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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Satyrn.
Ausdruck; ein noch fast unschuldiges, heiter lachendes Köpfchen in
der obern Galerie des Museo capitolino; eine ganze Anzahl, von ver-a
schiedenem Ausdruck, im Museo Chiaramonti (Vatican).b

Zu den edlern Satyrn gehört insgemein auch noch derjenige,
welcher den jungen Dionysos auf der Schulter tragen darf. Sein
leichtes Ausschreiten und Lachen, und der schlank-elastische, wie von
innern Federkräften bewegte Körperbau unterscheiden ihn indess we-
sentlich vom Periboetos und nähern ihn schon den übrigen Satyrn.
Meist stark restaurirt, lässt er Zweifel übrig in Betreff der Haltung
seiner Arme und der Gestalt des Bacchuskindes. Treffliches, aber sehr
überarbeitetes Exemplar im Museum von Neapel (zweiter Gang); an-c
dere im Braccio nuovo des Vaticans und in der Villa Albani (Ne-d
bengalerie rechts). Das Kind ist wohl bisweilen als blosser junger
Bacchant gedacht. -- In der Stellung sehr ähnlich der hie und da
vorkommende Satyr, welcher ein Zicklein trägt.

Wie das Flötenspiel dem idyllischen, einsam ausruhenden Satyr
zukömmt, so die Klingplatten und das Tamburin der bereits in
Bewegung gerathenen bacchischen Schaar. Aus den hier zu nennenden
Gestalten spricht bald ein heitrer, bald ein wilder Taumel, der als
zweites, dämonisches Leben den oft meisterhaft gebildeten Körper
durchbebt. Der heftigste denkbare Eifer des Musicirens spricht sich
in der berühmten florentinischen Statue aus (Uffizien, Tribuna);e
die Bewegung zeigt freilich, dass in dieser Musik die Melodie dem in
wildem Taktiren vortrefflich ausgesprochenen Rhythmus untergeordnet
ist. Der Kopf und die Arme sammt Klingplatten von Michelangelo
restaurirt; das Übrige trotz der verletzten Oberfläche einer der besten
Satyrstypen. Ganz anders und wiederum in seiner Art unvergleich-
lich der Klingplattenspieler der Villa Borghese (in der Mitte desf
Faunszimmers); ein ältlicher Virtuose des Spieles und des Tanzes
zugleich, dreht er sich mit wirbelnder Schnelligkeit auf beiden Füssen
herum; seine sennig ausgetanzten Glieder und seine originell hässlichen
Gesichtszüge sind auf das Geistvollste behandelt.

Wüster und wilder ist die Geberde des colossalen Tänzers der-
selben Sammlung (Hauptsaal), welchem der Hersteller einen Hirten-g
stab in die Hände gegeben hat. Die Arbeit, so weit sie alt ist, kann
noch immer für trefflich gelten, doch wirkt gewisses Detail, wie z. B.

Satyrn.
Ausdruck; ein noch fast unschuldiges, heiter lachendes Köpfchen in
der obern Galerie des Museo capitolino; eine ganze Anzahl, von ver-a
schiedenem Ausdruck, im Museo Chiaramonti (Vatican).b

Zu den edlern Satyrn gehört insgemein auch noch derjenige,
welcher den jungen Dionysos auf der Schulter tragen darf. Sein
leichtes Ausschreiten und Lachen, und der schlank-elastische, wie von
innern Federkräften bewegte Körperbau unterscheiden ihn indess we-
sentlich vom Periboëtos und nähern ihn schon den übrigen Satyrn.
Meist stark restaurirt, lässt er Zweifel übrig in Betreff der Haltung
seiner Arme und der Gestalt des Bacchuskindes. Treffliches, aber sehr
überarbeitetes Exemplar im Museum von Neapel (zweiter Gang); an-c
dere im Braccio nuovo des Vaticans und in der Villa Albani (Ne-d
bengalerie rechts). Das Kind ist wohl bisweilen als blosser junger
Bacchant gedacht. — In der Stellung sehr ähnlich der hie und da
vorkommende Satyr, welcher ein Zicklein trägt.

Wie das Flötenspiel dem idyllischen, einsam ausruhenden Satyr
zukömmt, so die Klingplatten und das Tamburin der bereits in
Bewegung gerathenen bacchischen Schaar. Aus den hier zu nennenden
Gestalten spricht bald ein heitrer, bald ein wilder Taumel, der als
zweites, dämonisches Leben den oft meisterhaft gebildeten Körper
durchbebt. Der heftigste denkbare Eifer des Musicirens spricht sich
in der berühmten florentinischen Statue aus (Uffizien, Tribuna);e
die Bewegung zeigt freilich, dass in dieser Musik die Melodie dem in
wildem Taktiren vortrefflich ausgesprochenen Rhythmus untergeordnet
ist. Der Kopf und die Arme sammt Klingplatten von Michelangelo
restaurirt; das Übrige trotz der verletzten Oberfläche einer der besten
Satyrstypen. Ganz anders und wiederum in seiner Art unvergleich-
lich der Klingplattenspieler der Villa Borghese (in der Mitte desf
Faunszimmers); ein ältlicher Virtuose des Spieles und des Tanzes
zugleich, dreht er sich mit wirbelnder Schnelligkeit auf beiden Füssen
herum; seine sennig ausgetanzten Glieder und seine originell hässlichen
Gesichtszüge sind auf das Geistvollste behandelt.

Wüster und wilder ist die Geberde des colossalen Tänzers der-
selben Sammlung (Hauptsaal), welchem der Hersteller einen Hirten-g
stab in die Hände gegeben hat. Die Arbeit, so weit sie alt ist, kann
noch immer für trefflich gelten, doch wirkt gewisses Detail, wie z. B.

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[475/0497] Satyrn. Ausdruck; ein noch fast unschuldiges, heiter lachendes Köpfchen in der obern Galerie des Museo capitolino; eine ganze Anzahl, von ver- schiedenem Ausdruck, im Museo Chiaramonti (Vatican). a b Zu den edlern Satyrn gehört insgemein auch noch derjenige, welcher den jungen Dionysos auf der Schulter tragen darf. Sein leichtes Ausschreiten und Lachen, und der schlank-elastische, wie von innern Federkräften bewegte Körperbau unterscheiden ihn indess we- sentlich vom Periboëtos und nähern ihn schon den übrigen Satyrn. Meist stark restaurirt, lässt er Zweifel übrig in Betreff der Haltung seiner Arme und der Gestalt des Bacchuskindes. Treffliches, aber sehr überarbeitetes Exemplar im Museum von Neapel (zweiter Gang); an- dere im Braccio nuovo des Vaticans und in der Villa Albani (Ne- bengalerie rechts). Das Kind ist wohl bisweilen als blosser junger Bacchant gedacht. — In der Stellung sehr ähnlich der hie und da vorkommende Satyr, welcher ein Zicklein trägt. c d Wie das Flötenspiel dem idyllischen, einsam ausruhenden Satyr zukömmt, so die Klingplatten und das Tamburin der bereits in Bewegung gerathenen bacchischen Schaar. Aus den hier zu nennenden Gestalten spricht bald ein heitrer, bald ein wilder Taumel, der als zweites, dämonisches Leben den oft meisterhaft gebildeten Körper durchbebt. Der heftigste denkbare Eifer des Musicirens spricht sich in der berühmten florentinischen Statue aus (Uffizien, Tribuna); die Bewegung zeigt freilich, dass in dieser Musik die Melodie dem in wildem Taktiren vortrefflich ausgesprochenen Rhythmus untergeordnet ist. Der Kopf und die Arme sammt Klingplatten von Michelangelo restaurirt; das Übrige trotz der verletzten Oberfläche einer der besten Satyrstypen. Ganz anders und wiederum in seiner Art unvergleich- lich der Klingplattenspieler der Villa Borghese (in der Mitte des Faunszimmers); ein ältlicher Virtuose des Spieles und des Tanzes zugleich, dreht er sich mit wirbelnder Schnelligkeit auf beiden Füssen herum; seine sennig ausgetanzten Glieder und seine originell hässlichen Gesichtszüge sind auf das Geistvollste behandelt. e f Wüster und wilder ist die Geberde des colossalen Tänzers der- selben Sammlung (Hauptsaal), welchem der Hersteller einen Hirten- stab in die Hände gegeben hat. Die Arbeit, so weit sie alt ist, kann noch immer für trefflich gelten, doch wirkt gewisses Detail, wie z. B. g

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/497>, abgerufen am 16.07.2024.