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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Moderne Malerei.

In allen Aufgaben idealer Art ist diese moderne Malerei von den
höchsten Zielen ausgeschlossen, weil sie zu unmittelbar darstellen
und überzeugen will, während sie doch, als Kind einer späten Cultur-
epoche, nicht mehr in der blossen Unmittelbarkeit (Naivetät) erhaben
sein kann. Ihr Naturalismus möchte alles Seiende und Geschehende
als solches handgreiflich machen; er betrachtet diess als Vorbedingung
jeglicher Wirkung, ohne auf den innern Sinn des Beschauers zu rech-
nen, welcher Anregungen ganz anderer Art zu beachten gewohnt ist.

Schon die Wirklichkeit der Bewegung im Raum, wie man sie bei
Coreggio vorfand und adoptirte, machte die Kunst gleichgültig gegen
alle höhere Anordnung, gegen das Einfach-Grosse im Bau und Gegen-
satz der Gruppen und Einzelgestalten. Am meisten Architektonisches
hat vermöge seines Schönheitssinnes Guido Reni gerettet. Seine
agrandiose Madonna della Pieta (Pinac. von Bologna) verdankt dem
symmetrischen Bau der untern wie der obern Gruppe ihre gewaltig-
ste Wirkung; ähnlich verhält es sich (ebenda) mit dem Bilde des Ge-
kreuzigten
und seiner Angehörigen; die edle und grossartige Be-
handlung, der schöne Ausdruck allein würden nicht genügen, um
diesen Werken ihre ganz ausnahmsweise Stellung zu sichern. (Ein
banderer Crucifixus Guido's, ohne die Angehörigen, aber ebenfalls von
erster Bedeutung, in der Gal. von Modena.) Die Assunta in München,
cdie Dreieinigkeit auf dem Hochaltar von S. Trinita de' pellegrini in
Rom geben hiezu weitere Belege; selbst das flüchtige Werk der ma-
dniera seconda: die Caritas (Pinac. von Bologna). -- Lodovico Ca-
eracci's Transfiguration (ebenda) und Himmelfahrt Christi (Hochaltar
fvon S. Cristina zu Bologna) werden nur durch dieses architektonische
Element recht geniessbar; Annibale's Madonna in einer Nische, an
deren Postament Johannes der Ev. und Catharina lehnen, verdankt
ebendemselben (nebst der energischen Malerei) eine grosse Wirkung
trotz der allgemeinen und wenig edlen Formen; denselben Lebensge-
ghalt zeigt das ähnliche grosse Bild des Guercino im Pal. Brignole
zu Genua. (Derselbe Guercino geht in einem schön gemalten Bilde --
hS. Vincenzo zu Modena, zweite Cap. rechts -- an dem Richtigen vor-
bei.) Ja auch die in Bewegung gerathene Symmetrie, das Processio-
nelle, kurz Alles, was das in dieser Schule so oft zur Confusion führende
Pathos dämpft, kann hier von höchst erwünschter Wirkung sein; hieher

Moderne Malerei.

In allen Aufgaben idealer Art ist diese moderne Malerei von den
höchsten Zielen ausgeschlossen, weil sie zu unmittelbar darstellen
und überzeugen will, während sie doch, als Kind einer späten Cultur-
epoche, nicht mehr in der blossen Unmittelbarkeit (Naivetät) erhaben
sein kann. Ihr Naturalismus möchte alles Seiende und Geschehende
als solches handgreiflich machen; er betrachtet diess als Vorbedingung
jeglicher Wirkung, ohne auf den innern Sinn des Beschauers zu rech-
nen, welcher Anregungen ganz anderer Art zu beachten gewohnt ist.

Schon die Wirklichkeit der Bewegung im Raum, wie man sie bei
Coreggio vorfand und adoptirte, machte die Kunst gleichgültig gegen
alle höhere Anordnung, gegen das Einfach-Grosse im Bau und Gegen-
satz der Gruppen und Einzelgestalten. Am meisten Architektonisches
hat vermöge seines Schönheitssinnes Guido Reni gerettet. Seine
agrandiose Madonna della Pietà (Pinac. von Bologna) verdankt dem
symmetrischen Bau der untern wie der obern Gruppe ihre gewaltig-
ste Wirkung; ähnlich verhält es sich (ebenda) mit dem Bilde des Ge-
kreuzigten
und seiner Angehörigen; die edle und grossartige Be-
handlung, der schöne Ausdruck allein würden nicht genügen, um
diesen Werken ihre ganz ausnahmsweise Stellung zu sichern. (Ein
banderer Crucifixus Guido’s, ohne die Angehörigen, aber ebenfalls von
erster Bedeutung, in der Gal. von Modena.) Die Assunta in München,
cdie Dreieinigkeit auf dem Hochaltar von S. Trinità de’ pellegrini in
Rom geben hiezu weitere Belege; selbst das flüchtige Werk der ma-
dniera seconda: die Caritas (Pinac. von Bologna). — Lodovico Ca-
eracci’s Transfiguration (ebenda) und Himmelfahrt Christi (Hochaltar
fvon S. Cristina zu Bologna) werden nur durch dieses architektonische
Element recht geniessbar; Annibale’s Madonna in einer Nische, an
deren Postament Johannes der Ev. und Catharina lehnen, verdankt
ebendemselben (nebst der energischen Malerei) eine grosse Wirkung
trotz der allgemeinen und wenig edlen Formen; denselben Lebensge-
ghalt zeigt das ähnliche grosse Bild des Guercino im Pal. Brignole
zu Genua. (Derselbe Guercino geht in einem schön gemalten Bilde —
hS. Vincenzo zu Modena, zweite Cap. rechts — an dem Richtigen vor-
bei.) Ja auch die in Bewegung gerathene Symmetrie, das Processio-
nelle, kurz Alles, was das in dieser Schule so oft zur Confusion führende
Pathos dämpft, kann hier von höchst erwünschter Wirkung sein; hieher

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[1024/1046] Moderne Malerei. In allen Aufgaben idealer Art ist diese moderne Malerei von den höchsten Zielen ausgeschlossen, weil sie zu unmittelbar darstellen und überzeugen will, während sie doch, als Kind einer späten Cultur- epoche, nicht mehr in der blossen Unmittelbarkeit (Naivetät) erhaben sein kann. Ihr Naturalismus möchte alles Seiende und Geschehende als solches handgreiflich machen; er betrachtet diess als Vorbedingung jeglicher Wirkung, ohne auf den innern Sinn des Beschauers zu rech- nen, welcher Anregungen ganz anderer Art zu beachten gewohnt ist. Schon die Wirklichkeit der Bewegung im Raum, wie man sie bei Coreggio vorfand und adoptirte, machte die Kunst gleichgültig gegen alle höhere Anordnung, gegen das Einfach-Grosse im Bau und Gegen- satz der Gruppen und Einzelgestalten. Am meisten Architektonisches hat vermöge seines Schönheitssinnes Guido Reni gerettet. Seine grandiose Madonna della Pietà (Pinac. von Bologna) verdankt dem symmetrischen Bau der untern wie der obern Gruppe ihre gewaltig- ste Wirkung; ähnlich verhält es sich (ebenda) mit dem Bilde des Ge- kreuzigten und seiner Angehörigen; die edle und grossartige Be- handlung, der schöne Ausdruck allein würden nicht genügen, um diesen Werken ihre ganz ausnahmsweise Stellung zu sichern. (Ein anderer Crucifixus Guido’s, ohne die Angehörigen, aber ebenfalls von erster Bedeutung, in der Gal. von Modena.) Die Assunta in München, die Dreieinigkeit auf dem Hochaltar von S. Trinità de’ pellegrini in Rom geben hiezu weitere Belege; selbst das flüchtige Werk der ma- niera seconda: die Caritas (Pinac. von Bologna). — Lodovico Ca- racci’s Transfiguration (ebenda) und Himmelfahrt Christi (Hochaltar von S. Cristina zu Bologna) werden nur durch dieses architektonische Element recht geniessbar; Annibale’s Madonna in einer Nische, an deren Postament Johannes der Ev. und Catharina lehnen, verdankt ebendemselben (nebst der energischen Malerei) eine grosse Wirkung trotz der allgemeinen und wenig edlen Formen; denselben Lebensge- halt zeigt das ähnliche grosse Bild des Guercino im Pal. Brignole zu Genua. (Derselbe Guercino geht in einem schön gemalten Bilde — S. Vincenzo zu Modena, zweite Cap. rechts — an dem Richtigen vor- bei.) Ja auch die in Bewegung gerathene Symmetrie, das Processio- nelle, kurz Alles, was das in dieser Schule so oft zur Confusion führende Pathos dämpft, kann hier von höchst erwünschter Wirkung sein; hieher a b c d e f g h

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1024. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1046>, abgerufen am 18.12.2024.