ganze Geschichten entstehen. Von grosser poetischer Wirkung ist so- dann neben dem geschichtlich Biblischen das Symbolische, welches sich in der Parallelisirung alttestamentlicher und neutestamentlicher Vorgänge, in einer Anzahl eigenthümlicher Gestalten und namentlich in Beziehungen aus der Offenbarung Johannis ausspricht. Man muss nur immer das Ganze, wenigstens so weit es erhalten ist, ins Auge fassen, denn nur als Ganzes will es sprechen und wirken. Allerdings bezieht sich diess Alles mehr auf die Malerei, doch verlangen auch die plastischen Überreste, dass man auf diesen Standpunkt eingehe.
Das Einzelne des Styles, wovon bei Anlass der Malerei umständ- licher die Rede sein wird, ist hier mit zwei Worten zu schildern. Bis in das VII. Jahrhundert dauert der antike plastische Styl in mehr oder weniger deutlichen Nachklängen fort; dann erfolgt eine Thei- lung; der eine Weg führt in barbarische Verwilderung der Form, der andere in die byzantinische Regelmässigkeit. Diese schafft ein bestimmtes System von Körperbildungen, Gewandungen, Bewegungen und Ausdrucksweisen, lernt es auswendig und reproducirt es uner- müdlich mit einer Sicherheit, welche fast an diejenige der alten ägyp- tischen Kunst reicht. -- Beide Wege berühren und kreuzen sich in Italien bisweilen; hie und da wirken auch frühchristliche, bessere Muster weit abwärts.
Von der antiken Kunst noch am nächsten berührt, ja als eine wahre Fortsetzung derselben erscheinen die christlichen Sarcophage. aDie bedeutendste Sammlung derselben befindet sich im Museo cristiano bdes Vaticans; andere (z. B. der wichtige des Bassus) in der Crypta von cS. Peter (den sog. Grotte vaticane), im Camposanto zu Pisa (S. 550, b), in sehr vielen italienischen Kirchen (meist als Altaruntersätze), haupt- dsächlich zu Ravenna (Dom, S. Apollinare in classe, S. Vitale etc.) und ausserhalb Italiens besonders im Museum von Arles, einige wich- etige auch im Louvre. (Derjenige von S. Francesco de' Conventuali zu Perugia, linkes Querschiff, enthält eines der besten Exemplare des im IV. Jahrhunderts kunstüblichen Christus im Knabenalter; dasselbe gilt fvon dem ebenfalls trefflichen in S. Francesco zu Ravenna (Altar der rechten Seitentribuna.)
Sculptur des Mittelalters. Sarcophage.
ganze Geschichten entstehen. Von grosser poetischer Wirkung ist so- dann neben dem geschichtlich Biblischen das Symbolische, welches sich in der Parallelisirung alttestamentlicher und neutestamentlicher Vorgänge, in einer Anzahl eigenthümlicher Gestalten und namentlich in Beziehungen aus der Offenbarung Johannis ausspricht. Man muss nur immer das Ganze, wenigstens so weit es erhalten ist, ins Auge fassen, denn nur als Ganzes will es sprechen und wirken. Allerdings bezieht sich diess Alles mehr auf die Malerei, doch verlangen auch die plastischen Überreste, dass man auf diesen Standpunkt eingehe.
Das Einzelne des Styles, wovon bei Anlass der Malerei umständ- licher die Rede sein wird, ist hier mit zwei Worten zu schildern. Bis in das VII. Jahrhundert dauert der antike plastische Styl in mehr oder weniger deutlichen Nachklängen fort; dann erfolgt eine Thei- lung; der eine Weg führt in barbarische Verwilderung der Form, der andere in die byzantinische Regelmässigkeit. Diese schafft ein bestimmtes System von Körperbildungen, Gewandungen, Bewegungen und Ausdrucksweisen, lernt es auswendig und reproducirt es uner- müdlich mit einer Sicherheit, welche fast an diejenige der alten ägyp- tischen Kunst reicht. — Beide Wege berühren und kreuzen sich in Italien bisweilen; hie und da wirken auch frühchristliche, bessere Muster weit abwärts.
Von der antiken Kunst noch am nächsten berührt, ja als eine wahre Fortsetzung derselben erscheinen die christlichen Sarcophage. aDie bedeutendste Sammlung derselben befindet sich im Museo cristiano bdes Vaticans; andere (z. B. der wichtige des Bassus) in der Crypta von cS. Peter (den sog. Grotte vaticane), im Camposanto zu Pisa (S. 550, b), in sehr vielen italienischen Kirchen (meist als Altaruntersätze), haupt- dsächlich zu Ravenna (Dom, S. Apollinare in classe, S. Vitale etc.) und ausserhalb Italiens besonders im Museum von Arles, einige wich- etige auch im Louvre. (Derjenige von S. Francesco de’ Conventuali zu Perugia, linkes Querschiff, enthält eines der besten Exemplare des im IV. Jahrhunderts kunstüblichen Christus im Knabenalter; dasselbe gilt fvon dem ebenfalls trefflichen in S. Francesco zu Ravenna (Altar der rechten Seitentribuna.)
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Sculptur des Mittelalters. Sarcophage.
ganze Geschichten entstehen. Von grosser poetischer Wirkung ist so-
dann neben dem geschichtlich Biblischen das Symbolische, welches
sich in der Parallelisirung alttestamentlicher und neutestamentlicher
Vorgänge, in einer Anzahl eigenthümlicher Gestalten und namentlich
in Beziehungen aus der Offenbarung Johannis ausspricht. Man muss
nur immer das Ganze, wenigstens so weit es erhalten ist, ins Auge
fassen, denn nur als Ganzes will es sprechen und wirken. Allerdings
bezieht sich diess Alles mehr auf die Malerei, doch verlangen auch
die plastischen Überreste, dass man auf diesen Standpunkt eingehe.
Das Einzelne des Styles, wovon bei Anlass der Malerei umständ-
licher die Rede sein wird, ist hier mit zwei Worten zu schildern. Bis
in das VII. Jahrhundert dauert der antike plastische Styl in mehr
oder weniger deutlichen Nachklängen fort; dann erfolgt eine Thei-
lung; der eine Weg führt in barbarische Verwilderung der Form, der
andere in die byzantinische Regelmässigkeit. Diese schafft ein
bestimmtes System von Körperbildungen, Gewandungen, Bewegungen
und Ausdrucksweisen, lernt es auswendig und reproducirt es uner-
müdlich mit einer Sicherheit, welche fast an diejenige der alten ägyp-
tischen Kunst reicht. — Beide Wege berühren und kreuzen sich in
Italien bisweilen; hie und da wirken auch frühchristliche, bessere
Muster weit abwärts.
Von der antiken Kunst noch am nächsten berührt, ja als eine
wahre Fortsetzung derselben erscheinen die christlichen Sarcophage.
Die bedeutendste Sammlung derselben befindet sich im Museo cristiano
des Vaticans; andere (z. B. der wichtige des Bassus) in der Crypta von
S. Peter (den sog. Grotte vaticane), im Camposanto zu Pisa (S. 550, b),
in sehr vielen italienischen Kirchen (meist als Altaruntersätze), haupt-
sächlich zu Ravenna (Dom, S. Apollinare in classe, S. Vitale etc.)
und ausserhalb Italiens besonders im Museum von Arles, einige wich-
tige auch im Louvre. (Derjenige von S. Francesco de’ Conventuali
zu Perugia, linkes Querschiff, enthält eines der besten Exemplare des im
IV. Jahrhunderts kunstüblichen Christus im Knabenalter; dasselbe gilt
von dem ebenfalls trefflichen in S. Francesco zu Ravenna (Altar der
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/576>, abgerufen am 18.12.2024.
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