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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Antike Sculptur. Thiere. Pferde.

Die Pferde der antiken Sculptur beweisen zunächst, dass die
damalige Pferdeschönheit eine andere war als die, welche die jetzigen
Kenner verlangen. Wo Mensch und Pferd beisammen sind, wie z. B.
auf den parthenonischen Reliefs, wird man das Thier schon im Ver-
hältniss kleiner gebildet finden, aus Gründen des Styles, nicht wegen
Kleinheit der Race. Sodann galt eine andere Bildung des Kopfes,
des Nackens, der Brust und der Croupe, namentlich aber ein gedrun-
generes Verhältniss der Beine für schön, als jetzt. Aus Mangel an
Specialkenntnissen kann der Verfasser hierauf nicht näher eingehen;
die Denkmäler selbst sind so bekannt, dass sie kaum der Aufzählung
bedürfen. Bei weitem das Schönste ist und bleibt wohl der eine par-
thenonische Pferdekopf, dessen überall verbreitete Abgüsse man ver-
gleichen möge; Alles was zum Ausdruck der Energie, ja des edelsten
Feuers dienen kann, ist scharf und wirksam hervorgehoben und in
die Hautfläche ein Leben und eine Bedeutung hineingezaubert, der-
gleichen bei einem sterblichen Thiere wohl nicht vorkömmt. -- Als
griechische Arbeit galten bekanntlich lange Zeit die vielgewanderten
avier Bronzepferde über dem Portal von S. Marco in Venedig;
gegenwärtig hält man sie doch nur für römisch, etwa aus neronischer
Kunstepoche; jedenfalls gehören sie zu den besten und sind als ein-
ziges erhaltenes Viergespann (wahrscheinlich von einem Triumphbogen)
bunschätzbar zu nennen. -- Die stark restaurirten Pferde der Colosse
von Monte Cavallo
in Rom sind ohne Zweifel Nachahmungen
griechischer Vorbilder wie die Statuen, in ihrem jetzigen Zustand aber
nicht massgebend. (Der Kopf des einen sehr ausgezeichnet.) -- Rö-
mische Pferde erscheinen im Ganzen, neben denjenigen des Phidias
und seiner Schule, roh und im Detail wenig oder nur naturalistisch
cbelebt, in der Bewegung aber bisweilen trefflich. -- Im Museum von
Neapel verdienen die marmornen Pferde der beiden Balbi (nach mei-
nem Urtheil) unbedenklich den Vorzug vor dem (sehr zusammen-
dgeflickten) ehernen herculanensischen Pferde sowohl als vor dem
colossalen ehernen Pferdekopf aus dem Palast Colobrano (Abtheilung
der grossen Bronzen); von den ebenda befindlichen bronzenen Sta-
tuetten übertrifft das Pferd Alexanders und das freisprengende das-
ejenige der Amazone. -- In Rom ist das Pferd Marc Aurels auf
dem Capitol gut gearbeitet und lebendig bewegt, an sich aber ein

Antike Sculptur. Thiere. Pferde.

Die Pferde der antiken Sculptur beweisen zunächst, dass die
damalige Pferdeschönheit eine andere war als die, welche die jetzigen
Kenner verlangen. Wo Mensch und Pferd beisammen sind, wie z. B.
auf den parthenonischen Reliefs, wird man das Thier schon im Ver-
hältniss kleiner gebildet finden, aus Gründen des Styles, nicht wegen
Kleinheit der Race. Sodann galt eine andere Bildung des Kopfes,
des Nackens, der Brust und der Croupe, namentlich aber ein gedrun-
generes Verhältniss der Beine für schön, als jetzt. Aus Mangel an
Specialkenntnissen kann der Verfasser hierauf nicht näher eingehen;
die Denkmäler selbst sind so bekannt, dass sie kaum der Aufzählung
bedürfen. Bei weitem das Schönste ist und bleibt wohl der eine par-
thenonische Pferdekopf, dessen überall verbreitete Abgüsse man ver-
gleichen möge; Alles was zum Ausdruck der Energie, ja des edelsten
Feuers dienen kann, ist scharf und wirksam hervorgehoben und in
die Hautfläche ein Leben und eine Bedeutung hineingezaubert, der-
gleichen bei einem sterblichen Thiere wohl nicht vorkömmt. — Als
griechische Arbeit galten bekanntlich lange Zeit die vielgewanderten
avier Bronzepferde über dem Portal von S. Marco in Venedig;
gegenwärtig hält man sie doch nur für römisch, etwa aus neronischer
Kunstepoche; jedenfalls gehören sie zu den besten und sind als ein-
ziges erhaltenes Viergespann (wahrscheinlich von einem Triumphbogen)
bunschätzbar zu nennen. — Die stark restaurirten Pferde der Colosse
von Monte Cavallo
in Rom sind ohne Zweifel Nachahmungen
griechischer Vorbilder wie die Statuen, in ihrem jetzigen Zustand aber
nicht massgebend. (Der Kopf des einen sehr ausgezeichnet.) — Rö-
mische Pferde erscheinen im Ganzen, neben denjenigen des Phidias
und seiner Schule, roh und im Detail wenig oder nur naturalistisch
cbelebt, in der Bewegung aber bisweilen trefflich. — Im Museum von
Neapel verdienen die marmornen Pferde der beiden Balbi (nach mei-
nem Urtheil) unbedenklich den Vorzug vor dem (sehr zusammen-
dgeflickten) ehernen herculanensischen Pferde sowohl als vor dem
colossalen ehernen Pferdekopf aus dem Palast Colobrano (Abtheilung
der grossen Bronzen); von den ebenda befindlichen bronzenen Sta-
tuetten übertrifft das Pferd Alexanders und das freisprengende das-
ejenige der Amazone. — In Rom ist das Pferd Marc Aurels auf
dem Capitol gut gearbeitet und lebendig bewegt, an sich aber ein

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[532/0554] Antike Sculptur. Thiere. Pferde. Die Pferde der antiken Sculptur beweisen zunächst, dass die damalige Pferdeschönheit eine andere war als die, welche die jetzigen Kenner verlangen. Wo Mensch und Pferd beisammen sind, wie z. B. auf den parthenonischen Reliefs, wird man das Thier schon im Ver- hältniss kleiner gebildet finden, aus Gründen des Styles, nicht wegen Kleinheit der Race. Sodann galt eine andere Bildung des Kopfes, des Nackens, der Brust und der Croupe, namentlich aber ein gedrun- generes Verhältniss der Beine für schön, als jetzt. Aus Mangel an Specialkenntnissen kann der Verfasser hierauf nicht näher eingehen; die Denkmäler selbst sind so bekannt, dass sie kaum der Aufzählung bedürfen. Bei weitem das Schönste ist und bleibt wohl der eine par- thenonische Pferdekopf, dessen überall verbreitete Abgüsse man ver- gleichen möge; Alles was zum Ausdruck der Energie, ja des edelsten Feuers dienen kann, ist scharf und wirksam hervorgehoben und in die Hautfläche ein Leben und eine Bedeutung hineingezaubert, der- gleichen bei einem sterblichen Thiere wohl nicht vorkömmt. — Als griechische Arbeit galten bekanntlich lange Zeit die vielgewanderten vier Bronzepferde über dem Portal von S. Marco in Venedig; gegenwärtig hält man sie doch nur für römisch, etwa aus neronischer Kunstepoche; jedenfalls gehören sie zu den besten und sind als ein- ziges erhaltenes Viergespann (wahrscheinlich von einem Triumphbogen) unschätzbar zu nennen. — Die stark restaurirten Pferde der Colosse von Monte Cavallo in Rom sind ohne Zweifel Nachahmungen griechischer Vorbilder wie die Statuen, in ihrem jetzigen Zustand aber nicht massgebend. (Der Kopf des einen sehr ausgezeichnet.) — Rö- mische Pferde erscheinen im Ganzen, neben denjenigen des Phidias und seiner Schule, roh und im Detail wenig oder nur naturalistisch belebt, in der Bewegung aber bisweilen trefflich. — Im Museum von Neapel verdienen die marmornen Pferde der beiden Balbi (nach mei- nem Urtheil) unbedenklich den Vorzug vor dem (sehr zusammen- geflickten) ehernen herculanensischen Pferde sowohl als vor dem colossalen ehernen Pferdekopf aus dem Palast Colobrano (Abtheilung der grossen Bronzen); von den ebenda befindlichen bronzenen Sta- tuetten übertrifft das Pferd Alexanders und das freisprengende das- jenige der Amazone. — In Rom ist das Pferd Marc Aurels auf dem Capitol gut gearbeitet und lebendig bewegt, an sich aber ein a b c d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/554>, abgerufen am 16.06.2024.