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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Kuppel- und Gewölbefresken.
(S. 387) jene neue Räumlichkeit in Gestalt prächtiger perspectivischer
Hallen. Wo bleibt nun das wahrhaft Überirdische? Mit einer unglaub-
lichen Oberflächlichkeit sieht man dem Coreggio das Äusserlichste sei-
ner Schwebeexistenz, seiner Leidenschaft, seiner Ekstasen, namentlich
seine Wolken und Verkürzungen ab und combinirt daraus jene tau-
sende von brillanten Schein- und Schaumscenen, deren illusionäre
Wirkung dann noch durch die oben (S. 388, c u. f) geschilderten
kümmerlichen Hülfsmittel gesteigert und gesichert werden soll. Wer
möchte in diesem Himmel wohnen? wer glaubt an diese Seligkeit?
wem giebt sie eine höhere Stimmung? welche dieser Gestalten ist
auch nur so ausgeführt, dass wir ein Interesse an ihrem Himmels-
dasein haben könnten? Wie lungern die meisten auf ihren Wolken
herum, wie lässig lehnen sie davon herab.

Ausser den bei obigem Anlass angeführten Arbeiten des Pozzo
u. A. sind noch am ehesten folgende zu nennen. Gauli: das grossea
Fresco im Hauptschiff des Gesu in Rom, mit besonders flink gehand-
habten Farben und Verkürzungen; der Maler will mit allen Mitteln
glauben machen, dass seine Heerschaaren aus dem Empyreum durch
den Rahmen herabschwebten gegen den Hochaltar hin. (Ölskizze imb
Pal. Spada.) -- In Genua die brillantesten: Gio. Batt. Carlone
(Fresken von S. Siro etc.), und Carlo Baratta (S. M. della Pace,c
Querschiff r., Assumption der heil. Anna). -- In Venedig: der hell-
farbige Gio. Batt. Tiepolo, der die Untensicht vielleicht am wei-
testen treibt, sodass Fusssohlen und Nasenlöcher die charakteristischen
Theile seiner Gestalten sind. (Assunta, an der Decke von S. M. dellad
pieta, an der Riva; Glorie des heil. Dominicus in SS. Giov. e Paolo,e
letzte Cap. r.) Wie zuerst Mengs mit seinem einsamen Protest die-
ser wuchernden Ausartung gegenüberstand, ist oben (S. 1014) erwähnt
worden. Die vollständige Reaction von Seiten eines neuclassischen
Styles, den wir nicht mehr zu schildern unternehmen, tritt ein mit
Andrea Appiani. (Fresken in S. Maria presso S. Celso in Mailand.)f


Die profane Malerei ist in Zeiten eines allverbreiteten Na-
turalismus von der heiligen kaum zu scheiden. Vollends die Ge-
schichten des alten Testamentes, z. B. in den vielen Bildern von halben

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Kuppel- und Gewölbefresken.
(S. 387) jene neue Räumlichkeit in Gestalt prächtiger perspectivischer
Hallen. Wo bleibt nun das wahrhaft Überirdische? Mit einer unglaub-
lichen Oberflächlichkeit sieht man dem Coreggio das Äusserlichste sei-
ner Schwebeexistenz, seiner Leidenschaft, seiner Ekstasen, namentlich
seine Wolken und Verkürzungen ab und combinirt daraus jene tau-
sende von brillanten Schein- und Schaumscenen, deren illusionäre
Wirkung dann noch durch die oben (S. 388, c u. f) geschilderten
kümmerlichen Hülfsmittel gesteigert und gesichert werden soll. Wer
möchte in diesem Himmel wohnen? wer glaubt an diese Seligkeit?
wem giebt sie eine höhere Stimmung? welche dieser Gestalten ist
auch nur so ausgeführt, dass wir ein Interesse an ihrem Himmels-
dasein haben könnten? Wie lungern die meisten auf ihren Wolken
herum, wie lässig lehnen sie davon herab.

Ausser den bei obigem Anlass angeführten Arbeiten des Pozzo
u. A. sind noch am ehesten folgende zu nennen. Gauli: das grossea
Fresco im Hauptschiff des Gesù in Rom, mit besonders flink gehand-
habten Farben und Verkürzungen; der Maler will mit allen Mitteln
glauben machen, dass seine Heerschaaren aus dem Empyreum durch
den Rahmen herabschwebten gegen den Hochaltar hin. (Ölskizze imb
Pal. Spada.) — In Genua die brillantesten: Gio. Batt. Carlone
(Fresken von S. Siro etc.), und Carlo Baratta (S. M. della Pace,c
Querschiff r., Assumption der heil. Anna). — In Venedig: der hell-
farbige Gio. Batt. Tiepolo, der die Untensicht vielleicht am wei-
testen treibt, sodass Fusssohlen und Nasenlöcher die charakteristischen
Theile seiner Gestalten sind. (Assunta, an der Decke von S. M. dellad
pietà, an der Riva; Glorie des heil. Dominicus in SS. Giov. e Paolo,e
letzte Cap. r.) Wie zuerst Mengs mit seinem einsamen Protest die-
ser wuchernden Ausartung gegenüberstand, ist oben (S. 1014) erwähnt
worden. Die vollständige Reaction von Seiten eines neuclassischen
Styles, den wir nicht mehr zu schildern unternehmen, tritt ein mit
Andrea Appiani. (Fresken in S. Maria presso S. Celso in Mailand.)f


Die profane Malerei ist in Zeiten eines allverbreiteten Na-
turalismus von der heiligen kaum zu scheiden. Vollends die Ge-
schichten des alten Testamentes, z. B. in den vielen Bildern von halben

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1043. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1065>, abgerufen am 19.05.2024.