Crusca). -- Um so reichlicher sind die Victorien im Relief und in ader Malerei vertreten; die schönsten am Titusbogen. -- Einige kleine Bronzefiguren geben wohl am ehesten einen Begriff von den schwe- bbenden Victorien; eine treffliche im Museum von Neapel (bei den cgrossen Bronzen); eine andere in den Uffizien (zweites Zimmer der Bronzen, vierter Schrank); diese letztere hat wie diejenigen am Titus- bogen nackte Schenkel, zur Andeutung ihrer raschen Botenschaft. Geringere Exemplare ziemlich häufig.
Bei diesem Anlass mag noch eines mythisch berühmten Weibes gedacht werden, das nur zu oft plastisch dargestellt worden ist, näm- lich der Leda mit dem Schwan. Ich brauche die betreffenden Sta- tuen nicht näher zu bezeichnen; sie sind nicht einmal recht gewaltig sinnlich, sondern meist so flau und langweilig, dass ihre Aufstellung in den meisten Sammlungen gar kein Hinderniss gefunden hat, wess- halb man ihnen denn auch überall begegnet. Der Schwan sieht bis- weilen eher einer Gans ähnlich und man hat desshalb andere Deu- tungen zu Hülfe gezogen; wer aber beachtet, in welchen Fällen das Thier klein gebildet ist, wird vielleicht mit uns der Ansicht sein, dass diess aus demselben ästhetischen Grund geschah, um dessentwillen die Panther des Bacchus in kleinerm Verhältniss gebildet wurden. d(Die gemeinste aller Leden, im Dogenpalast zu Venedig, Camera a letto, ist ein Werk des XVI. Jahrhunderts.)
Wenn die eben aufgezählten weiblichen Bildungen ein mytholo- gisch Gegebenes verherrlichten, so zeigt uns eine andere Reihe, die der Musen, wie die Griechen das Symbolische lebendig zu machen wussten, wie frei sie sich dabei bewegten und welche Grenzen sie innehielten. Statt sich ängstlich zu bemühen, jede Muse einzeln von Kopf bis zu Fusse ihrem Fache gemäss zu charakterisiren, begnügten sie sich mit Attributen und drückten in den Gestalten selbst fast nur das Allgemeine einer schön vergeistigten Weiblichkeit aus. (Verstüm- melte Musenstatuen sind desshalb kaum mit völliger Sicherheit zu restauriren, wenn man nicht ein Vorbild mit erhaltenen antiken Attri- buten vor sich hat.) Es ist das persönlich gewordene Sinnen, nicht das Phantasiren oder das Grübeln (wie in Albrecht Dürers Melan-
Antike Sculptur. Leda. Musen.
Crusca). — Um so reichlicher sind die Victorien im Relief und in ader Malerei vertreten; die schönsten am Titusbogen. — Einige kleine Bronzefiguren geben wohl am ehesten einen Begriff von den schwe- bbenden Victorien; eine treffliche im Museum von Neapel (bei den cgrossen Bronzen); eine andere in den Uffizien (zweites Zimmer der Bronzen, vierter Schrank); diese letztere hat wie diejenigen am Titus- bogen nackte Schenkel, zur Andeutung ihrer raschen Botenschaft. Geringere Exemplare ziemlich häufig.
Bei diesem Anlass mag noch eines mythisch berühmten Weibes gedacht werden, das nur zu oft plastisch dargestellt worden ist, näm- lich der Leda mit dem Schwan. Ich brauche die betreffenden Sta- tuen nicht näher zu bezeichnen; sie sind nicht einmal recht gewaltig sinnlich, sondern meist so flau und langweilig, dass ihre Aufstellung in den meisten Sammlungen gar kein Hinderniss gefunden hat, wess- halb man ihnen denn auch überall begegnet. Der Schwan sieht bis- weilen eher einer Gans ähnlich und man hat desshalb andere Deu- tungen zu Hülfe gezogen; wer aber beachtet, in welchen Fällen das Thier klein gebildet ist, wird vielleicht mit uns der Ansicht sein, dass diess aus demselben ästhetischen Grund geschah, um dessentwillen die Panther des Bacchus in kleinerm Verhältniss gebildet wurden. d(Die gemeinste aller Leden, im Dogenpalast zu Venedig, Camera a letto, ist ein Werk des XVI. Jahrhunderts.)
Wenn die eben aufgezählten weiblichen Bildungen ein mytholo- gisch Gegebenes verherrlichten, so zeigt uns eine andere Reihe, die der Musen, wie die Griechen das Symbolische lebendig zu machen wussten, wie frei sie sich dabei bewegten und welche Grenzen sie innehielten. Statt sich ängstlich zu bemühen, jede Muse einzeln von Kopf bis zu Fusse ihrem Fache gemäss zu charakterisiren, begnügten sie sich mit Attributen und drückten in den Gestalten selbst fast nur das Allgemeine einer schön vergeistigten Weiblichkeit aus. (Verstüm- melte Musenstatuen sind desshalb kaum mit völliger Sicherheit zu restauriren, wenn man nicht ein Vorbild mit erhaltenen antiken Attri- buten vor sich hat.) Es ist das persönlich gewordene Sinnen, nicht das Phantasiren oder das Grübeln (wie in Albrecht Dürers Melan-
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Antike Sculptur. Leda. Musen.
Crusca). — Um so reichlicher sind die Victorien im Relief und in
der Malerei vertreten; die schönsten am Titusbogen. — Einige kleine
Bronzefiguren geben wohl am ehesten einen Begriff von den schwe-
benden Victorien; eine treffliche im Museum von Neapel (bei den
grossen Bronzen); eine andere in den Uffizien (zweites Zimmer der
Bronzen, vierter Schrank); diese letztere hat wie diejenigen am Titus-
bogen nackte Schenkel, zur Andeutung ihrer raschen Botenschaft.
Geringere Exemplare ziemlich häufig.
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Bei diesem Anlass mag noch eines mythisch berühmten Weibes
gedacht werden, das nur zu oft plastisch dargestellt worden ist, näm-
lich der Leda mit dem Schwan. Ich brauche die betreffenden Sta-
tuen nicht näher zu bezeichnen; sie sind nicht einmal recht gewaltig
sinnlich, sondern meist so flau und langweilig, dass ihre Aufstellung
in den meisten Sammlungen gar kein Hinderniss gefunden hat, wess-
halb man ihnen denn auch überall begegnet. Der Schwan sieht bis-
weilen eher einer Gans ähnlich und man hat desshalb andere Deu-
tungen zu Hülfe gezogen; wer aber beachtet, in welchen Fällen das
Thier klein gebildet ist, wird vielleicht mit uns der Ansicht sein, dass
diess aus demselben ästhetischen Grund geschah, um dessentwillen
die Panther des Bacchus in kleinerm Verhältniss gebildet wurden.
(Die gemeinste aller Leden, im Dogenpalast zu Venedig, Camera a
letto, ist ein Werk des XVI. Jahrhunderts.)
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Wenn die eben aufgezählten weiblichen Bildungen ein mytholo-
gisch Gegebenes verherrlichten, so zeigt uns eine andere Reihe, die
der Musen, wie die Griechen das Symbolische lebendig zu machen
wussten, wie frei sie sich dabei bewegten und welche Grenzen sie
innehielten. Statt sich ängstlich zu bemühen, jede Muse einzeln von
Kopf bis zu Fusse ihrem Fache gemäss zu charakterisiren, begnügten
sie sich mit Attributen und drückten in den Gestalten selbst fast nur
das Allgemeine einer schön vergeistigten Weiblichkeit aus. (Verstüm-
melte Musenstatuen sind desshalb kaum mit völliger Sicherheit zu
restauriren, wenn man nicht ein Vorbild mit erhaltenen antiken Attri-
buten vor sich hat.) Es ist das persönlich gewordene Sinnen, nicht
das Phantasiren oder das Grübeln (wie in Albrecht Dürers Melan-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/480>, abgerufen am 18.12.2024.
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