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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Farnesische Flora. Victorien.
Kreis ihres Retters Dionysos aufgenommen ist; ihre spätere, bacchi-
sche Gestalt wird uns weiter beschäftigen.


Hier müssen wir eines der ruhmwürdigsten Werke des Alter-
thums einschalten, die sog. farnesische Flora (Museum von Nea-a
pel, in der danach benannten Halle). Man deutet sie gegenwärtig als
eine Hore; da Kopf, Arme, Attribute und Füsse modern sind, so
bleibt nur so viel mit Sicherheit anzunehmen, dass ein halbgöttliches
Mittelwesen gemeint sei. Colossal und für einen decorativen Zweck
berechnet, zeigt diess herrliche Bild doch durchaus lebendige Arbeit,
sowohl in dem von zwei Schulterspangen und einem Gürtel gehalte-
nen Unterkleid, als in dem leicht herumgelegten Obergewande und in
den nackten Theilen. Bei einer sehr reichen Körperbildung giebt die
ganze Gestalt im höchsten Grade den Eindruck des leichten Einher-
wallens, eine wahre Göttin des innigsten Wohlseins.

Eine andere colossale Statue derselben Sammlung (untere Vor-b
halle) ist wohl wirklich eine Flora, allein römisch-decorativ behandelt,
als schwere Gesimsfigur; doch ist hier der grandiose Kopf alt. (Ob
der als Gegenstück aufgestellte "Genius des römischen Volkes", eben-
falls seltsam schwer gebildet, von Alters her zu einer Reihe solcher
Figuren gehörte, ist mir nicht bekannt. Vgl. S. 426, a, und Anm.)

Von Pomonen wüsste ich kein irgend ausgezeichnetes Exemplar
anzuführen. Dasjenige in den Uffizien (erster Gang), auf welchesc
beispielshalber verwiesen werden mag, ist eine unbedeutende rö-
mische Gartenfigur mit modernem Kopf.

Leider ist auch keine recht gute Victorienstatue zu nennen 1), ob-
wohl es deren einst vortreffliche (freilich von Erz oder edeln Metallen)
gegeben haben muss, und zwar sowohl schwebende (d. h. scheinbar
auf den Zehen stehende mit wehendem Gewande in der Art der Diana
lucifera), als stehende. Eine geringe der letztern Art, welche doch
auf ein gutes Urbild schliessen lässt, in den Uffizien (erster Gang);d
eine der erstern Art im Pal. Riccardi (Vorzimmer der Acad. della

1) Wie es sich mit der Victoria des Museo patrio zu Brescia verhält, wurde
bei Anlass der siegreichen Aphrodite (S. 449, a) erörtert.

Farnesische Flora. Victorien.
Kreis ihres Retters Dionysos aufgenommen ist; ihre spätere, bacchi-
sche Gestalt wird uns weiter beschäftigen.


Hier müssen wir eines der ruhmwürdigsten Werke des Alter-
thums einschalten, die sog. farnesische Flora (Museum von Nea-a
pel, in der danach benannten Halle). Man deutet sie gegenwärtig als
eine Hore; da Kopf, Arme, Attribute und Füsse modern sind, so
bleibt nur so viel mit Sicherheit anzunehmen, dass ein halbgöttliches
Mittelwesen gemeint sei. Colossal und für einen decorativen Zweck
berechnet, zeigt diess herrliche Bild doch durchaus lebendige Arbeit,
sowohl in dem von zwei Schulterspangen und einem Gürtel gehalte-
nen Unterkleid, als in dem leicht herumgelegten Obergewande und in
den nackten Theilen. Bei einer sehr reichen Körperbildung giebt die
ganze Gestalt im höchsten Grade den Eindruck des leichten Einher-
wallens, eine wahre Göttin des innigsten Wohlseins.

Eine andere colossale Statue derselben Sammlung (untere Vor-b
halle) ist wohl wirklich eine Flora, allein römisch-decorativ behandelt,
als schwere Gesimsfigur; doch ist hier der grandiose Kopf alt. (Ob
der als Gegenstück aufgestellte „Genius des römischen Volkes“, eben-
falls seltsam schwer gebildet, von Alters her zu einer Reihe solcher
Figuren gehörte, ist mir nicht bekannt. Vgl. S. 426, a, und Anm.)

Von Pomonen wüsste ich kein irgend ausgezeichnetes Exemplar
anzuführen. Dasjenige in den Uffizien (erster Gang), auf welchesc
beispielshalber verwiesen werden mag, ist eine unbedeutende rö-
mische Gartenfigur mit modernem Kopf.

Leider ist auch keine recht gute Victorienstatue zu nennen 1), ob-
wohl es deren einst vortreffliche (freilich von Erz oder edeln Metallen)
gegeben haben muss, und zwar sowohl schwebende (d. h. scheinbar
auf den Zehen stehende mit wehendem Gewande in der Art der Diana
lucifera), als stehende. Eine geringe der letztern Art, welche doch
auf ein gutes Urbild schliessen lässt, in den Uffizien (erster Gang);d
eine der erstern Art im Pal. Riccardi (Vorzimmer der Acad. della

1) Wie es sich mit der Victoria des Museo patrio zu Brescia verhält, wurde
bei Anlass der siegreichen Aphrodite (S. 449, a) erörtert.
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[457/0479] Farnesische Flora. Victorien. Kreis ihres Retters Dionysos aufgenommen ist; ihre spätere, bacchi- sche Gestalt wird uns weiter beschäftigen. Hier müssen wir eines der ruhmwürdigsten Werke des Alter- thums einschalten, die sog. farnesische Flora (Museum von Nea- pel, in der danach benannten Halle). Man deutet sie gegenwärtig als eine Hore; da Kopf, Arme, Attribute und Füsse modern sind, so bleibt nur so viel mit Sicherheit anzunehmen, dass ein halbgöttliches Mittelwesen gemeint sei. Colossal und für einen decorativen Zweck berechnet, zeigt diess herrliche Bild doch durchaus lebendige Arbeit, sowohl in dem von zwei Schulterspangen und einem Gürtel gehalte- nen Unterkleid, als in dem leicht herumgelegten Obergewande und in den nackten Theilen. Bei einer sehr reichen Körperbildung giebt die ganze Gestalt im höchsten Grade den Eindruck des leichten Einher- wallens, eine wahre Göttin des innigsten Wohlseins. a Eine andere colossale Statue derselben Sammlung (untere Vor- halle) ist wohl wirklich eine Flora, allein römisch-decorativ behandelt, als schwere Gesimsfigur; doch ist hier der grandiose Kopf alt. (Ob der als Gegenstück aufgestellte „Genius des römischen Volkes“, eben- falls seltsam schwer gebildet, von Alters her zu einer Reihe solcher Figuren gehörte, ist mir nicht bekannt. Vgl. S. 426, a, und Anm.) b Von Pomonen wüsste ich kein irgend ausgezeichnetes Exemplar anzuführen. Dasjenige in den Uffizien (erster Gang), auf welches beispielshalber verwiesen werden mag, ist eine unbedeutende rö- mische Gartenfigur mit modernem Kopf. c Leider ist auch keine recht gute Victorienstatue zu nennen 1), ob- wohl es deren einst vortreffliche (freilich von Erz oder edeln Metallen) gegeben haben muss, und zwar sowohl schwebende (d. h. scheinbar auf den Zehen stehende mit wehendem Gewande in der Art der Diana lucifera), als stehende. Eine geringe der letztern Art, welche doch auf ein gutes Urbild schliessen lässt, in den Uffizien (erster Gang); eine der erstern Art im Pal. Riccardi (Vorzimmer der Acad. della d 1) Wie es sich mit der Victoria des Museo patrio zu Brescia verhält, wurde bei Anlass der siegreichen Aphrodite (S. 449, a) erörtert.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/479>, abgerufen am 26.06.2024.