Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Hochrenaissance.
weges trockenen und dürftigen, wohl aber einfachen Ausdruck zurück-
geführt und die decorative Pracht dem Innern vorbehalten; auch hier
waltet sie nicht immer und wir werden gerade einige der ausgezeich-
netsten Innenbauten so einfach finden als die Aussenseiten.

Sodann lässt sich ein gewisser Fortschritt in das Organische nicht
verkennen. Die Gliederungen (Pilaster, Simse u. dgl.) hatten bisher
wesentlich die Function des Einrahmens versehen; ja die Frührenais-
sance hatte ganze Flächen und Bautheile mit vierseitigen Rahmen-
profilen umzogen (Dom von Como etc.), in der Absicht, den Raum
zu beleben. Jetzt erhalten jene Glieder von Neuem ihren eigentlichen,
wenn auch ebenfalls nur conventionellen Werth; man sucht sie deut-
licher als Stütze etc. zu charakterisiren und holt von Neuem Belehrung
bei den Trümmern des Alterthums. Brunellesco hatte deren Formen
nachgezeichnet, jetzt erst mass man genau ihre Verhältnisse und lernte
sie als Ganzes kennen. Sie als Ganzes zu reproduciren, lag nicht im
Geist und nicht in den Aufgaben der Zeit, man baute keine römischen
Tempel und Thermen, -- aber dazu fühlte man sich mächtig genug,
mit Hülfe der Alten einen eben so imposanten Eindruck hervorzu-
bringen wie sie. Die Muster waren dieselben, die schon das XV.
Jahrhundert beschäftigt hatten: für freie Säulenhallen die Tempel Roms,
für Wand- und Pfeilerbekleidungen die Halbsäulensysteme der Thea-
ter, die Triumphbogen, die Pilaster des Pantheons, die Wölbungen
der Thermen u. s. w., wobei im Einklang mit der beginnenden Kunst-
archäologie die Epochen der Blüthe und des Verfalls schon beträcht-
lich mehr unterschieden wurden als früher. Man latinisirte noch ein-
mal die Bauformen, wie damals viele Literatoren es mit der Sprache
versuchten, um in dem antiken Gewande die Gedanken des Jahrhun-
derts auszusprechen.

Der bedeutendste dieser Gedanken war hier im Grunde die neue
Vertheilung der baulichen Massen; jetzt erst entwickelt sich die (schon
bei Brunellesco verfrüht ausgebildete) Kunst der Verhältnisse im
Grossen
. Jener neuerwachte Sinn für die organische Bedeutung
der echten antiken Formen muss sich diesem Hauptgedanken ganz
dienstbar unterordnen 1).

1) Auf den ersten Anschein möchte man glauben, dass die Anwendung der an-
tiken Säulenordnungen zu bestimmten Verhältnissen genöthigt habe. Allein

Hochrenaissance.
weges trockenen und dürftigen, wohl aber einfachen Ausdruck zurück-
geführt und die decorative Pracht dem Innern vorbehalten; auch hier
waltet sie nicht immer und wir werden gerade einige der ausgezeich-
netsten Innenbauten so einfach finden als die Aussenseiten.

Sodann lässt sich ein gewisser Fortschritt in das Organische nicht
verkennen. Die Gliederungen (Pilaster, Simse u. dgl.) hatten bisher
wesentlich die Function des Einrahmens versehen; ja die Frührenais-
sance hatte ganze Flächen und Bautheile mit vierseitigen Rahmen-
profilen umzogen (Dom von Como etc.), in der Absicht, den Raum
zu beleben. Jetzt erhalten jene Glieder von Neuem ihren eigentlichen,
wenn auch ebenfalls nur conventionellen Werth; man sucht sie deut-
licher als Stütze etc. zu charakterisiren und holt von Neuem Belehrung
bei den Trümmern des Alterthums. Brunellesco hatte deren Formen
nachgezeichnet, jetzt erst mass man genau ihre Verhältnisse und lernte
sie als Ganzes kennen. Sie als Ganzes zu reproduciren, lag nicht im
Geist und nicht in den Aufgaben der Zeit, man baute keine römischen
Tempel und Thermen, — aber dazu fühlte man sich mächtig genug,
mit Hülfe der Alten einen eben so imposanten Eindruck hervorzu-
bringen wie sie. Die Muster waren dieselben, die schon das XV.
Jahrhundert beschäftigt hatten: für freie Säulenhallen die Tempel Roms,
für Wand- und Pfeilerbekleidungen die Halbsäulensysteme der Thea-
ter, die Triumphbogen, die Pilaster des Pantheons, die Wölbungen
der Thermen u. s. w., wobei im Einklang mit der beginnenden Kunst-
archäologie die Epochen der Blüthe und des Verfalls schon beträcht-
lich mehr unterschieden wurden als früher. Man latinisirte noch ein-
mal die Bauformen, wie damals viele Literatoren es mit der Sprache
versuchten, um in dem antiken Gewande die Gedanken des Jahrhun-
derts auszusprechen.

Der bedeutendste dieser Gedanken war hier im Grunde die neue
Vertheilung der baulichen Massen; jetzt erst entwickelt sich die (schon
bei Brunellesco verfrüht ausgebildete) Kunst der Verhältnisse im
Grossen
. Jener neuerwachte Sinn für die organische Bedeutung
der echten antiken Formen muss sich diesem Hauptgedanken ganz
dienstbar unterordnen 1).

1) Auf den ersten Anschein möchte man glauben, dass die Anwendung der an-
tiken Säulenordnungen zu bestimmten Verhältnissen genöthigt habe. Allein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0322" n="300"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Hochrenaissance.</hi></fw><lb/>
weges trockenen und dürftigen, wohl aber einfachen Ausdruck zurück-<lb/>
geführt und die decorative Pracht dem Innern vorbehalten; auch hier<lb/>
waltet sie nicht immer und wir werden gerade einige der ausgezeich-<lb/>
netsten Innenbauten so einfach finden als die Aussenseiten.</p><lb/>
        <p>Sodann lässt sich ein gewisser Fortschritt in das Organische nicht<lb/>
verkennen. Die Gliederungen (Pilaster, Simse u. dgl.) hatten bisher<lb/>
wesentlich die Function des Einrahmens versehen; ja die Frührenais-<lb/>
sance hatte ganze Flächen und Bautheile mit vierseitigen Rahmen-<lb/>
profilen umzogen (Dom von Como etc.), in der Absicht, den Raum<lb/>
zu beleben. Jetzt erhalten jene Glieder von Neuem ihren eigentlichen,<lb/>
wenn auch ebenfalls nur conventionellen Werth; man sucht sie deut-<lb/>
licher als Stütze etc. zu charakterisiren und holt von Neuem Belehrung<lb/>
bei den Trümmern des Alterthums. Brunellesco hatte deren Formen<lb/>
nachgezeichnet, jetzt erst mass man genau ihre Verhältnisse und lernte<lb/>
sie als Ganzes kennen. Sie als Ganzes zu reproduciren, lag nicht im<lb/>
Geist und nicht in den Aufgaben der Zeit, man baute keine römischen<lb/>
Tempel und Thermen, &#x2014; aber dazu fühlte man sich mächtig genug,<lb/>
mit Hülfe der Alten einen eben so imposanten Eindruck hervorzu-<lb/>
bringen wie sie. Die Muster waren dieselben, die schon das XV.<lb/>
Jahrhundert beschäftigt hatten: für freie Säulenhallen die Tempel Roms,<lb/>
für Wand- und Pfeilerbekleidungen die Halbsäulensysteme der Thea-<lb/>
ter, die Triumphbogen, die Pilaster des Pantheons, die Wölbungen<lb/>
der Thermen u. s. w., wobei im Einklang mit der beginnenden Kunst-<lb/>
archäologie die Epochen der Blüthe und des Verfalls schon beträcht-<lb/>
lich mehr unterschieden wurden als früher. Man latinisirte noch ein-<lb/>
mal die Bauformen, wie damals viele Literatoren es mit der Sprache<lb/>
versuchten, um in dem antiken Gewande die Gedanken des Jahrhun-<lb/>
derts auszusprechen.</p><lb/>
        <p>Der bedeutendste dieser Gedanken war hier im Grunde die neue<lb/>
Vertheilung der baulichen Massen; jetzt erst entwickelt sich die (schon<lb/>
bei Brunellesco verfrüht ausgebildete) Kunst der <hi rendition="#g">Verhältnisse im<lb/>
Grossen</hi>. Jener neuerwachte Sinn für die organische Bedeutung<lb/>
der echten antiken Formen muss sich diesem Hauptgedanken ganz<lb/>
dienstbar unterordnen <note xml:id="seg2pn_11_1" next="#seg2pn_11_2" place="foot" n="1)">Auf den ersten Anschein möchte man glauben, dass die Anwendung der an-<lb/>
tiken Säulenordnungen zu bestimmten Verhältnissen genöthigt habe. Allein</note>.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0322] Hochrenaissance. weges trockenen und dürftigen, wohl aber einfachen Ausdruck zurück- geführt und die decorative Pracht dem Innern vorbehalten; auch hier waltet sie nicht immer und wir werden gerade einige der ausgezeich- netsten Innenbauten so einfach finden als die Aussenseiten. Sodann lässt sich ein gewisser Fortschritt in das Organische nicht verkennen. Die Gliederungen (Pilaster, Simse u. dgl.) hatten bisher wesentlich die Function des Einrahmens versehen; ja die Frührenais- sance hatte ganze Flächen und Bautheile mit vierseitigen Rahmen- profilen umzogen (Dom von Como etc.), in der Absicht, den Raum zu beleben. Jetzt erhalten jene Glieder von Neuem ihren eigentlichen, wenn auch ebenfalls nur conventionellen Werth; man sucht sie deut- licher als Stütze etc. zu charakterisiren und holt von Neuem Belehrung bei den Trümmern des Alterthums. Brunellesco hatte deren Formen nachgezeichnet, jetzt erst mass man genau ihre Verhältnisse und lernte sie als Ganzes kennen. Sie als Ganzes zu reproduciren, lag nicht im Geist und nicht in den Aufgaben der Zeit, man baute keine römischen Tempel und Thermen, — aber dazu fühlte man sich mächtig genug, mit Hülfe der Alten einen eben so imposanten Eindruck hervorzu- bringen wie sie. Die Muster waren dieselben, die schon das XV. Jahrhundert beschäftigt hatten: für freie Säulenhallen die Tempel Roms, für Wand- und Pfeilerbekleidungen die Halbsäulensysteme der Thea- ter, die Triumphbogen, die Pilaster des Pantheons, die Wölbungen der Thermen u. s. w., wobei im Einklang mit der beginnenden Kunst- archäologie die Epochen der Blüthe und des Verfalls schon beträcht- lich mehr unterschieden wurden als früher. Man latinisirte noch ein- mal die Bauformen, wie damals viele Literatoren es mit der Sprache versuchten, um in dem antiken Gewande die Gedanken des Jahrhun- derts auszusprechen. Der bedeutendste dieser Gedanken war hier im Grunde die neue Vertheilung der baulichen Massen; jetzt erst entwickelt sich die (schon bei Brunellesco verfrüht ausgebildete) Kunst der Verhältnisse im Grossen. Jener neuerwachte Sinn für die organische Bedeutung der echten antiken Formen muss sich diesem Hauptgedanken ganz dienstbar unterordnen 1). 1) Auf den ersten Anschein möchte man glauben, dass die Anwendung der an- tiken Säulenordnungen zu bestimmten Verhältnissen genöthigt habe. Allein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/322
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/322>, abgerufen am 18.05.2024.