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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Der Thiasos. Meergottheiten.
jetzt einen Dianenkopf. -- Endlich giebt es Sileninnen. Eine in ihrera
Art vortreffliche auf der Erde sitzende Alte (in der obern Galerie des
Museo capitolino) offenbart ein Verhältniss zur Amphora, welches
wenigstens eben so innig ist, als das des Silenus zum Schlauch;
ihr mageres Haupt ist vergnüglich aufwärts gerichtet; ihr offener
Mund und ihr Hals sind lauter Schluck und Druck. -- In der Villa
Albani sogar eine Panisca; Centaurinnen kommen wenigstens in den
pompejanischen Gemälden vor.


Alle diese Gestalten sind nun immer nur Bruchstücke eines gros-
sen Ganzen, welches die Phantasie aus ihnen und aus den Reliefs und
Gemälden, auch wohl aus den Schilderungen der Dichter mühsam wie-
der zusammensetzen muss. Allerdings so wie Skopas und Praxiteles
den bacchischen Zug im Geiste an sich vorbeigehen sahen, so wird
ihn weder die Combination des Künstlers, noch die des Forschers je
wieder herstellen.

Noch die spätere griechische Kunst wurde nicht müde, diesen
Gestaltenkreis mit neuen Scenen und Motiven zu bereichern. Als die
Griechen den Orient erobert hatten, symbolisirten sie ihre eigene That,
indem sie Dionysos als den Eroberer von Indien und seinen Zug als
einen Triumphzug darstellten, in welchem gefangene Könige des
Ostens, Wagen voller Schätze und asiatische Zugthiere mit abgebildet
wurden. Unermüdlich wurden bacchische Opfer, Gastmäler, Feste,
Tänze u. s. w. von Neuem variirt, und die ganze Decoration von
Häusern und Geräthen vollkommen mit bacchischen Gegenständen und
Sinnbildern durchdrungen.


Nun die merkwürdige Parallele zum bacchischen Gestaltenkreis.

Schon bei Anlass des Poseidon wurde angedeutet, wie die alte
Kunst das Element der Fluth von seiner trüben, zornigen Seite aus
symbolisirte. Allerdings bildet sich später der Zug der Meergott-
heiten
nach dem Vorbilde des Bacchuszuges zu einem rauschenden,
selbst theilweise fröhlichen Ganzen um (wahrscheinlich in Folge einer
berühmten Arbeit des Skopas), und die Tritonen entlehnen von den

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Der Thiasos. Meergottheiten.
jetzt einen Dianenkopf. — Endlich giebt es Sileninnen. Eine in ihrera
Art vortreffliche auf der Erde sitzende Alte (in der obern Galerie des
Museo capitolino) offenbart ein Verhältniss zur Amphora, welches
wenigstens eben so innig ist, als das des Silenus zum Schlauch;
ihr mageres Haupt ist vergnüglich aufwärts gerichtet; ihr offener
Mund und ihr Hals sind lauter Schluck und Druck. — In der Villa
Albani sogar eine Panisca; Centaurinnen kommen wenigstens in den
pompejanischen Gemälden vor.


Alle diese Gestalten sind nun immer nur Bruchstücke eines gros-
sen Ganzen, welches die Phantasie aus ihnen und aus den Reliefs und
Gemälden, auch wohl aus den Schilderungen der Dichter mühsam wie-
der zusammensetzen muss. Allerdings so wie Skopas und Praxiteles
den bacchischen Zug im Geiste an sich vorbeigehen sahen, so wird
ihn weder die Combination des Künstlers, noch die des Forschers je
wieder herstellen.

Noch die spätere griechische Kunst wurde nicht müde, diesen
Gestaltenkreis mit neuen Scenen und Motiven zu bereichern. Als die
Griechen den Orient erobert hatten, symbolisirten sie ihre eigene That,
indem sie Dionysos als den Eroberer von Indien und seinen Zug als
einen Triumphzug darstellten, in welchem gefangene Könige des
Ostens, Wagen voller Schätze und asiatische Zugthiere mit abgebildet
wurden. Unermüdlich wurden bacchische Opfer, Gastmäler, Feste,
Tänze u. s. w. von Neuem variirt, und die ganze Decoration von
Häusern und Geräthen vollkommen mit bacchischen Gegenständen und
Sinnbildern durchdrungen.


Nun die merkwürdige Parallele zum bacchischen Gestaltenkreis.

Schon bei Anlass des Poseidon wurde angedeutet, wie die alte
Kunst das Element der Fluth von seiner trüben, zornigen Seite aus
symbolisirte. Allerdings bildet sich später der Zug der Meergott-
heiten
nach dem Vorbilde des Bacchuszuges zu einem rauschenden,
selbst theilweise fröhlichen Ganzen um (wahrscheinlich in Folge einer
berühmten Arbeit des Skopas), und die Tritonen entlehnen von den

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[483/0505] Der Thiasos. Meergottheiten. jetzt einen Dianenkopf. — Endlich giebt es Sileninnen. Eine in ihrer Art vortreffliche auf der Erde sitzende Alte (in der obern Galerie des Museo capitolino) offenbart ein Verhältniss zur Amphora, welches wenigstens eben so innig ist, als das des Silenus zum Schlauch; ihr mageres Haupt ist vergnüglich aufwärts gerichtet; ihr offener Mund und ihr Hals sind lauter Schluck und Druck. — In der Villa Albani sogar eine Panisca; Centaurinnen kommen wenigstens in den pompejanischen Gemälden vor. a Alle diese Gestalten sind nun immer nur Bruchstücke eines gros- sen Ganzen, welches die Phantasie aus ihnen und aus den Reliefs und Gemälden, auch wohl aus den Schilderungen der Dichter mühsam wie- der zusammensetzen muss. Allerdings so wie Skopas und Praxiteles den bacchischen Zug im Geiste an sich vorbeigehen sahen, so wird ihn weder die Combination des Künstlers, noch die des Forschers je wieder herstellen. Noch die spätere griechische Kunst wurde nicht müde, diesen Gestaltenkreis mit neuen Scenen und Motiven zu bereichern. Als die Griechen den Orient erobert hatten, symbolisirten sie ihre eigene That, indem sie Dionysos als den Eroberer von Indien und seinen Zug als einen Triumphzug darstellten, in welchem gefangene Könige des Ostens, Wagen voller Schätze und asiatische Zugthiere mit abgebildet wurden. Unermüdlich wurden bacchische Opfer, Gastmäler, Feste, Tänze u. s. w. von Neuem variirt, und die ganze Decoration von Häusern und Geräthen vollkommen mit bacchischen Gegenständen und Sinnbildern durchdrungen. Nun die merkwürdige Parallele zum bacchischen Gestaltenkreis. Schon bei Anlass des Poseidon wurde angedeutet, wie die alte Kunst das Element der Fluth von seiner trüben, zornigen Seite aus symbolisirte. Allerdings bildet sich später der Zug der Meergott- heiten nach dem Vorbilde des Bacchuszuges zu einem rauschenden, selbst theilweise fröhlichen Ganzen um (wahrscheinlich in Folge einer berühmten Arbeit des Skopas), und die Tritonen entlehnen von den 31*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/505>, abgerufen am 01.06.2024.