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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Der Barockstyl.
legen: Giov. Lorenzo Bernini von Neapel (1589--1680); alle
Spätern von ihm abhängig: Guarino Guarini von Modena (1624
bis 1683), der das jetzige Turin begann; der Decorator Pater An-
drea Pozzo
(1642--1709); die drei Bibbiena von Bologna, deren
Blüthe nach 1700 fällt; die Florentiner Aless. Galilei (1691--1737)
und Ferdinando Fuga (geb. 1699); endlich die beiden mächtigsten
Architekten des XVIII. Jahrhunderts Filippo Juvara oder Ivara
von Messina (1685--1735), und Luigi Vanvitelli von niederlän-
discher Herkunft zu Neapel geboren (1700--1773)1). -- Das Locale
verliert hier fast alle Bedeutung; einige der Genannten führen ein kos-
mopolitisches Wanderleben, Andere liefern wenigstens Zeichnungen
und Pläne für weit entfernte Bauten.

Innerhalb des Styles, welchen sie gemeinsam repräsentiren, giebt
es natürlich während der zwei Jahrhunderte von 1580 bis 1780 nicht
nur Nuancen, sondern ganz grosse Veränderungen, und bei einer voll-
ständigen methodischen Besprechung müsste mit Bernini unbedingt
ein neuer Abschnitt beginnen. Für unsere rasche Übersicht ist eine
weitere Trennung um so weniger räthlich, als die Grundformen im
Ganzen dieselben bleiben.


Die Barockbaukunst spricht dieselbe Sprache, wie die Renaissance,
aber einen verwilderten Dialekt davon. Die antiken Säulenordnun-
gen2), Gebälke, Giebel u. s. w. werden mit einer grossen Willkür
auf die verschiedenste Weise verwerthet; in ihrer Eigenschaft als
Wandbekleidung aber wird ihnen dabei ein viel stärkerer Accent ge-
geben als vorher. Manche Architekten componiren in einem bestän-
digen Fortissimo. Säulen, Halbsäulen und Pilaster erhalten eine Be-
gleitung von zwei, drei Halb- und Viertelspilastern auf jeder Seite; eben
so viele Male wird dann aber das ganze Gebälk unterbrochen und vor-
geschoben; je nach Umständen auch der Sockel. In Ermanglung einer
organischen Bekleidung verlangt man von Dem, was zur Zeit der Re-
naissance doch wesentlich nur Decoration war, dass es Kraft und

1) Der Verfasser bekennt, Juvara's Hauptbau, die Superga bei Turin, gar nicht,
und Vanvitelli's Schloss von Caserta nur von aussen gesehen zu haben.
2) Die Capitäle insgemein in gefühllos schwülstiger Umbildung. S. 17, Anm.

Der Barockstyl.
legen: Giov. Lorenzo Bernini von Neapel (1589—1680); alle
Spätern von ihm abhängig: Guarino Guarini von Modena (1624
bis 1683), der das jetzige Turin begann; der Decorator Pater An-
drea Pozzo
(1642—1709); die drei Bibbiena von Bologna, deren
Blüthe nach 1700 fällt; die Florentiner Aless. Galilei (1691—1737)
und Ferdinando Fuga (geb. 1699); endlich die beiden mächtigsten
Architekten des XVIII. Jahrhunderts Filippo Juvara oder Ivara
von Messina (1685—1735), und Luigi Vanvitelli von niederlän-
discher Herkunft zu Neapel geboren (1700—1773)1). — Das Locale
verliert hier fast alle Bedeutung; einige der Genannten führen ein kos-
mopolitisches Wanderleben, Andere liefern wenigstens Zeichnungen
und Pläne für weit entfernte Bauten.

Innerhalb des Styles, welchen sie gemeinsam repräsentiren, giebt
es natürlich während der zwei Jahrhunderte von 1580 bis 1780 nicht
nur Nuancen, sondern ganz grosse Veränderungen, und bei einer voll-
ständigen methodischen Besprechung müsste mit Bernini unbedingt
ein neuer Abschnitt beginnen. Für unsere rasche Übersicht ist eine
weitere Trennung um so weniger räthlich, als die Grundformen im
Ganzen dieselben bleiben.


Die Barockbaukunst spricht dieselbe Sprache, wie die Renaissance,
aber einen verwilderten Dialekt davon. Die antiken Säulenordnun-
gen2), Gebälke, Giebel u. s. w. werden mit einer grossen Willkür
auf die verschiedenste Weise verwerthet; in ihrer Eigenschaft als
Wandbekleidung aber wird ihnen dabei ein viel stärkerer Accent ge-
geben als vorher. Manche Architekten componiren in einem bestän-
digen Fortissimo. Säulen, Halbsäulen und Pilaster erhalten eine Be-
gleitung von zwei, drei Halb- und Viertelspilastern auf jeder Seite; eben
so viele Male wird dann aber das ganze Gebälk unterbrochen und vor-
geschoben; je nach Umständen auch der Sockel. In Ermanglung einer
organischen Bekleidung verlangt man von Dem, was zur Zeit der Re-
naissance doch wesentlich nur Decoration war, dass es Kraft und

1) Der Verfasser bekennt, Juvara’s Hauptbau, die Superga bei Turin, gar nicht,
und Vanvitelli’s Schloss von Caserta nur von aussen gesehen zu haben.
2) Die Capitäle insgemein in gefühllos schwülstiger Umbildung. S. 17, Anm.
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[368/0390] Der Barockstyl. legen: Giov. Lorenzo Bernini von Neapel (1589—1680); alle Spätern von ihm abhängig: Guarino Guarini von Modena (1624 bis 1683), der das jetzige Turin begann; der Decorator Pater An- drea Pozzo (1642—1709); die drei Bibbiena von Bologna, deren Blüthe nach 1700 fällt; die Florentiner Aless. Galilei (1691—1737) und Ferdinando Fuga (geb. 1699); endlich die beiden mächtigsten Architekten des XVIII. Jahrhunderts Filippo Juvara oder Ivara von Messina (1685—1735), und Luigi Vanvitelli von niederlän- discher Herkunft zu Neapel geboren (1700—1773) 1). — Das Locale verliert hier fast alle Bedeutung; einige der Genannten führen ein kos- mopolitisches Wanderleben, Andere liefern wenigstens Zeichnungen und Pläne für weit entfernte Bauten. Innerhalb des Styles, welchen sie gemeinsam repräsentiren, giebt es natürlich während der zwei Jahrhunderte von 1580 bis 1780 nicht nur Nuancen, sondern ganz grosse Veränderungen, und bei einer voll- ständigen methodischen Besprechung müsste mit Bernini unbedingt ein neuer Abschnitt beginnen. Für unsere rasche Übersicht ist eine weitere Trennung um so weniger räthlich, als die Grundformen im Ganzen dieselben bleiben. Die Barockbaukunst spricht dieselbe Sprache, wie die Renaissance, aber einen verwilderten Dialekt davon. Die antiken Säulenordnun- gen 2), Gebälke, Giebel u. s. w. werden mit einer grossen Willkür auf die verschiedenste Weise verwerthet; in ihrer Eigenschaft als Wandbekleidung aber wird ihnen dabei ein viel stärkerer Accent ge- geben als vorher. Manche Architekten componiren in einem bestän- digen Fortissimo. Säulen, Halbsäulen und Pilaster erhalten eine Be- gleitung von zwei, drei Halb- und Viertelspilastern auf jeder Seite; eben so viele Male wird dann aber das ganze Gebälk unterbrochen und vor- geschoben; je nach Umständen auch der Sockel. In Ermanglung einer organischen Bekleidung verlangt man von Dem, was zur Zeit der Re- naissance doch wesentlich nur Decoration war, dass es Kraft und 1) Der Verfasser bekennt, Juvara’s Hauptbau, die Superga bei Turin, gar nicht, und Vanvitelli’s Schloss von Caserta nur von aussen gesehen zu haben. 2) Die Capitäle insgemein in gefühllos schwülstiger Umbildung. S. 17, Anm.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/390>, abgerufen am 18.12.2024.