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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Athleten. Discobolen.
Gladiator abgerichteten römischen Sklaven. Der griechische Jüngling
übte sich in allen Gattungen der Gymnastik freiwillig, weil ihm die
gleichmässige Ausbildung des ganzen Menschen Lebenszweck war.
Und so stellte ihn die Kunst dar, edel bewegt oder edel stehend, ela-
stisch ohne alles Tänzerliche, mit irgend einer äussern Andeutung des
eigentlich Gymnastischen; der ganze Leib aber ist in allen Theilen
durchgearbeitet und der Weichlichkeit abgerungen ohne doch in der
reichen Musculatur irgendwie absichtlich zu erscheinen. Eine innere
Schwungkraft scheint ihn zu beleben. Der in der Regel kleine Kopf
mit kurzem Haar sitzt frei und schön auf dem Nacken; der Ausdruck
ist ernst und sanft und klingt sehr deutlich an den des Hermes an.

Im Braccio nuovo des Vaticans bereiten die Athleten der Halb-a
rotunde, mittelgute Arbeiten, auf den vor drei Jahren gefundenen
"Apoxyomenos" am Ende des Saales vor. Wenn die Kenner in
demselben auch nicht das berühmte Original des Lysipp finden und
im Einzelnen Manches tadeln wollen, so bleibt die Statue doch eine
der besten dieser Art. Die so schwer auf schöne Weise zu gebende
Bewegung der Arme und die dadurch begründete Linie des Körpers
sind hier Wunder der Kunst.

Sehr reizende Motive gewährten sodann die Discobolen oder
Scheibenwerfer; sei es dass sie gebückt im Augenblick des Werfens,
oder stehend und sich zum Wurf vorbereitend gebildet wurden; immer
geschah es mit dem höchsten, durch die ganze Gestalt verbreiteten
Ausdruck des Momentes. Der Vatican enthält (in der Sala della biga)b
sehr ausgezeichnete Beispiele, einen stehenden, mit Auge und Geberde
sein Ziel messenden, nach Naukydes, und einen gebückten, nach My-
ron; von letzterm ein noch schöneres Exemplar im Palast Massimic
zu Rom. Ein sehr zusammengestückelter stehender, von ursprünglich
guter Arbeit, im Braccio nuovo des Vaticans. Eine geringere Wieder-d
holung des myronischen in den Uffizien, zweiter Gang.e

Bei weitem am häufigsten aber sind ruhig stehende Athletenbil-
der, ohne Andeutung einer besondern Thätigkeit. Bei ihrer oft stark
restaurirten Beschaffenheit und dem meist geringen Werth ihrer Aus-
führung (als Decorationsfiguren) ist es nöthig sich zu erinnern, dass
man doch vielleicht manches Nachbild nach jenen hunderten der schön-
sten Athletenstatuen im Hain von Olympia vor sich hat. -- Zu diesen

B. Cicerone. 28

Athleten. Discobolen.
Gladiator abgerichteten römischen Sklaven. Der griechische Jüngling
übte sich in allen Gattungen der Gymnastik freiwillig, weil ihm die
gleichmässige Ausbildung des ganzen Menschen Lebenszweck war.
Und so stellte ihn die Kunst dar, edel bewegt oder edel stehend, ela-
stisch ohne alles Tänzerliche, mit irgend einer äussern Andeutung des
eigentlich Gymnastischen; der ganze Leib aber ist in allen Theilen
durchgearbeitet und der Weichlichkeit abgerungen ohne doch in der
reichen Musculatur irgendwie absichtlich zu erscheinen. Eine innere
Schwungkraft scheint ihn zu beleben. Der in der Regel kleine Kopf
mit kurzem Haar sitzt frei und schön auf dem Nacken; der Ausdruck
ist ernst und sanft und klingt sehr deutlich an den des Hermes an.

Im Braccio nuovo des Vaticans bereiten die Athleten der Halb-a
rotunde, mittelgute Arbeiten, auf den vor drei Jahren gefundenen
Apoxyomenos“ am Ende des Saales vor. Wenn die Kenner in
demselben auch nicht das berühmte Original des Lysipp finden und
im Einzelnen Manches tadeln wollen, so bleibt die Statue doch eine
der besten dieser Art. Die so schwer auf schöne Weise zu gebende
Bewegung der Arme und die dadurch begründete Linie des Körpers
sind hier Wunder der Kunst.

Sehr reizende Motive gewährten sodann die Discobolen oder
Scheibenwerfer; sei es dass sie gebückt im Augenblick des Werfens,
oder stehend und sich zum Wurf vorbereitend gebildet wurden; immer
geschah es mit dem höchsten, durch die ganze Gestalt verbreiteten
Ausdruck des Momentes. Der Vatican enthält (in der Sala della biga)b
sehr ausgezeichnete Beispiele, einen stehenden, mit Auge und Geberde
sein Ziel messenden, nach Naukydes, und einen gebückten, nach My-
ron; von letzterm ein noch schöneres Exemplar im Palast Massimic
zu Rom. Ein sehr zusammengestückelter stehender, von ursprünglich
guter Arbeit, im Braccio nuovo des Vaticans. Eine geringere Wieder-d
holung des myronischen in den Uffizien, zweiter Gang.e

Bei weitem am häufigsten aber sind ruhig stehende Athletenbil-
der, ohne Andeutung einer besondern Thätigkeit. Bei ihrer oft stark
restaurirten Beschaffenheit und dem meist geringen Werth ihrer Aus-
führung (als Decorationsfiguren) ist es nöthig sich zu erinnern, dass
man doch vielleicht manches Nachbild nach jenen hunderten der schön-
sten Athletenstatuen im Hain von Olympia vor sich hat. — Zu diesen

B. Cicerone. 28
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[433/0455] Athleten. Discobolen. Gladiator abgerichteten römischen Sklaven. Der griechische Jüngling übte sich in allen Gattungen der Gymnastik freiwillig, weil ihm die gleichmässige Ausbildung des ganzen Menschen Lebenszweck war. Und so stellte ihn die Kunst dar, edel bewegt oder edel stehend, ela- stisch ohne alles Tänzerliche, mit irgend einer äussern Andeutung des eigentlich Gymnastischen; der ganze Leib aber ist in allen Theilen durchgearbeitet und der Weichlichkeit abgerungen ohne doch in der reichen Musculatur irgendwie absichtlich zu erscheinen. Eine innere Schwungkraft scheint ihn zu beleben. Der in der Regel kleine Kopf mit kurzem Haar sitzt frei und schön auf dem Nacken; der Ausdruck ist ernst und sanft und klingt sehr deutlich an den des Hermes an. Im Braccio nuovo des Vaticans bereiten die Athleten der Halb- rotunde, mittelgute Arbeiten, auf den vor drei Jahren gefundenen „Apoxyomenos“ am Ende des Saales vor. Wenn die Kenner in demselben auch nicht das berühmte Original des Lysipp finden und im Einzelnen Manches tadeln wollen, so bleibt die Statue doch eine der besten dieser Art. Die so schwer auf schöne Weise zu gebende Bewegung der Arme und die dadurch begründete Linie des Körpers sind hier Wunder der Kunst. a Sehr reizende Motive gewährten sodann die Discobolen oder Scheibenwerfer; sei es dass sie gebückt im Augenblick des Werfens, oder stehend und sich zum Wurf vorbereitend gebildet wurden; immer geschah es mit dem höchsten, durch die ganze Gestalt verbreiteten Ausdruck des Momentes. Der Vatican enthält (in der Sala della biga) sehr ausgezeichnete Beispiele, einen stehenden, mit Auge und Geberde sein Ziel messenden, nach Naukydes, und einen gebückten, nach My- ron; von letzterm ein noch schöneres Exemplar im Palast Massimi zu Rom. Ein sehr zusammengestückelter stehender, von ursprünglich guter Arbeit, im Braccio nuovo des Vaticans. Eine geringere Wieder- holung des myronischen in den Uffizien, zweiter Gang. b c d e Bei weitem am häufigsten aber sind ruhig stehende Athletenbil- der, ohne Andeutung einer besondern Thätigkeit. Bei ihrer oft stark restaurirten Beschaffenheit und dem meist geringen Werth ihrer Aus- führung (als Decorationsfiguren) ist es nöthig sich zu erinnern, dass man doch vielleicht manches Nachbild nach jenen hunderten der schön- sten Athletenstatuen im Hain von Olympia vor sich hat. — Zu diesen B. Cicerone. 28

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/455>, abgerufen am 17.06.2024.