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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Dom von Florenz.
zunächst beim Querschiff vergleicht); die Gesimse sind am Tüchtig-
sten charakterisirt. Im Innern liegt das Unerhörte in der Raumein-
theilung; möglichst wenige und dünne Pfeiler mit Spitzbogen um-
fassen und überspannen hier Räume, wie sie vielleicht überhaupt noch
nie mit so wenigen Stützen überwölbt worden waren. Ob diess ein
höchstes Ziel der Kirchenbaukunst sein dürfe, ist eine andere Frage;
die Wirkung ist aber, wenn man sich allmälig mit dem Gebäude ver-
traut macht, eine grossartig ergreifende, und wäre es noch mehr, wenn
nicht eine unglückliche Galerie auf Consolen ringsum laufend die sämmt-
lichen Gewölbegurte grade bei ihrem Beginn durchschnitte und auch
die Obermauer des Mittelschiffes unschön theilte 1) Die Bildung der
Pfeiler und ihrer Capitäle ist eigenthümlich streng; nur in dieser Ge-
stalt passte sie zu den ungeheuern Spitzbogen, welche darauf ruhen;
Säulenbündel würden kleinlich disharmonisch erscheinen.

Mit dem Kuppelraum und den drei hintern Kreuzarmen verdun-
kelt sich das Bewusstsein Arnolfo's; es ist eine missrathene Schöpfung,
wozu die Ruhmsucht der Florentiner ihn mag getrieben haben. Auf
einmal wird mit dem nordischen Verhältniss der Stockwerke ein Pact
geschlossen und dem Capellenkranz 2) um die drei Kreuzarme nur
etwa die halbe Höhe des Oberbaues gegeben, mit welchem er durch
hässliche schräg aufsteigende Streben in Verbindung gesetzt wird.
Die drei Kreuzarme und als vierter das Hauptschiff bilden im Innern
vier grosse Mündungen gegen den achteckigen Kuppelraum, dessen
vier übrige Seiten äusserst unschön durch schräge Mauermassen dar-
gestellt sind; zwei der letztern haben Durchgänge nach den Seiten-
schiffen des Langhauses, die beiden übrigen enthalten die Sacristei-
thüren und die Orgeln. Um eine riesigere Kuppel zu haben als irgend
eine andere Stadt, verzichtete man auf das System von vier Pfeilern
mit Pendentifs; um diese Kuppel möglichst gros s erscheinen zu lassen,
hatte man auch den Kreuzarmen jenen niedrigern Capellenkranz ge-

1) S. Petronio in Bologna, das Nachbild, hat sie nicht. Sollte sie etwa spätere
Zuthat sein?
2) Den Arnolfo doch nicht mit nordischem, polygonem Reichthum bilden durfte,
weil sonst der Unterbau viel zu unruhig geworden wäre. Zwischen den vier-
eckigen Capellen musste er keilförmige Mauermassen hineinschieben.

Dom von Florenz.
zunächst beim Querschiff vergleicht); die Gesimse sind am Tüchtig-
sten charakterisirt. Im Innern liegt das Unerhörte in der Raumein-
theilung; möglichst wenige und dünne Pfeiler mit Spitzbogen um-
fassen und überspannen hier Räume, wie sie vielleicht überhaupt noch
nie mit so wenigen Stützen überwölbt worden waren. Ob diess ein
höchstes Ziel der Kirchenbaukunst sein dürfe, ist eine andere Frage;
die Wirkung ist aber, wenn man sich allmälig mit dem Gebäude ver-
traut macht, eine grossartig ergreifende, und wäre es noch mehr, wenn
nicht eine unglückliche Galerie auf Consolen ringsum laufend die sämmt-
lichen Gewölbegurte grade bei ihrem Beginn durchschnitte und auch
die Obermauer des Mittelschiffes unschön theilte 1) Die Bildung der
Pfeiler und ihrer Capitäle ist eigenthümlich streng; nur in dieser Ge-
stalt passte sie zu den ungeheuern Spitzbogen, welche darauf ruhen;
Säulenbündel würden kleinlich disharmonisch erscheinen.

Mit dem Kuppelraum und den drei hintern Kreuzarmen verdun-
kelt sich das Bewusstsein Arnolfo’s; es ist eine missrathene Schöpfung,
wozu die Ruhmsucht der Florentiner ihn mag getrieben haben. Auf
einmal wird mit dem nordischen Verhältniss der Stockwerke ein Pact
geschlossen und dem Capellenkranz 2) um die drei Kreuzarme nur
etwa die halbe Höhe des Oberbaues gegeben, mit welchem er durch
hässliche schräg aufsteigende Streben in Verbindung gesetzt wird.
Die drei Kreuzarme und als vierter das Hauptschiff bilden im Innern
vier grosse Mündungen gegen den achteckigen Kuppelraum, dessen
vier übrige Seiten äusserst unschön durch schräge Mauermassen dar-
gestellt sind; zwei der letztern haben Durchgänge nach den Seiten-
schiffen des Langhauses, die beiden übrigen enthalten die Sacristei-
thüren und die Orgeln. Um eine riesigere Kuppel zu haben als irgend
eine andere Stadt, verzichtete man auf das System von vier Pfeilern
mit Pendentifs; um diese Kuppel möglichst gros s erscheinen zu lassen,
hatte man auch den Kreuzarmen jenen niedrigern Capellenkranz ge-

1) S. Petronio in Bologna, das Nachbild, hat sie nicht. Sollte sie etwa spätere
Zuthat sein?
2) Den Arnolfo doch nicht mit nordischem, polygonem Reichthum bilden durfte,
weil sonst der Unterbau viel zu unruhig geworden wäre. Zwischen den vier-
eckigen Capellen musste er keilförmige Mauermassen hineinschieben.
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[141/0163] Dom von Florenz. zunächst beim Querschiff vergleicht); die Gesimse sind am Tüchtig- sten charakterisirt. Im Innern liegt das Unerhörte in der Raumein- theilung; möglichst wenige und dünne Pfeiler mit Spitzbogen um- fassen und überspannen hier Räume, wie sie vielleicht überhaupt noch nie mit so wenigen Stützen überwölbt worden waren. Ob diess ein höchstes Ziel der Kirchenbaukunst sein dürfe, ist eine andere Frage; die Wirkung ist aber, wenn man sich allmälig mit dem Gebäude ver- traut macht, eine grossartig ergreifende, und wäre es noch mehr, wenn nicht eine unglückliche Galerie auf Consolen ringsum laufend die sämmt- lichen Gewölbegurte grade bei ihrem Beginn durchschnitte und auch die Obermauer des Mittelschiffes unschön theilte 1) Die Bildung der Pfeiler und ihrer Capitäle ist eigenthümlich streng; nur in dieser Ge- stalt passte sie zu den ungeheuern Spitzbogen, welche darauf ruhen; Säulenbündel würden kleinlich disharmonisch erscheinen. Mit dem Kuppelraum und den drei hintern Kreuzarmen verdun- kelt sich das Bewusstsein Arnolfo’s; es ist eine missrathene Schöpfung, wozu die Ruhmsucht der Florentiner ihn mag getrieben haben. Auf einmal wird mit dem nordischen Verhältniss der Stockwerke ein Pact geschlossen und dem Capellenkranz 2) um die drei Kreuzarme nur etwa die halbe Höhe des Oberbaues gegeben, mit welchem er durch hässliche schräg aufsteigende Streben in Verbindung gesetzt wird. Die drei Kreuzarme und als vierter das Hauptschiff bilden im Innern vier grosse Mündungen gegen den achteckigen Kuppelraum, dessen vier übrige Seiten äusserst unschön durch schräge Mauermassen dar- gestellt sind; zwei der letztern haben Durchgänge nach den Seiten- schiffen des Langhauses, die beiden übrigen enthalten die Sacristei- thüren und die Orgeln. Um eine riesigere Kuppel zu haben als irgend eine andere Stadt, verzichtete man auf das System von vier Pfeilern mit Pendentifs; um diese Kuppel möglichst gros s erscheinen zu lassen, hatte man auch den Kreuzarmen jenen niedrigern Capellenkranz ge- 1) S. Petronio in Bologna, das Nachbild, hat sie nicht. Sollte sie etwa spätere Zuthat sein? 2) Den Arnolfo doch nicht mit nordischem, polygonem Reichthum bilden durfte, weil sonst der Unterbau viel zu unruhig geworden wäre. Zwischen den vier- eckigen Capellen musste er keilförmige Mauermassen hineinschieben.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/163>, abgerufen am 25.11.2024.