Es kann nicht befremden, dass die römische Kunst sich dieses Motives geradezu bediente, um die Victoria, den weiblichen Genius des Sieges darzustellen. Dieser Art ist die herrliche eherne Victoriaa im Museo patrio zu Brescia; schon im Typus des Kopfes der Göt- tin genähert, vergegenwärtigt sie uns vielleicht ziemlich genau die Haltung und Bewegung der siegreichen Aphroditen, nur dass sie auf den Schild schreibt und auch am Oberleibe mit einem (vorzüglich schön behandelten) leichten Gewande bekleidet ist. Sie steht mit dem linken Fuss auf einem (restaurirten) Helm, und stützt den (restau- rirten) Schild auf die vom Überschlag des Mantels bedeckte linke Hüfte. Auf Münzen des I. Jahrh. n. Chr. sind Victorien dieses Typus nicht selten.
Einen andern Sinn zeigt der von Praxiteles und seiner "knidi- schen Aphrodite" abgeleitete Typus. Das Göttliche geht hier rein in den wunderbarsten weiblichen Liebreiz auf, der sich in gross- artigen Formen unverhüllt, aber ohne alle Lüsternheit offenbart. Die Herrin ist hier zuerst mit einem bloss menschlichen Motiv, nämlich als baden Wollende oder Gebadete dargestellt; darauf deutet das Salbengefäss, auf welches sie bisweilen mit der einen Hand das Ge- wand legt; mit der andern, auch wohl mit einem Theile des Gewandes deckt sie den Schooss, nicht ängstlich, auch nicht buhlerisch, sondern wie es der Göttin geziemt. Oft hat sie beide Hände frei, die eine vor der Brust, die andere vor dem Schooss. Die Leichtigkeit und zugleich die Ruhe ihrer Stellung ist nicht mit Worten auszudrücken; sie scheint herbeigeschwebt zu sein. Das Schmachtende ist in den noch immer grandiosen Zügen des hier schon etwas schmalern Hauptes nur eben angedeutet.
Die verschiedenen Einzelmotive, welche wir so eben bezeichneten, sind meist in mehrern Beispielen nachweisbar, von welchen sich manche bis in die späteste Römerzeit hinein verlieren. Wir nennen nur die wichtigern Exemplare:
Die vaticanische (Sala a croce greca) mit modernem blecher-b nem Gewande; der herrliche Kopf noch sehr an die Venus victrix erinnernd.
B. Cicerone. 29
Aphrodite. Die Knidische.
Es kann nicht befremden, dass die römische Kunst sich dieses Motives geradezu bediente, um die Victoria, den weiblichen Genius des Sieges darzustellen. Dieser Art ist die herrliche eherne Victoriaa im Museo patrio zu Brescia; schon im Typus des Kopfes der Göt- tin genähert, vergegenwärtigt sie uns vielleicht ziemlich genau die Haltung und Bewegung der siegreichen Aphroditen, nur dass sie auf den Schild schreibt und auch am Oberleibe mit einem (vorzüglich schön behandelten) leichten Gewande bekleidet ist. Sie steht mit dem linken Fuss auf einem (restaurirten) Helm, und stützt den (restau- rirten) Schild auf die vom Überschlag des Mantels bedeckte linke Hüfte. Auf Münzen des I. Jahrh. n. Chr. sind Victorien dieses Typus nicht selten.
Einen andern Sinn zeigt der von Praxiteles und seiner „knidi- schen Aphrodite“ abgeleitete Typus. Das Göttliche geht hier rein in den wunderbarsten weiblichen Liebreiz auf, der sich in gross- artigen Formen unverhüllt, aber ohne alle Lüsternheit offenbart. Die Herrin ist hier zuerst mit einem bloss menschlichen Motiv, nämlich als baden Wollende oder Gebadete dargestellt; darauf deutet das Salbengefäss, auf welches sie bisweilen mit der einen Hand das Ge- wand legt; mit der andern, auch wohl mit einem Theile des Gewandes deckt sie den Schooss, nicht ängstlich, auch nicht buhlerisch, sondern wie es der Göttin geziemt. Oft hat sie beide Hände frei, die eine vor der Brust, die andere vor dem Schooss. Die Leichtigkeit und zugleich die Ruhe ihrer Stellung ist nicht mit Worten auszudrücken; sie scheint herbeigeschwebt zu sein. Das Schmachtende ist in den noch immer grandiosen Zügen des hier schon etwas schmalern Hauptes nur eben angedeutet.
Die verschiedenen Einzelmotive, welche wir so eben bezeichneten, sind meist in mehrern Beispielen nachweisbar, von welchen sich manche bis in die späteste Römerzeit hinein verlieren. Wir nennen nur die wichtigern Exemplare:
Die vaticanische (Sala a croce greca) mit modernem blecher-b nem Gewande; der herrliche Kopf noch sehr an die Venus victrix erinnernd.
B. Cicerone. 29
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Aphrodite. Die Knidische.
Es kann nicht befremden, dass die römische Kunst sich dieses
Motives geradezu bediente, um die Victoria, den weiblichen Genius
des Sieges darzustellen. Dieser Art ist die herrliche eherne Victoria
im Museo patrio zu Brescia; schon im Typus des Kopfes der Göt-
tin genähert, vergegenwärtigt sie uns vielleicht ziemlich genau die
Haltung und Bewegung der siegreichen Aphroditen, nur dass sie auf
den Schild schreibt und auch am Oberleibe mit einem (vorzüglich
schön behandelten) leichten Gewande bekleidet ist. Sie steht mit dem
linken Fuss auf einem (restaurirten) Helm, und stützt den (restau-
rirten) Schild auf die vom Überschlag des Mantels bedeckte linke
Hüfte. Auf Münzen des I. Jahrh. n. Chr. sind Victorien dieses Typus
nicht selten.
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Einen andern Sinn zeigt der von Praxiteles und seiner „knidi-
schen Aphrodite“ abgeleitete Typus. Das Göttliche geht hier
rein in den wunderbarsten weiblichen Liebreiz auf, der sich in gross-
artigen Formen unverhüllt, aber ohne alle Lüsternheit offenbart. Die
Herrin ist hier zuerst mit einem bloss menschlichen Motiv, nämlich
als baden Wollende oder Gebadete dargestellt; darauf deutet das
Salbengefäss, auf welches sie bisweilen mit der einen Hand das Ge-
wand legt; mit der andern, auch wohl mit einem Theile des Gewandes
deckt sie den Schooss, nicht ängstlich, auch nicht buhlerisch, sondern
wie es der Göttin geziemt. Oft hat sie beide Hände frei, die eine
vor der Brust, die andere vor dem Schooss. Die Leichtigkeit und
zugleich die Ruhe ihrer Stellung ist nicht mit Worten auszudrücken;
sie scheint herbeigeschwebt zu sein. Das Schmachtende ist in den
noch immer grandiosen Zügen des hier schon etwas schmalern Hauptes
nur eben angedeutet.
Die verschiedenen Einzelmotive, welche wir so eben bezeichneten,
sind meist in mehrern Beispielen nachweisbar, von welchen sich manche
bis in die späteste Römerzeit hinein verlieren. Wir nennen nur die
wichtigern Exemplare:
Die vaticanische (Sala a croce greca) mit modernem blecher-
nem Gewande; der herrliche Kopf noch sehr an die Venus victrix
erinnernd.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/471>, abgerufen am 18.12.2024.
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