Leidenschaft ausdrücke; man will sie erreichen durch Derbheit und Vervielfachung. Von der perspectivischen Nebenabsicht, die sich da- mit verbindet, wird bei den Fassaden die Rede sein.
Eine nahe Folge dieser Derbheit war die Abstumpfung des Auges für alle feinern Nuancen. Auf eine merkwürdige Weise tritt diess zu Tage, sobald der Ausdruck der Pracht verlangt wird. Man sollte erwarten, dass die Baukunst der römischen Kaiserzeit all ihren vege- tabilischen und sonstigen plastischen Reichthum hätte herleihen müs- sen, die Cannelirungen ihrer Säulen, die ornamentirten Basen, die Blätterreihen ihrer Architrave, den Prachtschmuck der Friese, endlich jene plastische Detailfülle ihrer Kranzgesimse, zumal Consolen und Rosetten. Dies Alles kommt aber nur stellenweise und kaum je vollständig zur Anwendung, meist dagegen nur in dürftigem Excerpt. In ganz andern Dingen wird der Reiz für das Auge gesucht, welcher der Pracht entsprechen soll: die Bauglieder selbst, ohne ornamentales Detail, aber mit durchgehenden, oft sinnlosen Profilirungen aller Art überladen, kommen in Bewegung; hauptsächlich die Giebel beginnen seit Bernini und Borromini sich zu brechen, zu bäumen und in allen Richtungen zu schwingen. An einzelnen besondern Prachtstücken, wie Altäre u. s. w. werden gewundene Säulen beinahe zur Regel. Wie die Farbigkeit der Steine und Metalle zur Mitwirkung benützt wurde, soll weiter erörtert werden. Endlich bringt um 1700 der Pater Pozzo diese ganze neue Art von Decoration in ein System, das, im Zusammenhang mit jener durchgehenden perspectivischen Ab- sicht vorgetragen, wahrhaft lehrreich ist, obschon die Mittel, einzeln genommen, zum Theil abscheulich heissen müssen.
Wo dann eine wahre bauliche Function deutlich markirt werden soll, weiss dieser Styl sich natürlich nur noch in unverhältnissmässig massiven Formen auszusprechen. Man vergleiche, um mit einem klei- nen Beispiel zu beginnen, die colossalen Deckenconsolen in S. Mariaa in via lata zu Rom mit den so mässigen, welche in alten Basiliken den Dachstuhl tragen.
Selten aber ist es mit dem Ausdruck von Functionen ernstlich ge- meint. Vielmehr bekommen die einzelnen Formen ein von allem Or- ganismus unabhängiges, später ein krankhaftes Leben. Man findet z. B. bei Pozzo eine Sammlung von Thür- und Fensteraufsätzen, wie sie
B. Cicerone. 24
Die Ausdrucksweise im Detail.
Leidenschaft ausdrücke; man will sie erreichen durch Derbheit und Vervielfachung. Von der perspectivischen Nebenabsicht, die sich da- mit verbindet, wird bei den Fassaden die Rede sein.
Eine nahe Folge dieser Derbheit war die Abstumpfung des Auges für alle feinern Nuancen. Auf eine merkwürdige Weise tritt diess zu Tage, sobald der Ausdruck der Pracht verlangt wird. Man sollte erwarten, dass die Baukunst der römischen Kaiserzeit all ihren vege- tabilischen und sonstigen plastischen Reichthum hätte herleihen müs- sen, die Cannelirungen ihrer Säulen, die ornamentirten Basen, die Blätterreihen ihrer Architrave, den Prachtschmuck der Friese, endlich jene plastische Detailfülle ihrer Kranzgesimse, zumal Consolen und Rosetten. Dies Alles kommt aber nur stellenweise und kaum je vollständig zur Anwendung, meist dagegen nur in dürftigem Excerpt. In ganz andern Dingen wird der Reiz für das Auge gesucht, welcher der Pracht entsprechen soll: die Bauglieder selbst, ohne ornamentales Detail, aber mit durchgehenden, oft sinnlosen Profilirungen aller Art überladen, kommen in Bewegung; hauptsächlich die Giebel beginnen seit Bernini und Borromini sich zu brechen, zu bäumen und in allen Richtungen zu schwingen. An einzelnen besondern Prachtstücken, wie Altäre u. s. w. werden gewundene Säulen beinahe zur Regel. Wie die Farbigkeit der Steine und Metalle zur Mitwirkung benützt wurde, soll weiter erörtert werden. Endlich bringt um 1700 der Pater Pozzo diese ganze neue Art von Decoration in ein System, das, im Zusammenhang mit jener durchgehenden perspectivischen Ab- sicht vorgetragen, wahrhaft lehrreich ist, obschon die Mittel, einzeln genommen, zum Theil abscheulich heissen müssen.
Wo dann eine wahre bauliche Function deutlich markirt werden soll, weiss dieser Styl sich natürlich nur noch in unverhältnissmässig massiven Formen auszusprechen. Man vergleiche, um mit einem klei- nen Beispiel zu beginnen, die colossalen Deckenconsolen in S. Mariaa in via lata zu Rom mit den so mässigen, welche in alten Basiliken den Dachstuhl tragen.
Selten aber ist es mit dem Ausdruck von Functionen ernstlich ge- meint. Vielmehr bekommen die einzelnen Formen ein von allem Or- ganismus unabhängiges, später ein krankhaftes Leben. Man findet z. B. bei Pozzo eine Sammlung von Thür- und Fensteraufsätzen, wie sie
B. Cicerone. 24
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0391"n="369"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Ausdrucksweise im Detail.</hi></fw><lb/>
Leidenschaft ausdrücke; man will sie erreichen durch Derbheit und<lb/>
Vervielfachung. Von der perspectivischen Nebenabsicht, die sich da-<lb/>
mit verbindet, wird bei den Fassaden die Rede sein.</p><lb/><p>Eine nahe Folge dieser Derbheit war die Abstumpfung des Auges<lb/>
für alle feinern Nuancen. Auf eine merkwürdige Weise tritt diess<lb/>
zu Tage, sobald der Ausdruck der Pracht verlangt wird. Man sollte<lb/>
erwarten, dass die Baukunst der römischen Kaiserzeit all ihren vege-<lb/>
tabilischen und sonstigen plastischen Reichthum hätte herleihen müs-<lb/>
sen, die Cannelirungen ihrer Säulen, die ornamentirten Basen, die<lb/>
Blätterreihen ihrer Architrave, den Prachtschmuck der Friese, endlich<lb/>
jene plastische Detailfülle ihrer Kranzgesimse, zumal Consolen und<lb/>
Rosetten. Dies Alles kommt aber nur stellenweise und kaum je<lb/>
vollständig zur Anwendung, meist dagegen nur in dürftigem Excerpt.<lb/>
In ganz andern Dingen wird <hirendition="#g">der</hi> Reiz für das Auge gesucht, welcher<lb/>
der Pracht entsprechen soll: die Bauglieder selbst, ohne ornamentales<lb/>
Detail, aber mit durchgehenden, oft sinnlosen Profilirungen aller Art<lb/>
überladen, kommen in Bewegung; hauptsächlich die Giebel beginnen<lb/>
seit <hirendition="#g">Bernini</hi> und <hirendition="#g">Borromini</hi> sich zu brechen, zu bäumen und in<lb/>
allen Richtungen zu schwingen. An einzelnen besondern Prachtstücken,<lb/>
wie Altäre u. s. w. werden gewundene Säulen beinahe zur Regel.<lb/>
Wie die Farbigkeit der Steine und Metalle zur Mitwirkung benützt<lb/>
wurde, soll weiter erörtert werden. Endlich bringt um 1700 der<lb/>
Pater <hirendition="#g">Pozzo</hi> diese ganze neue Art von Decoration in ein System,<lb/>
das, im Zusammenhang mit jener durchgehenden perspectivischen Ab-<lb/>
sicht vorgetragen, wahrhaft lehrreich ist, obschon die Mittel, einzeln<lb/>
genommen, zum Theil abscheulich heissen müssen.</p><lb/><p>Wo dann eine wahre bauliche Function deutlich markirt werden<lb/>
soll, weiss dieser Styl sich natürlich nur noch in unverhältnissmässig<lb/>
massiven Formen auszusprechen. Man vergleiche, um mit einem klei-<lb/>
nen Beispiel zu beginnen, die colossalen Deckenconsolen in S. Maria<noteplace="right">a</note><lb/>
in via lata zu Rom mit den so mässigen, welche in alten Basiliken<lb/>
den Dachstuhl tragen.</p><lb/><p>Selten aber ist es mit dem Ausdruck von Functionen ernstlich ge-<lb/>
meint. Vielmehr bekommen die einzelnen Formen ein von allem Or-<lb/>
ganismus unabhängiges, später ein krankhaftes Leben. Man findet z. B.<lb/>
bei Pozzo eine Sammlung von Thür- und Fensteraufsätzen, wie sie<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">B. Cicerone.</hi> 24</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[369/0391]
Die Ausdrucksweise im Detail.
Leidenschaft ausdrücke; man will sie erreichen durch Derbheit und
Vervielfachung. Von der perspectivischen Nebenabsicht, die sich da-
mit verbindet, wird bei den Fassaden die Rede sein.
Eine nahe Folge dieser Derbheit war die Abstumpfung des Auges
für alle feinern Nuancen. Auf eine merkwürdige Weise tritt diess
zu Tage, sobald der Ausdruck der Pracht verlangt wird. Man sollte
erwarten, dass die Baukunst der römischen Kaiserzeit all ihren vege-
tabilischen und sonstigen plastischen Reichthum hätte herleihen müs-
sen, die Cannelirungen ihrer Säulen, die ornamentirten Basen, die
Blätterreihen ihrer Architrave, den Prachtschmuck der Friese, endlich
jene plastische Detailfülle ihrer Kranzgesimse, zumal Consolen und
Rosetten. Dies Alles kommt aber nur stellenweise und kaum je
vollständig zur Anwendung, meist dagegen nur in dürftigem Excerpt.
In ganz andern Dingen wird der Reiz für das Auge gesucht, welcher
der Pracht entsprechen soll: die Bauglieder selbst, ohne ornamentales
Detail, aber mit durchgehenden, oft sinnlosen Profilirungen aller Art
überladen, kommen in Bewegung; hauptsächlich die Giebel beginnen
seit Bernini und Borromini sich zu brechen, zu bäumen und in
allen Richtungen zu schwingen. An einzelnen besondern Prachtstücken,
wie Altäre u. s. w. werden gewundene Säulen beinahe zur Regel.
Wie die Farbigkeit der Steine und Metalle zur Mitwirkung benützt
wurde, soll weiter erörtert werden. Endlich bringt um 1700 der
Pater Pozzo diese ganze neue Art von Decoration in ein System,
das, im Zusammenhang mit jener durchgehenden perspectivischen Ab-
sicht vorgetragen, wahrhaft lehrreich ist, obschon die Mittel, einzeln
genommen, zum Theil abscheulich heissen müssen.
Wo dann eine wahre bauliche Function deutlich markirt werden
soll, weiss dieser Styl sich natürlich nur noch in unverhältnissmässig
massiven Formen auszusprechen. Man vergleiche, um mit einem klei-
nen Beispiel zu beginnen, die colossalen Deckenconsolen in S. Maria
in via lata zu Rom mit den so mässigen, welche in alten Basiliken
den Dachstuhl tragen.
a
Selten aber ist es mit dem Ausdruck von Functionen ernstlich ge-
meint. Vielmehr bekommen die einzelnen Formen ein von allem Or-
ganismus unabhängiges, später ein krankhaftes Leben. Man findet z. B.
bei Pozzo eine Sammlung von Thür- und Fensteraufsätzen, wie sie
B. Cicerone. 24
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/391>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.