Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Antike Sculptur. Herakles.
Urgestalt des Werkes 1) wage ich nur, den Beschauer auf die unge-
meine Leichtigkeit und Elasticität dieser Bildung, auf den Ausdruck
der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen.

Liegt hierin eine Andeutung, dass Herakles verklärt, etwa in
seiner Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so
aspricht der farnesische Herakles (Colossalstatue des Atheners
Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen
ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wan-
derungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit
den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese sammt der rechten Hand
restaurirt, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Musculatur, in
dem Ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt
noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Aus-
druck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die
Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Haup-
tes und die reine Horizontale der Schultern charakterisirt, während
Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit
eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso aller-
dings nicht zu vergleichen. Am Kopf sehr starke Restaurationen.

Unzählige, meist spätere Arbeiten, stellen den Heros und seine
bMythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig
vor. (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli
cAnimali des Vaticans allein sind vier Thaten des Heros in nicht ganz
dlebensgrossen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein
ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als
Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen
eGewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das
von irgend einer guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte
Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr
artiges römisches Werk.

f

Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt
im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute,
aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des

1) Man denkt sich Herakles emporschauend gegen eine zu seiner Linken stehende
Hebe.

Antike Sculptur. Herakles.
Urgestalt des Werkes 1) wage ich nur, den Beschauer auf die unge-
meine Leichtigkeit und Elasticität dieser Bildung, auf den Ausdruck
der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen.

Liegt hierin eine Andeutung, dass Herakles verklärt, etwa in
seiner Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so
aspricht der farnesische Herakles (Colossalstatue des Atheners
Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen
ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wan-
derungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit
den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese sammt der rechten Hand
restaurirt, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Musculatur, in
dem Ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt
noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Aus-
druck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die
Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Haup-
tes und die reine Horizontale der Schultern charakterisirt, während
Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit
eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso aller-
dings nicht zu vergleichen. Am Kopf sehr starke Restaurationen.

Unzählige, meist spätere Arbeiten, stellen den Heros und seine
bMythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig
vor. (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli
cAnimali des Vaticans allein sind vier Thaten des Heros in nicht ganz
dlebensgrossen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein
ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als
Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen
eGewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das
von irgend einer guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte
Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr
artiges römisches Werk.

f

Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt
im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute,
aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des

1) Man denkt sich Herakles emporschauend gegen eine zu seiner Linken stehende
Hebe.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0446" n="424"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Antike Sculptur. Herakles.</hi></fw><lb/>
Urgestalt des Werkes <note place="foot" n="1)">Man denkt sich Herakles emporschauend gegen eine zu seiner Linken stehende<lb/>
Hebe.</note> wage ich nur, den Beschauer auf die unge-<lb/>
meine Leichtigkeit und Elasticität dieser Bildung, auf den Ausdruck<lb/>
der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen.</p><lb/>
        <p>Liegt hierin eine Andeutung, dass Herakles verklärt, etwa in<lb/>
seiner Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so<lb/><note place="left">a</note>spricht der <hi rendition="#g">farnesische Herakles</hi> (Colossalstatue des Atheners<lb/>
Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen<lb/>
ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wan-<lb/>
derungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit<lb/>
den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese sammt der rechten Hand<lb/>
restaurirt, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Musculatur, in<lb/>
dem Ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt<lb/>
noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Aus-<lb/>
druck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die<lb/>
Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Haup-<lb/>
tes und die reine Horizontale der Schultern charakterisirt, während<lb/>
Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit<lb/>
eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso aller-<lb/>
dings nicht zu vergleichen. Am Kopf sehr starke Restaurationen.</p><lb/>
        <p>Unzählige, meist spätere Arbeiten, stellen den Heros und seine<lb/><note place="left">b</note>Mythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig<lb/>
vor. (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli<lb/><note place="left">c</note>Animali des Vaticans allein sind vier Thaten des Heros in nicht ganz<lb/><note place="left">d</note>lebensgrossen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein<lb/>
ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als<lb/>
Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen<lb/><note place="left">e</note>Gewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das<lb/>
von irgend einer guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte<lb/>
Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr<lb/>
artiges römisches Werk.</p><lb/>
        <note place="left">f</note>
        <p>Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt<lb/>
im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute,<lb/>
aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0446] Antike Sculptur. Herakles. Urgestalt des Werkes 1) wage ich nur, den Beschauer auf die unge- meine Leichtigkeit und Elasticität dieser Bildung, auf den Ausdruck der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen. Liegt hierin eine Andeutung, dass Herakles verklärt, etwa in seiner Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so spricht der farnesische Herakles (Colossalstatue des Atheners Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wan- derungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese sammt der rechten Hand restaurirt, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Musculatur, in dem Ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Aus- druck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Haup- tes und die reine Horizontale der Schultern charakterisirt, während Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso aller- dings nicht zu vergleichen. Am Kopf sehr starke Restaurationen. a Unzählige, meist spätere Arbeiten, stellen den Heros und seine Mythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig vor. (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli Animali des Vaticans allein sind vier Thaten des Heros in nicht ganz lebensgrossen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen Gewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das von irgend einer guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr artiges römisches Werk. b c d e Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute, aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des 1) Man denkt sich Herakles emporschauend gegen eine zu seiner Linken stehende Hebe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/446
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/446>, abgerufen am 18.12.2024.