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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Ihre neuen Bedingungen.
schem Gebiete keine Rede mehr. Überdiess würden sich die Gegen-
stände -- zunächst Christus und die Apostel -- lange nicht so zu
diesem Zwecke geeignet haben, wie die Heidengötter. Letztere waren
recht eigentlich mit der Kunst und durch sie zur vollen Gestalt er-
wachsen; ihre ganze Körperbildung sammt Gewand und Attributen
stand charakteristisch fest und umfasste den ganzen denkbaren Kreis
des Schönen, wie die Alten es verstanden. Die heiligen Personen des
Christenthums dagegen waren von vorn herein nicht mythologisch,
sondern geschichtlich und längst ohne alles Zuthun der Kunst Gegen-
stände des Glaubens, mit welchen sich nicht eben frei schalten und
walten liess; sie waren ferner nicht erwachsen aus sittlichen und
Naturkräften und boten also bei weitem nicht denselben Reichthum
der Charakteristik dar; endlich war ihre Bedeutung eine übersinnliche
und geistige und konnte desshalb überhaupt nie in der schönen Kunst-
form so rein und ohne Bruchtheil aufgehen wie die Bedeutung der
heidnischen Typen.

Die Sculptur half sich wie sie konnte und wie der neue Glaube
es verlangte. Statt der Gestalten, die sie aus den oben ange-
gebenen Gründen weder genügend in Betreff des Styles, noch würdig
in Betreff des Gegenstandes zu beseelen im Stande war, schuf sie
Geschichten; das Relief verdrängte die Freisculptur und wurde
zugleich seinerseits ein Anhängsel der Malerei, die jetzt mit ihm den-
selben Zweck und zugleich viel reichere Mittel hatte. Bald entscheidet
das blosse Belieben des kirchlichen Luxus über die Anwendung des
erstern oder der letztern. Die Kirche verlangt von der Kunst das
Viele; in ganzen Cyklen geschichtlicher Darstellungen oder wenig-
stens in ganzen zusammengehörenden Reihen heiliger Personen will
sie symbolisch ihr Höchstes verherrlichen; die beiden Künste, sammt
all ihren Nebengattungen, dienen ihr einstweilen bloss als Mittel zum
Zweck und müssen ihre innern Gesetze vollkommen Preis geben.

Der Styl, wie er sich unter solchen Umständen gestalten musste,
bietet dem Auge wenig dar. Allein das geschichtlich-poetische In-
teresse kann einen Ersatz schaffen. Höchst merkwürdig ist vor Allem
der Ernst und die Kraft, womit die Kirche ihre Bilderkreise vervoll-
ständigt und im Grossen wie im Kleinen wiederholt, sodass eine
Menge von Typen, nicht bloss für einzelne Personen sondern für

Ihre neuen Bedingungen.
schem Gebiete keine Rede mehr. Überdiess würden sich die Gegen-
stände — zunächst Christus und die Apostel — lange nicht so zu
diesem Zwecke geeignet haben, wie die Heidengötter. Letztere waren
recht eigentlich mit der Kunst und durch sie zur vollen Gestalt er-
wachsen; ihre ganze Körperbildung sammt Gewand und Attributen
stand charakteristisch fest und umfasste den ganzen denkbaren Kreis
des Schönen, wie die Alten es verstanden. Die heiligen Personen des
Christenthums dagegen waren von vorn herein nicht mythologisch,
sondern geschichtlich und längst ohne alles Zuthun der Kunst Gegen-
stände des Glaubens, mit welchen sich nicht eben frei schalten und
walten liess; sie waren ferner nicht erwachsen aus sittlichen und
Naturkräften und boten also bei weitem nicht denselben Reichthum
der Charakteristik dar; endlich war ihre Bedeutung eine übersinnliche
und geistige und konnte desshalb überhaupt nie in der schönen Kunst-
form so rein und ohne Bruchtheil aufgehen wie die Bedeutung der
heidnischen Typen.

Die Sculptur half sich wie sie konnte und wie der neue Glaube
es verlangte. Statt der Gestalten, die sie aus den oben ange-
gebenen Gründen weder genügend in Betreff des Styles, noch würdig
in Betreff des Gegenstandes zu beseelen im Stande war, schuf sie
Geschichten; das Relief verdrängte die Freisculptur und wurde
zugleich seinerseits ein Anhängsel der Malerei, die jetzt mit ihm den-
selben Zweck und zugleich viel reichere Mittel hatte. Bald entscheidet
das blosse Belieben des kirchlichen Luxus über die Anwendung des
erstern oder der letztern. Die Kirche verlangt von der Kunst das
Viele; in ganzen Cyklen geschichtlicher Darstellungen oder wenig-
stens in ganzen zusammengehörenden Reihen heiliger Personen will
sie symbolisch ihr Höchstes verherrlichen; die beiden Künste, sammt
all ihren Nebengattungen, dienen ihr einstweilen bloss als Mittel zum
Zweck und müssen ihre innern Gesetze vollkommen Preis geben.

Der Styl, wie er sich unter solchen Umständen gestalten musste,
bietet dem Auge wenig dar. Allein das geschichtlich-poetische In-
teresse kann einen Ersatz schaffen. Höchst merkwürdig ist vor Allem
der Ernst und die Kraft, womit die Kirche ihre Bilderkreise vervoll-
ständigt und im Grossen wie im Kleinen wiederholt, sodass eine
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[553/0575] Ihre neuen Bedingungen. schem Gebiete keine Rede mehr. Überdiess würden sich die Gegen- stände — zunächst Christus und die Apostel — lange nicht so zu diesem Zwecke geeignet haben, wie die Heidengötter. Letztere waren recht eigentlich mit der Kunst und durch sie zur vollen Gestalt er- wachsen; ihre ganze Körperbildung sammt Gewand und Attributen stand charakteristisch fest und umfasste den ganzen denkbaren Kreis des Schönen, wie die Alten es verstanden. Die heiligen Personen des Christenthums dagegen waren von vorn herein nicht mythologisch, sondern geschichtlich und längst ohne alles Zuthun der Kunst Gegen- stände des Glaubens, mit welchen sich nicht eben frei schalten und walten liess; sie waren ferner nicht erwachsen aus sittlichen und Naturkräften und boten also bei weitem nicht denselben Reichthum der Charakteristik dar; endlich war ihre Bedeutung eine übersinnliche und geistige und konnte desshalb überhaupt nie in der schönen Kunst- form so rein und ohne Bruchtheil aufgehen wie die Bedeutung der heidnischen Typen. Die Sculptur half sich wie sie konnte und wie der neue Glaube es verlangte. Statt der Gestalten, die sie aus den oben ange- gebenen Gründen weder genügend in Betreff des Styles, noch würdig in Betreff des Gegenstandes zu beseelen im Stande war, schuf sie Geschichten; das Relief verdrängte die Freisculptur und wurde zugleich seinerseits ein Anhängsel der Malerei, die jetzt mit ihm den- selben Zweck und zugleich viel reichere Mittel hatte. Bald entscheidet das blosse Belieben des kirchlichen Luxus über die Anwendung des erstern oder der letztern. Die Kirche verlangt von der Kunst das Viele; in ganzen Cyklen geschichtlicher Darstellungen oder wenig- stens in ganzen zusammengehörenden Reihen heiliger Personen will sie symbolisch ihr Höchstes verherrlichen; die beiden Künste, sammt all ihren Nebengattungen, dienen ihr einstweilen bloss als Mittel zum Zweck und müssen ihre innern Gesetze vollkommen Preis geben. Der Styl, wie er sich unter solchen Umständen gestalten musste, bietet dem Auge wenig dar. Allein das geschichtlich-poetische In- teresse kann einen Ersatz schaffen. Höchst merkwürdig ist vor Allem der Ernst und die Kraft, womit die Kirche ihre Bilderkreise vervoll- ständigt und im Grossen wie im Kleinen wiederholt, sodass eine Menge von Typen, nicht bloss für einzelne Personen sondern für

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/575>, abgerufen am 16.06.2024.