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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Hochrenaissance. Bramante. Vatican.
beständigkeit, anderweitige Beschäftigung und baldigen Tod der Päpste
hatte es jedoch bei einzelnen Stückbauten sein Bewenden gehabt, haupt-
sächlich in der Nähe von S. Peter (Appartamento Borgia, Cap. Si-
stina, Cap. Nicolaus V etc.); Innocenz VIII legte in beträchtlicher
aEntfernung davon das Lusthaus Belvedere an (nach der Zeichnung
des Antonio Pollajuolo). Die Verbindung des letztern mit den übrigen
Theilen und eine gänzliche Umbauung der letztern mit neuen Gebäu-
den war nun Bramante's Aufgabe. Allein nur in dem vordern dreiseiti-
bgen Hallenhof, dem Cortile di San Damaso, ist seine Anlage einiger-
massen vollständig ausgeführt (zum Theil durch Rafael, zum Theil
lange nach seinem Tode) und erhalten. Die Aufeinanderfolge der
Motive von den starken untern Pfeilern, zu den leichtern der bei-
den mittlern Stockwerke und zu den Säulen des obersten ist sehr
schön behandelt, überdiess finden sich hier Rafaels Loggien und eine
Aussicht über Rom, die nicht zu den vollständigen aber zu den schön-
sten gehört. Doch dieser Hof sollte bei Weitem nicht das Haupt-
motiv des Gesammtbaues bilden.

Dieses war vielmehr denjenigen Bauten vorbehalten, welche den
cgrossen hintern Hof und den Giardino della Pigna umgeben. Man
denke sich die Querbauten der vaticanischen Bibliothek und des Brac-
cio nuovo hinweg und an deren Stelle ungeheure doppelte Rampen-
treppen die aus dem tiefer gelegenen untern Hof in den genannten
Giardino hinaufführen; man setze an die Stelle der Seitengalerien,
welche nur in bastardmässiger Umgestaltung und Vermauerung vor-
handen sind, diejenige grandiose Form ununterbrochener Bogenhallen
und Mauerflächen, welche Bramante ihnen zudachte, so entsteht ein
Ganzes, das seines Gleichen auf Erden nicht hat. Man kann den
Backsteinbau mit mässigem Sims- und Pilasterwerk, den Bramante
theils anwandte theils anwenden wollte, leicht an Pracht und Einzel-
wirkung überbieten; für das grosse Ganze war er fast vollendet schön
gedacht. Er ist ferner abgeschlossen durch eine Hauptform, vor deren
imposanter Gegenwart jeder Mittelbau neuerer Paläste gering und un-
frei erscheinen würde, so gross und reich er auch wäre 1). Wir mei-

1) Eine Centralform von analoger Empfindung ist es, was z. B. dem Tuilerien-
hof fehlt und immer fehlen wird. Kein Schmuck kann Composition und Li-
nien im Grossen ersetzen.

Hochrenaissance. Bramante. Vatican.
beständigkeit, anderweitige Beschäftigung und baldigen Tod der Päpste
hatte es jedoch bei einzelnen Stückbauten sein Bewenden gehabt, haupt-
sächlich in der Nähe von S. Peter (Appartamento Borgia, Cap. Si-
stina, Cap. Nicolaus V etc.); Innocenz VIII legte in beträchtlicher
aEntfernung davon das Lusthaus Belvedere an (nach der Zeichnung
des Antonio Pollajuolo). Die Verbindung des letztern mit den übrigen
Theilen und eine gänzliche Umbauung der letztern mit neuen Gebäu-
den war nun Bramante’s Aufgabe. Allein nur in dem vordern dreiseiti-
bgen Hallenhof, dem Cortile di San Damaso, ist seine Anlage einiger-
massen vollständig ausgeführt (zum Theil durch Rafael, zum Theil
lange nach seinem Tode) und erhalten. Die Aufeinanderfolge der
Motive von den starken untern Pfeilern, zu den leichtern der bei-
den mittlern Stockwerke und zu den Säulen des obersten ist sehr
schön behandelt, überdiess finden sich hier Rafaels Loggien und eine
Aussicht über Rom, die nicht zu den vollständigen aber zu den schön-
sten gehört. Doch dieser Hof sollte bei Weitem nicht das Haupt-
motiv des Gesammtbaues bilden.

Dieses war vielmehr denjenigen Bauten vorbehalten, welche den
cgrossen hintern Hof und den Giardino della Pigna umgeben. Man
denke sich die Querbauten der vaticanischen Bibliothek und des Brac-
cio nuovo hinweg und an deren Stelle ungeheure doppelte Rampen-
treppen die aus dem tiefer gelegenen untern Hof in den genannten
Giardino hinaufführen; man setze an die Stelle der Seitengalerien,
welche nur in bastardmässiger Umgestaltung und Vermauerung vor-
handen sind, diejenige grandiose Form ununterbrochener Bogenhallen
und Mauerflächen, welche Bramante ihnen zudachte, so entsteht ein
Ganzes, das seines Gleichen auf Erden nicht hat. Man kann den
Backsteinbau mit mässigem Sims- und Pilasterwerk, den Bramante
theils anwandte theils anwenden wollte, leicht an Pracht und Einzel-
wirkung überbieten; für das grosse Ganze war er fast vollendet schön
gedacht. Er ist ferner abgeschlossen durch eine Hauptform, vor deren
imposanter Gegenwart jeder Mittelbau neuerer Paläste gering und un-
frei erscheinen würde, so gross und reich er auch wäre 1). Wir mei-

1) Eine Centralform von analoger Empfindung ist es, was z. B. dem Tuilerien-
hof fehlt und immer fehlen wird. Kein Schmuck kann Composition und Li-
nien im Grossen ersetzen.
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[306/0328] Hochrenaissance. Bramante. Vatican. beständigkeit, anderweitige Beschäftigung und baldigen Tod der Päpste hatte es jedoch bei einzelnen Stückbauten sein Bewenden gehabt, haupt- sächlich in der Nähe von S. Peter (Appartamento Borgia, Cap. Si- stina, Cap. Nicolaus V etc.); Innocenz VIII legte in beträchtlicher Entfernung davon das Lusthaus Belvedere an (nach der Zeichnung des Antonio Pollajuolo). Die Verbindung des letztern mit den übrigen Theilen und eine gänzliche Umbauung der letztern mit neuen Gebäu- den war nun Bramante’s Aufgabe. Allein nur in dem vordern dreiseiti- gen Hallenhof, dem Cortile di San Damaso, ist seine Anlage einiger- massen vollständig ausgeführt (zum Theil durch Rafael, zum Theil lange nach seinem Tode) und erhalten. Die Aufeinanderfolge der Motive von den starken untern Pfeilern, zu den leichtern der bei- den mittlern Stockwerke und zu den Säulen des obersten ist sehr schön behandelt, überdiess finden sich hier Rafaels Loggien und eine Aussicht über Rom, die nicht zu den vollständigen aber zu den schön- sten gehört. Doch dieser Hof sollte bei Weitem nicht das Haupt- motiv des Gesammtbaues bilden. a b Dieses war vielmehr denjenigen Bauten vorbehalten, welche den grossen hintern Hof und den Giardino della Pigna umgeben. Man denke sich die Querbauten der vaticanischen Bibliothek und des Brac- cio nuovo hinweg und an deren Stelle ungeheure doppelte Rampen- treppen die aus dem tiefer gelegenen untern Hof in den genannten Giardino hinaufführen; man setze an die Stelle der Seitengalerien, welche nur in bastardmässiger Umgestaltung und Vermauerung vor- handen sind, diejenige grandiose Form ununterbrochener Bogenhallen und Mauerflächen, welche Bramante ihnen zudachte, so entsteht ein Ganzes, das seines Gleichen auf Erden nicht hat. Man kann den Backsteinbau mit mässigem Sims- und Pilasterwerk, den Bramante theils anwandte theils anwenden wollte, leicht an Pracht und Einzel- wirkung überbieten; für das grosse Ganze war er fast vollendet schön gedacht. Er ist ferner abgeschlossen durch eine Hauptform, vor deren imposanter Gegenwart jeder Mittelbau neuerer Paläste gering und un- frei erscheinen würde, so gross und reich er auch wäre 1). Wir mei- c 1) Eine Centralform von analoger Empfindung ist es, was z. B. dem Tuilerien- hof fehlt und immer fehlen wird. Kein Schmuck kann Composition und Li- nien im Grossen ersetzen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/328>, abgerufen am 18.05.2024.