Bei einem Vergleich mit den flatternden Gewändern der Bernini- schen Schule wird man selbst den manierirtesten Dianenbildern dieser Art im Verhältniss das schöne und edle Masshalten zugestehen, das die antike Kunst nie ganz verlässt.
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Schliesslich ist eine schöne kleine Bronze der Uffizien (II. Zim- mer d. Br., 4. Schrank) nicht zu übersehen.
So wie Apoll unter den Göttern, so bezeichnet Aphrodite unter den Göttinnen die Sonnenhöhe griechischer Idealbildung, nicht in ihrem ältern, königlich matronenhaften Typus, sondern in der- jenigen Gestalt, die sie erst in der Zeit nach Phidias empfing. Und zwar scheint sich zunächst diejenige Darstellung ausgebildet zu haben, welche wir aus der Venus von Melos (im Louvre) kennen lernen; vielleicht aus Scheu, zu frühe in den gewöhnlichen Liebreiz zu ver- fallen, gestaltete die Kunst sie als Herrin selbst über göttliches Ge- schick, als Venus victrix, wahrscheinlich mit den Waffen des Ares in den Händen, vielleicht auch eine Palme umfassend 1), und von den Hüften an bekleidet. Ihr Bau ist nicht bloss schön, sondern ge- waltig, mit einem Anklang an das Amazonenhafte; ihr Haupt trägt göttlich freie und stolze Züge, die wir im Leben nicht wohl ertragen würden. -- Eine nur sehr bedingte Reproduction hievon ist die Ve- bnus von Capua im Museum von Neapel (zweiter Gang), aus spä- terer, versüssender Kunstepoche. Die widerliche Restauration der Arme und den ganz willkürlich neben sie gestellten Amor denke man sich hinweg, -- denn von letzterm sind auch die Füsse nicht alt, wie man behaupten will, sondern nur die untere Platte der Basis, welche indess ganz etwas anderes, etwa eine Trophäe getragen haben wird, oder irgend einen Gegenstand den die Göttin mit der Hand be- rührte. In der Behandlung der Formen steht diese Aphrodite mehrern der unten zu nennenden lange nicht gleich. (In spielender Umdeutung cbraucht die spätere Kunst den Gedanken in der guten römischen Statue einer nackten sehr jugendlichen Venus, welche sich das Schwert des Mars umhängt; Uffizien, Verbindungsgang.)
1) Bekanntlich fehlen der Venus von Melos die Arme und auch die Fortsetzung der Basis bleibt zweifelhaft.
Antike Sculptur. Aphrodite. Die Siegreiche.
Bei einem Vergleich mit den flatternden Gewändern der Bernini- schen Schule wird man selbst den manierirtesten Dianenbildern dieser Art im Verhältniss das schöne und edle Masshalten zugestehen, das die antike Kunst nie ganz verlässt.
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Schliesslich ist eine schöne kleine Bronze der Uffizien (II. Zim- mer d. Br., 4. Schrank) nicht zu übersehen.
So wie Apoll unter den Göttern, so bezeichnet Aphrodite unter den Göttinnen die Sonnenhöhe griechischer Idealbildung, nicht in ihrem ältern, königlich matronenhaften Typus, sondern in der- jenigen Gestalt, die sie erst in der Zeit nach Phidias empfing. Und zwar scheint sich zunächst diejenige Darstellung ausgebildet zu haben, welche wir aus der Venus von Melos (im Louvre) kennen lernen; vielleicht aus Scheu, zu frühe in den gewöhnlichen Liebreiz zu ver- fallen, gestaltete die Kunst sie als Herrin selbst über göttliches Ge- schick, als Venus victrix, wahrscheinlich mit den Waffen des Ares in den Händen, vielleicht auch eine Palme umfassend 1), und von den Hüften an bekleidet. Ihr Bau ist nicht bloss schön, sondern ge- waltig, mit einem Anklang an das Amazonenhafte; ihr Haupt trägt göttlich freie und stolze Züge, die wir im Leben nicht wohl ertragen würden. — Eine nur sehr bedingte Reproduction hievon ist die Ve- bnus von Capua im Museum von Neapel (zweiter Gang), aus spä- terer, versüssender Kunstepoche. Die widerliche Restauration der Arme und den ganz willkürlich neben sie gestellten Amor denke man sich hinweg, — denn von letzterm sind auch die Füsse nicht alt, wie man behaupten will, sondern nur die untere Platte der Basis, welche indess ganz etwas anderes, etwa eine Trophäe getragen haben wird, oder irgend einen Gegenstand den die Göttin mit der Hand be- rührte. In der Behandlung der Formen steht diese Aphrodite mehrern der unten zu nennenden lange nicht gleich. (In spielender Umdeutung cbraucht die spätere Kunst den Gedanken in der guten römischen Statue einer nackten sehr jugendlichen Venus, welche sich das Schwert des Mars umhängt; Uffizien, Verbindungsgang.)
1) Bekanntlich fehlen der Venus von Melos die Arme und auch die Fortsetzung der Basis bleibt zweifelhaft.
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Antike Sculptur. Aphrodite. Die Siegreiche.
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Art im Verhältniss das schöne und edle Masshalten zugestehen, das
die antike Kunst nie ganz verlässt.
Schliesslich ist eine schöne kleine Bronze der Uffizien (II. Zim-
mer d. Br., 4. Schrank) nicht zu übersehen.
So wie Apoll unter den Göttern, so bezeichnet Aphrodite
unter den Göttinnen die Sonnenhöhe griechischer Idealbildung, nicht
in ihrem ältern, königlich matronenhaften Typus, sondern in der-
jenigen Gestalt, die sie erst in der Zeit nach Phidias empfing. Und
zwar scheint sich zunächst diejenige Darstellung ausgebildet zu haben,
welche wir aus der Venus von Melos (im Louvre) kennen lernen;
vielleicht aus Scheu, zu frühe in den gewöhnlichen Liebreiz zu ver-
fallen, gestaltete die Kunst sie als Herrin selbst über göttliches Ge-
schick, als Venus victrix, wahrscheinlich mit den Waffen des
Ares in den Händen, vielleicht auch eine Palme umfassend 1), und von
den Hüften an bekleidet. Ihr Bau ist nicht bloss schön, sondern ge-
waltig, mit einem Anklang an das Amazonenhafte; ihr Haupt trägt
göttlich freie und stolze Züge, die wir im Leben nicht wohl ertragen
würden. — Eine nur sehr bedingte Reproduction hievon ist die Ve-
nus von Capua im Museum von Neapel (zweiter Gang), aus spä-
terer, versüssender Kunstepoche. Die widerliche Restauration der
Arme und den ganz willkürlich neben sie gestellten Amor denke man
sich hinweg, — denn von letzterm sind auch die Füsse nicht alt,
wie man behaupten will, sondern nur die untere Platte der Basis,
welche indess ganz etwas anderes, etwa eine Trophäe getragen haben
wird, oder irgend einen Gegenstand den die Göttin mit der Hand be-
rührte. In der Behandlung der Formen steht diese Aphrodite mehrern
der unten zu nennenden lange nicht gleich. (In spielender Umdeutung
braucht die spätere Kunst den Gedanken in der guten römischen Statue
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Mars umhängt; Uffizien, Verbindungsgang.)
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1) Bekanntlich fehlen der Venus von Melos die Arme und auch die Fortsetzung
der Basis bleibt zweifelhaft.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/470>, abgerufen am 18.12.2024.
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