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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Moderne Malerei.
azioni der gewissenhafteste; an der Flachkuppel der Cap. des heil.
Bruno zu S. Martino in Neapel (die 2. 1.) ist trotz der allzu gründ-
lich gehandhabten Untensicht das anbetende Aufwärtsschweben des
Heiligen, die Wolke von Putten, das Concert der erwachsenen Engel
ungemein schön und stylvoll gegeben; -- an der Flachkuppel der
2. Cap. r. dagegen hat St. der Auffassung seiner Schule seinen vollen
Zoll entrichtet in einem Gegenstande, der über den Horizont derselben
ging: Christus in der Vorhölle. -- Ausserdem ist hier ein Maler zu
beachten, bei welchem man sonst nicht gewohnt ist, Besseres in die-
bser Gattung zu suchen: der Calabrese. Im Querschiff von S. Pietro
a Majella hat er in flachen Deckenbildern die Geschichten Papst Cö-
lestins V und der heil. Catharina von Alexandrien gemalt, diessmal
nicht bloss mit äusserlicher Energie, sondern mit Geist und Beson-
nenheit; beinahe würdevoll wird sein Naturalismus in dem Bilde, wo
die Leiche der Catharina von fackeltragenden, blumenstreuenden, sin-
genden Engeln auf Wolken nach dem Sinai gebracht wird.

Allein nur zu bald gestaltet sich die Gewölbemalerei zum Tum-
melplatz aller Gewissenlosigkeit. In Erwägung, dass selten Jemand
die physischen Kräfte habe, ein Deckenbild genau und lange zu prü-
fen und dass man doch nur für den Gesammteffect einigen Dank
ernte, reducirte man sich auf denjenigen Styl, von welchem bei Anlass
des Pietro da Cortona (S. 1017) die Rede gewesen ist. Den Übergang
macht der gewissenlose Lanfranco, zunächst indem er den Dome-
cnichino bestahl (Pendentifs der Kuppel im Gesu nuovo zu Neapel,
dauch die in SS. Apostoli daselbst, wo auch all die gleichgültigen,
unwahren Malereien der Decke und der bessere "Teich von Bethesda"
über dem Portal von L. sind), dann durch zuerst schüchterneres, bald
efrecheres Improvisiren (Gewölbe und Wandlunetten in S. Martino da-
fselbst; Kuppel in S. Andrea della Valle zu Rom). Wie er sonst das
gÜbersinnliche anzupacken gewohnt war, zeigt z. B. sein S. Hierony-
mus mit dem Engel (Mus. v. Neapel). Die Nachfolger bekamen nun
nicht bloss Kuppeln, sondern Kirchengewölbe aller Art mit Glorien,
Paradiesen, Assunten, Visionen zu füllen; ausser den schwebenden,
in allen Graden der Untensicht gegebenen Gruppen und Gestalten
setzt sich am Rande ringsum ein Volk von andern Gruppen an, wel-
ches auf Balustraden, Absätzen u. s. w. steht; für diese schuf Pozzo

Moderne Malerei.
azioni der gewissenhafteste; an der Flachkuppel der Cap. des heil.
Bruno zu S. Martino in Neapel (die 2. 1.) ist trotz der allzu gründ-
lich gehandhabten Untensicht das anbetende Aufwärtsschweben des
Heiligen, die Wolke von Putten, das Concert der erwachsenen Engel
ungemein schön und stylvoll gegeben; — an der Flachkuppel der
2. Cap. r. dagegen hat St. der Auffassung seiner Schule seinen vollen
Zoll entrichtet in einem Gegenstande, der über den Horizont derselben
ging: Christus in der Vorhölle. — Ausserdem ist hier ein Maler zu
beachten, bei welchem man sonst nicht gewohnt ist, Besseres in die-
bser Gattung zu suchen: der Calabrese. Im Querschiff von S. Pietro
a Majella hat er in flachen Deckenbildern die Geschichten Papst Cö-
lestins V und der heil. Catharina von Alexandrien gemalt, diessmal
nicht bloss mit äusserlicher Energie, sondern mit Geist und Beson-
nenheit; beinahe würdevoll wird sein Naturalismus in dem Bilde, wo
die Leiche der Catharina von fackeltragenden, blumenstreuenden, sin-
genden Engeln auf Wolken nach dem Sinaï gebracht wird.

Allein nur zu bald gestaltet sich die Gewölbemalerei zum Tum-
melplatz aller Gewissenlosigkeit. In Erwägung, dass selten Jemand
die physischen Kräfte habe, ein Deckenbild genau und lange zu prü-
fen und dass man doch nur für den Gesammteffect einigen Dank
ernte, reducirte man sich auf denjenigen Styl, von welchem bei Anlass
des Pietro da Cortona (S. 1017) die Rede gewesen ist. Den Übergang
macht der gewissenlose Lanfranco, zunächst indem er den Dome-
cnichino bestahl (Pendentifs der Kuppel im Gesù nuovo zu Neapel,
dauch die in SS. Apostoli daselbst, wo auch all die gleichgültigen,
unwahren Malereien der Decke und der bessere „Teich von Bethesda“
über dem Portal von L. sind), dann durch zuerst schüchterneres, bald
efrecheres Improvisiren (Gewölbe und Wandlunetten in S. Martino da-
fselbst; Kuppel in S. Andrea della Valle zu Rom). Wie er sonst das
gÜbersinnliche anzupacken gewohnt war, zeigt z. B. sein S. Hierony-
mus mit dem Engel (Mus. v. Neapel). Die Nachfolger bekamen nun
nicht bloss Kuppeln, sondern Kirchengewölbe aller Art mit Glorien,
Paradiesen, Assunten, Visionen zu füllen; ausser den schwebenden,
in allen Graden der Untensicht gegebenen Gruppen und Gestalten
setzt sich am Rande ringsum ein Volk von andern Gruppen an, wel-
ches auf Balustraden, Absätzen u. s. w. steht; für diese schuf Pozzo

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[1042/1064] Moderne Malerei. zioni der gewissenhafteste; an der Flachkuppel der Cap. des heil. Bruno zu S. Martino in Neapel (die 2. 1.) ist trotz der allzu gründ- lich gehandhabten Untensicht das anbetende Aufwärtsschweben des Heiligen, die Wolke von Putten, das Concert der erwachsenen Engel ungemein schön und stylvoll gegeben; — an der Flachkuppel der 2. Cap. r. dagegen hat St. der Auffassung seiner Schule seinen vollen Zoll entrichtet in einem Gegenstande, der über den Horizont derselben ging: Christus in der Vorhölle. — Ausserdem ist hier ein Maler zu beachten, bei welchem man sonst nicht gewohnt ist, Besseres in die- ser Gattung zu suchen: der Calabrese. Im Querschiff von S. Pietro a Majella hat er in flachen Deckenbildern die Geschichten Papst Cö- lestins V und der heil. Catharina von Alexandrien gemalt, diessmal nicht bloss mit äusserlicher Energie, sondern mit Geist und Beson- nenheit; beinahe würdevoll wird sein Naturalismus in dem Bilde, wo die Leiche der Catharina von fackeltragenden, blumenstreuenden, sin- genden Engeln auf Wolken nach dem Sinaï gebracht wird. a b Allein nur zu bald gestaltet sich die Gewölbemalerei zum Tum- melplatz aller Gewissenlosigkeit. In Erwägung, dass selten Jemand die physischen Kräfte habe, ein Deckenbild genau und lange zu prü- fen und dass man doch nur für den Gesammteffect einigen Dank ernte, reducirte man sich auf denjenigen Styl, von welchem bei Anlass des Pietro da Cortona (S. 1017) die Rede gewesen ist. Den Übergang macht der gewissenlose Lanfranco, zunächst indem er den Dome- nichino bestahl (Pendentifs der Kuppel im Gesù nuovo zu Neapel, auch die in SS. Apostoli daselbst, wo auch all die gleichgültigen, unwahren Malereien der Decke und der bessere „Teich von Bethesda“ über dem Portal von L. sind), dann durch zuerst schüchterneres, bald frecheres Improvisiren (Gewölbe und Wandlunetten in S. Martino da- selbst; Kuppel in S. Andrea della Valle zu Rom). Wie er sonst das Übersinnliche anzupacken gewohnt war, zeigt z. B. sein S. Hierony- mus mit dem Engel (Mus. v. Neapel). Die Nachfolger bekamen nun nicht bloss Kuppeln, sondern Kirchengewölbe aller Art mit Glorien, Paradiesen, Assunten, Visionen zu füllen; ausser den schwebenden, in allen Graden der Untensicht gegebenen Gruppen und Gestalten setzt sich am Rande ringsum ein Volk von andern Gruppen an, wel- ches auf Balustraden, Absätzen u. s. w. steht; für diese schuf Pozzo c d e f g

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1042. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1064>, abgerufen am 18.05.2024.