen Testament erleichtert das Erkennen nicht immer, weil diese Bezüge zum Theil etwas gezwungen sind. Eine beschreibende Aufzählung und Deutung würde hier sehr weit führen; das Nothwendige in Betreff des Museo cristiano und der Grotten giebt Platner in der „Beschreibung Roms“.
Bei abnehmendem Kunstvermögen gab man bald auch das fort- laufende Relief Preis und theilte die einzelnen Vorgänge durch Säul- chen ab. In dieser Form übernahm das Mittelalter den Sarcophag und bildete derselben auch seine Reliquienschreine im Grossen und im Kleinen nach.
Mehr und mehr schrumpft die Sculptur zu einer Kleinkunst zusammen und beschränkt sich allmählig auf die Stoffe, mit welchen sie einst in uralten Zeiten begonnen, auf Gold, Silber, Erz und Elfen- bein. Und dabei machen ihr fast in allen Gattungen, die sie noch ver- tritt, das Email, die Malerei und die eingelegte Flacharbeit die Stelle streitig. Steinern bleiben bloss die Sarcophage und die wenigen Re- liefs, welche auch die Byzantiner innen und aussen an ihren Kirchen anzubringen pflegten. (Einige in und an S. Marco in Venedig.) Auch erhielten wohl die Altarschranken (cancelli) und die Kanzeln biswei- len einen flgürlichen Schmuck von Stein. (Sculpirte ehemalige Altar-a schranken mit den Geschichten Simsons und Christi, aus dem XI. oder XII. Jahrhundert, in S. Restituta am Dom zu Neapel, hinten links.) Im Bewusstsein der eigenen Ungeschicklichkeit wandte man bisweilen antike Sarcophage zu verschiedenem Kirchenschmuck an, trotz ihres heidnischen Inhalts (S. 549, g bis l). (Ein altchristl. Sarcophag als Trägerb der Kanzel in S. Ambrogio zu Mailand; an der Kanzel selbst der bron- zene Adler und der Evangelist, etwa X. Jahrhundert; die übrigen Figuren ziemlich barbarisch, XII. Jahrhundert.)
Vom übrigen Vorrath plastischer Arbeiten wollen wir nur einige bezeichnende Beispiele für jede Gattung anführen.
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Sarcophage und andere Steinsculptur.
Die ältern dieser Sarcophage zeigen ganz dieselbe fortlaufende
Erzählungsweise mit Vereinigung mehrerer dichtgedrängter und be-
wegter Scenen auf demselben Raum, wie die spätheidnischen Arbei-
ten. Der etwas stenographische Vortrag dieser Ereignisse wird selbst
dem bibelfesten Beschauer einigermassen zu schaffen machen; auch
die beständige Gegenüberstellung von Vorbildern aus dem alten und
Gegenbildern aus dem neuen Testament erleichtert das Erkennen nicht
immer, weil diese Bezüge zum Theil etwas gezwungen sind. Eine
beschreibende Aufzählung und Deutung würde hier sehr weit führen;
das Nothwendige in Betreff des Museo cristiano und der Grotten giebt
Platner in der „Beschreibung Roms“.
Bei abnehmendem Kunstvermögen gab man bald auch das fort-
laufende Relief Preis und theilte die einzelnen Vorgänge durch Säul-
chen ab. In dieser Form übernahm das Mittelalter den Sarcophag
und bildete derselben auch seine Reliquienschreine im Grossen und
im Kleinen nach.
Mehr und mehr schrumpft die Sculptur zu einer Kleinkunst
zusammen und beschränkt sich allmählig auf die Stoffe, mit welchen
sie einst in uralten Zeiten begonnen, auf Gold, Silber, Erz und Elfen-
bein. Und dabei machen ihr fast in allen Gattungen, die sie noch ver-
tritt, das Email, die Malerei und die eingelegte Flacharbeit die Stelle
streitig. Steinern bleiben bloss die Sarcophage und die wenigen Re-
liefs, welche auch die Byzantiner innen und aussen an ihren Kirchen
anzubringen pflegten. (Einige in und an S. Marco in Venedig.) Auch
erhielten wohl die Altarschranken (cancelli) und die Kanzeln biswei-
len einen flgürlichen Schmuck von Stein. (Sculpirte ehemalige Altar-
schranken mit den Geschichten Simsons und Christi, aus dem XI. oder
XII. Jahrhundert, in S. Restituta am Dom zu Neapel, hinten links.)
Im Bewusstsein der eigenen Ungeschicklichkeit wandte man bisweilen
antike Sarcophage zu verschiedenem Kirchenschmuck an, trotz ihres
heidnischen Inhalts (S. 549, g bis l). (Ein altchristl. Sarcophag als Träger
der Kanzel in S. Ambrogio zu Mailand; an der Kanzel selbst der bron-
zene Adler und der Evangelist, etwa X. Jahrhundert; die übrigen
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/577>, abgerufen am 18.12.2024.
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