Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.
Antike Sculptur. Krieger. Heroen. aschönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der Villa Ludo-visi (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, den wir schon bei Anlass des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von bNeapel (erster Gang, leider wie so Manches aus der alten farnesischen Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Theile einer Gruppe und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschliessliche Be- rechnung auf die Vordersicht andeutet 1). Einer dieser Kämpfer sinkt tödtlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter, sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits verwundet, zu vertheidigen. Die Motive sind sämmtlich von höherm Werthe als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfscenen, die das be- deutendste Factum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam verdichtet und concentrirt darstellen mussten. Dass das Urbild ein sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten, dessen regelmässige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar an die Ägineten erinnern. -- In demselben Gang finden sich noch mehrere Kriegerstatuen theils von geringerm Werth, theils von über- cwiegend modernen Bestandtheilen. -- In der Halle des farnesischen Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojani- schen Heldenkreise (colossal, schon in antiker Zeit (?) restaurirt und mit einem Bildnisskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen todten Knaben, den er an dem einen Fusse hält und über die Schul- ter hängen lässt, eilig aus dem Kampfgewühl; es ist wahrscheinlich Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen lässt; die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verrathen ein vor- treffliches Urbild. -- Noch viel berühmter aber muss eine oft wieder- holte Gruppe: Aiax (n. a. Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus gewesen sein, welche bei Anlass der Gruppen zu besprechen sein wird. 1) *Einer Gruppe gehörte auch wohl der schlecht restaurirte knieende Krieger
in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes Werk. Antike Sculptur. Krieger. Heroen. aschönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der Villa Ludo-visi (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, den wir schon bei Anlass des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von bNeapel (erster Gang, leider wie so Manches aus der alten farnesischen Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Theile einer Gruppe und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschliessliche Be- rechnung auf die Vordersicht andeutet 1). Einer dieser Kämpfer sinkt tödtlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter, sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits verwundet, zu vertheidigen. Die Motive sind sämmtlich von höherm Werthe als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfscenen, die das be- deutendste Factum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam verdichtet und concentrirt darstellen mussten. Dass das Urbild ein sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten, dessen regelmässige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar an die Ägineten erinnern. — In demselben Gang finden sich noch mehrere Kriegerstatuen theils von geringerm Werth, theils von über- cwiegend modernen Bestandtheilen. — In der Halle des farnesischen Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojani- schen Heldenkreise (colossal, schon in antiker Zeit (?) restaurirt und mit einem Bildnisskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen todten Knaben, den er an dem einen Fusse hält und über die Schul- ter hängen lässt, eilig aus dem Kampfgewühl; es ist wahrscheinlich Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen lässt; die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verrathen ein vor- treffliches Urbild. — Noch viel berühmter aber muss eine oft wieder- holte Gruppe: Aiax (n. a. Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus gewesen sein, welche bei Anlass der Gruppen zu besprechen sein wird. 1) *Einer Gruppe gehörte auch wohl der schlecht restaurirte knieende Krieger
in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes Werk. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0458" n="436"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Antike Sculptur. Krieger. Heroen.</hi></fw><lb/><note place="left">a</note>schönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der <hi rendition="#g">Villa Ludo-<lb/> visi</hi> (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, den wir schon bei<lb/> Anlass des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von<lb/><note place="left">b</note>Neapel (erster Gang, leider wie so Manches aus der alten farnesischen<lb/> Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Theile einer Gruppe<lb/> und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschliessliche Be-<lb/> rechnung auf die Vordersicht andeutet <note place="foot" n="1)"><note place="left">*</note>Einer Gruppe gehörte auch wohl der schlecht restaurirte knieende Krieger<lb/> in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes<lb/> Werk.</note>. Einer dieser Kämpfer sinkt<lb/> tödtlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem<lb/> Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter,<lb/> sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits<lb/> verwundet, zu vertheidigen. Die Motive sind sämmtlich von höherm<lb/> Werthe als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne<lb/> griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfscenen, die das be-<lb/> deutendste Factum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam<lb/> verdichtet und concentrirt darstellen mussten. Dass das Urbild ein<lb/> sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten,<lb/> dessen regelmässige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar<lb/> an die Ägineten erinnern. — In demselben Gang finden sich noch<lb/> mehrere Kriegerstatuen theils von geringerm Werth, theils von über-<lb/><note place="left">c</note>wiegend modernen Bestandtheilen. — In der Halle des farnesischen<lb/> Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojani-<lb/> schen Heldenkreise (colossal, schon in antiker Zeit (?) restaurirt und<lb/> mit einem Bildnisskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen<lb/> todten Knaben, den er an dem einen Fusse hält und über die Schul-<lb/> ter hängen lässt, eilig aus dem Kampfgewühl; es ist wahrscheinlich<lb/> Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die<lb/> Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern<lb/> Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen lässt;<lb/> die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verrathen ein vor-<lb/> treffliches Urbild. — Noch viel berühmter aber muss eine oft wieder-<lb/> holte Gruppe: Aiax (n. a. Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus<lb/> gewesen sein, welche bei Anlass der Gruppen zu besprechen sein wird.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [436/0458]
Antike Sculptur. Krieger. Heroen.
schönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der Villa Ludo-
visi (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, den wir schon bei
Anlass des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von
Neapel (erster Gang, leider wie so Manches aus der alten farnesischen
Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Theile einer Gruppe
und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschliessliche Be-
rechnung auf die Vordersicht andeutet 1). Einer dieser Kämpfer sinkt
tödtlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem
Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter,
sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits
verwundet, zu vertheidigen. Die Motive sind sämmtlich von höherm
Werthe als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne
griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfscenen, die das be-
deutendste Factum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam
verdichtet und concentrirt darstellen mussten. Dass das Urbild ein
sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten,
dessen regelmässige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar
an die Ägineten erinnern. — In demselben Gang finden sich noch
mehrere Kriegerstatuen theils von geringerm Werth, theils von über-
wiegend modernen Bestandtheilen. — In der Halle des farnesischen
Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojani-
schen Heldenkreise (colossal, schon in antiker Zeit (?) restaurirt und
mit einem Bildnisskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen
todten Knaben, den er an dem einen Fusse hält und über die Schul-
ter hängen lässt, eilig aus dem Kampfgewühl; es ist wahrscheinlich
Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die
Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern
Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen lässt;
die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verrathen ein vor-
treffliches Urbild. — Noch viel berühmter aber muss eine oft wieder-
holte Gruppe: Aiax (n. a. Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus
gewesen sein, welche bei Anlass der Gruppen zu besprechen sein wird.
a
b
c
1) Einer Gruppe gehörte auch wohl der schlecht restaurirte knieende Krieger
in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes
Werk.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/458 |
| Zitationshilfe: | Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/458>, abgerufen am 18.12.2024. |
