(1528--1612). Seine geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass er die Auffassungsweise Coreggio's, als dessen eigene parmesanische Schule sie aufgegeben hatte, bis zum Auftreten der Bologneser fast allein mit Eifer vertrat; freilich genügte seine Begabung dazu keines- weges ganz, und neben echtem Naturalismus und einer wahren Be- geisterung für sinnliche Schönheit muss man sich mancherlei affectirte Mienen und Geberden, glasartige Farben, und ein hektisches Roth an den beleuchteten Stellen der Carnation gefallen lassen. Das schönste aBild, so ich von ihm kenne, ist der Crucifixus mit Engeln, S. Se- bastian, Johannes und Maria, im Dom von Genua (Cap. rechts vom Chor); -- das fleissigste und grösste die "Madonna als Fürsprecherin bder Kinder und Armen," in den Uffizien, mit vortrefflichen genrearti- cgen Partien; -- das "Noli me tangere" in der Gal. Corsini zu Rom dund (kleiner) in den Uffizien hat ebenfalls noch eine wahre Naivetät. e-- Wogegen die meisten Bilder in der vatican. Galerie und die übrigen in den Uffizien zu den affectirtern gehören; in dem Porträt des Herzogs Guidobaldo II von Urbino konnte gerade B. die kleinliche Hübschheit fund den kriegerischen Aufputz gut wiedergeben. (Uff. und bei Ca- gmuccini in Rom.) -- Grosse bewegte Kreuzabnahme im Dom von Pe- rugia (rechts). -- Die neuflorentinische Schule, von welcher unten die Rede sein wird, schloss sich wesentlich an Baroccio an.
In Genua war der Manierismus schon bei den Schülern des Perin del Vaga in vollem Gange. Giov. Batt. Castello, Calvi, die jüngern Semini, auch der etwas bessere Lazzaro Tavarone geriethen ob dem beständigen Fassadenmalen (S. 293) in eine wahre Verstockung; sie bilden einen ganz besonders ungeniessbaren Ableger der römischen Schule. -- Ihnen gegenüber stand der einsame Luca Cambiaso (1527--1580 od. 85) der aus eigenen Kräften, ohne Mo- retto und Paolo Veronese zu kennen, ein ähnliches Resultat erreichte: einen gemüthlich veredelten Naturalismus, der auch für den Ausdruck des höhern Seelenlebens ein würdiges Gefäss sein konnte. Sein stets gedämpftes Colorit ist harmonisch und klar; erst in der spätern Zeit, da auch seine Naivetät erlahmte, wird es dumpfer. Seine Madonna ist eine echte, liebenswürdige Genueserin ohne ideale Form, das Kind immer naiv und schön bewegt, die Heiligen voll innigsten Ausdruckes; Altarbilder dieser Art sind in der Regel ein Stück Familienscene, hei-
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.
(1528—1612). Seine geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass er die Auffassungsweise Coreggio’s, als dessen eigene parmesanische Schule sie aufgegeben hatte, bis zum Auftreten der Bologneser fast allein mit Eifer vertrat; freilich genügte seine Begabung dazu keines- weges ganz, und neben echtem Naturalismus und einer wahren Be- geisterung für sinnliche Schönheit muss man sich mancherlei affectirte Mienen und Geberden, glasartige Farben, und ein hektisches Roth an den beleuchteten Stellen der Carnation gefallen lassen. Das schönste aBild, so ich von ihm kenne, ist der Crucifixus mit Engeln, S. Se- bastian, Johannes und Maria, im Dom von Genua (Cap. rechts vom Chor); — das fleissigste und grösste die „Madonna als Fürsprecherin bder Kinder und Armen,“ in den Uffizien, mit vortrefflichen genrearti- cgen Partien; — das „Noli me tangere“ in der Gal. Corsini zu Rom dund (kleiner) in den Uffizien hat ebenfalls noch eine wahre Naivetät. e— Wogegen die meisten Bilder in der vatican. Galerie und die übrigen in den Uffizien zu den affectirtern gehören; in dem Porträt des Herzogs Guidobaldo II von Urbino konnte gerade B. die kleinliche Hübschheit fund den kriegerischen Aufputz gut wiedergeben. (Uff. und bei Ca- gmuccini in Rom.) — Grosse bewegte Kreuzabnahme im Dom von Pe- rugia (rechts). — Die neuflorentinische Schule, von welcher unten die Rede sein wird, schloss sich wesentlich an Baroccio an.
In Genua war der Manierismus schon bei den Schülern des Perin del Vaga in vollem Gange. Giov. Batt. Castello, Calvi, die jüngern Semini, auch der etwas bessere Lazzaro Tavarone geriethen ob dem beständigen Fassadenmalen (S. 293) in eine wahre Verstockung; sie bilden einen ganz besonders ungeniessbaren Ableger der römischen Schule. — Ihnen gegenüber stand der einsame Luca Cambiaso (1527—1580 od. 85) der aus eigenen Kräften, ohne Mo- retto und Paolo Veronese zu kennen, ein ähnliches Resultat erreichte: einen gemüthlich veredelten Naturalismus, der auch für den Ausdruck des höhern Seelenlebens ein würdiges Gefäss sein konnte. Sein stets gedämpftes Colorit ist harmonisch und klar; erst in der spätern Zeit, da auch seine Naivetät erlahmte, wird es dumpfer. Seine Madonna ist eine echte, liebenswürdige Genueserin ohne ideale Form, das Kind immer naiv und schön bewegt, die Heiligen voll innigsten Ausdruckes; Altarbilder dieser Art sind in der Regel ein Stück Familienscene, hei-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f1022"n="1000"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.</hi></fw><lb/>
(1528—1612). Seine geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass er<lb/>
die Auffassungsweise Coreggio’s, als dessen eigene parmesanische<lb/>
Schule sie aufgegeben hatte, bis zum Auftreten der Bologneser fast<lb/>
allein mit Eifer vertrat; freilich genügte seine Begabung dazu keines-<lb/>
weges ganz, und neben echtem Naturalismus und einer wahren Be-<lb/>
geisterung für sinnliche Schönheit muss man sich mancherlei affectirte<lb/>
Mienen und Geberden, glasartige Farben, und ein hektisches Roth an<lb/>
den beleuchteten Stellen der Carnation gefallen lassen. Das schönste<lb/><noteplace="left">a</note>Bild, so ich von ihm kenne, ist der Crucifixus mit Engeln, S. Se-<lb/>
bastian, Johannes und Maria, im Dom von Genua (Cap. rechts vom<lb/>
Chor); — das fleissigste und grösste die „Madonna als Fürsprecherin<lb/><noteplace="left">b</note>der Kinder und Armen,“ in den Uffizien, mit vortrefflichen genrearti-<lb/><noteplace="left">c</note>gen Partien; — das „Noli me tangere“ in der Gal. Corsini zu Rom<lb/><noteplace="left">d</note>und (kleiner) in den Uffizien hat ebenfalls noch eine wahre Naivetät.<lb/><noteplace="left">e</note>— Wogegen die meisten Bilder in der vatican. Galerie und die übrigen<lb/>
in den Uffizien zu den affectirtern gehören; in dem Porträt des Herzogs<lb/>
Guidobaldo II von Urbino konnte gerade B. die kleinliche Hübschheit<lb/><noteplace="left">f</note>und den kriegerischen Aufputz gut wiedergeben. (Uff. und bei Ca-<lb/><noteplace="left">g</note>muccini in Rom.) — Grosse bewegte Kreuzabnahme im Dom von Pe-<lb/>
rugia (rechts). — Die neuflorentinische Schule, von welcher unten die<lb/>
Rede sein wird, schloss sich wesentlich an Baroccio an.</p><lb/><p>In <hirendition="#g">Genua</hi> war der Manierismus schon bei den Schülern des<lb/>
Perin del Vaga in vollem Gange. <hirendition="#g">Giov. Batt. Castello, Calvi</hi>,<lb/>
die jüngern <hirendition="#g">Semini</hi>, auch der etwas bessere <hirendition="#g">Lazzaro Tavarone</hi><lb/>
geriethen ob dem beständigen Fassadenmalen (S. 293) in eine wahre<lb/>
Verstockung; sie bilden einen ganz besonders ungeniessbaren Ableger<lb/>
der römischen Schule. — Ihnen gegenüber stand der einsame <hirendition="#g">Luca<lb/>
Cambiaso</hi> (1527—1580 od. 85) der aus eigenen Kräften, ohne Mo-<lb/>
retto und Paolo Veronese zu kennen, ein ähnliches Resultat erreichte:<lb/>
einen gemüthlich veredelten Naturalismus, der auch für den Ausdruck<lb/>
des höhern Seelenlebens ein würdiges Gefäss sein konnte. Sein stets<lb/>
gedämpftes Colorit ist harmonisch und klar; erst in der spätern Zeit,<lb/>
da auch seine Naivetät erlahmte, wird es dumpfer. Seine Madonna<lb/>
ist eine echte, liebenswürdige Genueserin ohne ideale Form, das Kind<lb/>
immer naiv und schön bewegt, die Heiligen voll innigsten Ausdruckes;<lb/>
Altarbilder dieser Art sind in der Regel ein Stück Familienscene, hei-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[1000/1022]
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen.
(1528—1612). Seine geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass er
die Auffassungsweise Coreggio’s, als dessen eigene parmesanische
Schule sie aufgegeben hatte, bis zum Auftreten der Bologneser fast
allein mit Eifer vertrat; freilich genügte seine Begabung dazu keines-
weges ganz, und neben echtem Naturalismus und einer wahren Be-
geisterung für sinnliche Schönheit muss man sich mancherlei affectirte
Mienen und Geberden, glasartige Farben, und ein hektisches Roth an
den beleuchteten Stellen der Carnation gefallen lassen. Das schönste
Bild, so ich von ihm kenne, ist der Crucifixus mit Engeln, S. Se-
bastian, Johannes und Maria, im Dom von Genua (Cap. rechts vom
Chor); — das fleissigste und grösste die „Madonna als Fürsprecherin
der Kinder und Armen,“ in den Uffizien, mit vortrefflichen genrearti-
gen Partien; — das „Noli me tangere“ in der Gal. Corsini zu Rom
und (kleiner) in den Uffizien hat ebenfalls noch eine wahre Naivetät.
— Wogegen die meisten Bilder in der vatican. Galerie und die übrigen
in den Uffizien zu den affectirtern gehören; in dem Porträt des Herzogs
Guidobaldo II von Urbino konnte gerade B. die kleinliche Hübschheit
und den kriegerischen Aufputz gut wiedergeben. (Uff. und bei Ca-
muccini in Rom.) — Grosse bewegte Kreuzabnahme im Dom von Pe-
rugia (rechts). — Die neuflorentinische Schule, von welcher unten die
Rede sein wird, schloss sich wesentlich an Baroccio an.
a
b
c
d
e
f
g
In Genua war der Manierismus schon bei den Schülern des
Perin del Vaga in vollem Gange. Giov. Batt. Castello, Calvi,
die jüngern Semini, auch der etwas bessere Lazzaro Tavarone
geriethen ob dem beständigen Fassadenmalen (S. 293) in eine wahre
Verstockung; sie bilden einen ganz besonders ungeniessbaren Ableger
der römischen Schule. — Ihnen gegenüber stand der einsame Luca
Cambiaso (1527—1580 od. 85) der aus eigenen Kräften, ohne Mo-
retto und Paolo Veronese zu kennen, ein ähnliches Resultat erreichte:
einen gemüthlich veredelten Naturalismus, der auch für den Ausdruck
des höhern Seelenlebens ein würdiges Gefäss sein konnte. Sein stets
gedämpftes Colorit ist harmonisch und klar; erst in der spätern Zeit,
da auch seine Naivetät erlahmte, wird es dumpfer. Seine Madonna
ist eine echte, liebenswürdige Genueserin ohne ideale Form, das Kind
immer naiv und schön bewegt, die Heiligen voll innigsten Ausdruckes;
Altarbilder dieser Art sind in der Regel ein Stück Familienscene, hei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1000. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1022>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.