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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Amor und Psyche. Paris. Ganymed.
(Ungleiche Arbeit, von der Hälfte der Schenkel abwärts restaurirt.)
Ob Schlaf, Tod, oder der Sohn Aphroditens gemeint ist, wollen wir
nicht entscheiden.

Die erst spät (II. Jahrhundert n. Chr.) vorkommende Gruppe
Amors, der die Psyche liebkost, ist bei einem schönen Ausdruck
doch in den Linien der beiden Körper sowohl als in ihrer Durch-
bildung nur von mittlerem Werth. Selbst das vorzügliche capitolini-a
sche Exemplar (im verschlossnen Zimmer der Venus) macht hievon
nur eine bedingte Ausnahme; das florentinische (Uffizien, Halle desb
Hermaphr.) ist ziemlich gering. Noch später, an zahllosen Sarcopha-
gen, werden die beiden Kinder immer jünger, endlich blosse sog.
Putten, und in der Arbeit immer roher. Der neuern Kunst blieb hier
ein Feld offen, auf welchem Canova und Thorwaldsen neu sein
konnten.


Dem Eros-Typus nahe verwandt, doch fast nur in geringen Exem-
plaren vorhanden, erscheinen zwei andere Knabengestalten, die schön-
heitberühmten Söhne des Königshauses von Ilion, die Hirten vom Ida.
Zunächst der jugendliche Paris, in einer späten römischen Statuec
des Museums von Neapel (zweiter Gang); er ruht aufgelehnt, die
Füsse übereinander, den Apfel in der Rechten hinter sich haltend;
zwei Wurfspiesse lassen ihn zugleich als Jäger erkennen; neben ihm
ein Hund. Es liegt in dieser Figur etwas von dem schönen Müssig-
gang ruhender Götter und Satyrn, aber die Ausführung ist sehr be-
fangen. (Über den erwachsenen Paris in der Galeria delle statue des
Vaticans s. unten.) -- Sodann Ganymed. Die alte Kunst muss zunächst
in einem sehr ausgezeichneten Werke (wahrscheinlich von Leochares)
das Aufwärtsschweben eines schlanken jugendlichen Körpers verbun-
den mit dem Ausdruck der Hingebung dargestellt haben, als Gany-
med der vom Adler behutsam emporgetragen wird (natürlich an einen
Tronco angelehnt und jedenfalls für die Sculptur ein zweifelhafter Ge-
genstand). Ein kleines römisches Exemplar im obern Gang des Va-d
ticans. (Der einst viel genannte venezianische Ganymed, im Dogen-e
palast, Camera a letto, ohne Tronco und jetzt schwebend aufgehängt,
ist eine mittelmässige römische Arbeit.) -- Neben dieser mehr idealen

Amor und Psyche. Paris. Ganymed.
(Ungleiche Arbeit, von der Hälfte der Schenkel abwärts restaurirt.)
Ob Schlaf, Tod, oder der Sohn Aphroditens gemeint ist, wollen wir
nicht entscheiden.

Die erst spät (II. Jahrhundert n. Chr.) vorkommende Gruppe
Amors, der die Psyche liebkost, ist bei einem schönen Ausdruck
doch in den Linien der beiden Körper sowohl als in ihrer Durch-
bildung nur von mittlerem Werth. Selbst das vorzügliche capitolini-a
sche Exemplar (im verschlossnen Zimmer der Venus) macht hievon
nur eine bedingte Ausnahme; das florentinische (Uffizien, Halle desb
Hermaphr.) ist ziemlich gering. Noch später, an zahllosen Sarcopha-
gen, werden die beiden Kinder immer jünger, endlich blosse sog.
Putten, und in der Arbeit immer roher. Der neuern Kunst blieb hier
ein Feld offen, auf welchem Canova und Thorwaldsen neu sein
konnten.


Dem Eros-Typus nahe verwandt, doch fast nur in geringen Exem-
plaren vorhanden, erscheinen zwei andere Knabengestalten, die schön-
heitberühmten Söhne des Königshauses von Ilion, die Hirten vom Ida.
Zunächst der jugendliche Paris, in einer späten römischen Statuec
des Museums von Neapel (zweiter Gang); er ruht aufgelehnt, die
Füsse übereinander, den Apfel in der Rechten hinter sich haltend;
zwei Wurfspiesse lassen ihn zugleich als Jäger erkennen; neben ihm
ein Hund. Es liegt in dieser Figur etwas von dem schönen Müssig-
gang ruhender Götter und Satyrn, aber die Ausführung ist sehr be-
fangen. (Über den erwachsenen Paris in der Galeria delle statue des
Vaticans s. unten.) — Sodann Ganymed. Die alte Kunst muss zunächst
in einem sehr ausgezeichneten Werke (wahrscheinlich von Leochares)
das Aufwärtsschweben eines schlanken jugendlichen Körpers verbun-
den mit dem Ausdruck der Hingebung dargestellt haben, als Gany-
med der vom Adler behutsam emporgetragen wird (natürlich an einen
Tronco angelehnt und jedenfalls für die Sculptur ein zweifelhafter Ge-
genstand). Ein kleines römisches Exemplar im obern Gang des Va-d
ticans. (Der einst viel genannte venezianische Ganymed, im Dogen-e
palast, Camera a letto, ohne Tronco und jetzt schwebend aufgehängt,
ist eine mittelmässige römische Arbeit.) — Neben dieser mehr idealen

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[469/0491] Amor und Psyche. Paris. Ganymed. (Ungleiche Arbeit, von der Hälfte der Schenkel abwärts restaurirt.) Ob Schlaf, Tod, oder der Sohn Aphroditens gemeint ist, wollen wir nicht entscheiden. Die erst spät (II. Jahrhundert n. Chr.) vorkommende Gruppe Amors, der die Psyche liebkost, ist bei einem schönen Ausdruck doch in den Linien der beiden Körper sowohl als in ihrer Durch- bildung nur von mittlerem Werth. Selbst das vorzügliche capitolini- sche Exemplar (im verschlossnen Zimmer der Venus) macht hievon nur eine bedingte Ausnahme; das florentinische (Uffizien, Halle des Hermaphr.) ist ziemlich gering. Noch später, an zahllosen Sarcopha- gen, werden die beiden Kinder immer jünger, endlich blosse sog. Putten, und in der Arbeit immer roher. Der neuern Kunst blieb hier ein Feld offen, auf welchem Canova und Thorwaldsen neu sein konnten. a b Dem Eros-Typus nahe verwandt, doch fast nur in geringen Exem- plaren vorhanden, erscheinen zwei andere Knabengestalten, die schön- heitberühmten Söhne des Königshauses von Ilion, die Hirten vom Ida. Zunächst der jugendliche Paris, in einer späten römischen Statue des Museums von Neapel (zweiter Gang); er ruht aufgelehnt, die Füsse übereinander, den Apfel in der Rechten hinter sich haltend; zwei Wurfspiesse lassen ihn zugleich als Jäger erkennen; neben ihm ein Hund. Es liegt in dieser Figur etwas von dem schönen Müssig- gang ruhender Götter und Satyrn, aber die Ausführung ist sehr be- fangen. (Über den erwachsenen Paris in der Galeria delle statue des Vaticans s. unten.) — Sodann Ganymed. Die alte Kunst muss zunächst in einem sehr ausgezeichneten Werke (wahrscheinlich von Leochares) das Aufwärtsschweben eines schlanken jugendlichen Körpers verbun- den mit dem Ausdruck der Hingebung dargestellt haben, als Gany- med der vom Adler behutsam emporgetragen wird (natürlich an einen Tronco angelehnt und jedenfalls für die Sculptur ein zweifelhafter Ge- genstand). Ein kleines römisches Exemplar im obern Gang des Va- ticans. (Der einst viel genannte venezianische Ganymed, im Dogen- palast, Camera a letto, ohne Tronco und jetzt schwebend aufgehängt, ist eine mittelmässige römische Arbeit.) — Neben dieser mehr idealen c d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/491>, abgerufen am 26.06.2024.