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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Äussere Bedingungen des Manierismus.
erhörten Bedingungen in die Hände; alle zünftige und locale Gebun-
denheit hatte aufgehört; jeder Grosse und jede Kirchenverwaltung
verlangten für ihre Gebäude einen monumentalen Schmuck von oft
ungeheurem Umfang und in grossem Styl. Aufgaben, zu welchen
eben Rafael und Michelangelo mit Aufwand aller ihrer Kräfte hin-
gereicht hatten, gelangten jetzt bisweilen an den Ersten Besten, wur-
den auch wohl das Ziel, nach welchem Ehrgeiz und Intrigue um die
Wette rannten.

Den wahren Höhegrad des jetzt zur Mode gewordenen Kunst-
sinnes sahen die klügern Künstler ihren Gönnern sehr bald ab. Sie
bemerkten, dass die Herren vor Allem rasch und billig bedient sein
wollten und richteten sich auf Schnelligkeit und die derselben an-
gemessenen Preise ein. Sie sahen auch recht wohl, dass man an
Michelangelo weniger das Grosse, als die phantastische Willkür und
ganz bestimmte Äusserlichkeiten bewunderte und machten ihm nun
dieselben nach wo es passte und wo nicht. Ihre Malerei wird eine
Darstellung von Effekten ohne Ursachen, von Bewegungen und Muskel-
anstrengungen ohne Nothwendigkeit. Endlich richteten sie sich auf
Das ein, was die meisten Leute von jeher in der Malerei vorzüglich
geschätzt haben: auf Vieles, auf Glänzendes und auf Natürliches. Dem
Vielen genügten sie durch Vollpfropfen der Gemälde mit Figuren,
auch mit ganz müssigen und störenden; dem Glänzenden durch ein
Colorit, das man ja nicht nach dem jetzigen Zustande der meisten
betreffenden Bilder beurtheilen darf, indem ehemals eine freundliche
Farbe mit hell oder changeant aufgetragenen Lichtern neben der an-
dern sass. Das Natürliche endlich wurde theils durch grundprosaische
Auffassung und Wirklichmachung des Vorganges, theils durch ganz
naturalistische Behandlung einzelner Theile erreicht, welche dann neben
dem übrigen Bombast beträchtlich absticht. -- Der grösste Jammer
aber ist, dass manche der betreffenden Künstler, sobald sie nur woll-
ten oder durften, den echten Naturalismus und selbst ein harmonisches
Colorit besassen, wie namentlich ihre Bildnisse beweisen.

Eine Zeitlang verlangte die Mode lauter Gegenstücke zum
jüngsten Gericht
, und es entstanden jene Gewimmel nackter
(oder enggekleideter) Figuren, die in allen möglichen und unmöglichen
Stellungen auf einem Raum, der sie nicht zum dritten Theil beher-

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Äussere Bedingungen des Manierismus.
erhörten Bedingungen in die Hände; alle zünftige und locale Gebun-
denheit hatte aufgehört; jeder Grosse und jede Kirchenverwaltung
verlangten für ihre Gebäude einen monumentalen Schmuck von oft
ungeheurem Umfang und in grossem Styl. Aufgaben, zu welchen
eben Rafael und Michelangelo mit Aufwand aller ihrer Kräfte hin-
gereicht hatten, gelangten jetzt bisweilen an den Ersten Besten, wur-
den auch wohl das Ziel, nach welchem Ehrgeiz und Intrigue um die
Wette rannten.

Den wahren Höhegrad des jetzt zur Mode gewordenen Kunst-
sinnes sahen die klügern Künstler ihren Gönnern sehr bald ab. Sie
bemerkten, dass die Herren vor Allem rasch und billig bedient sein
wollten und richteten sich auf Schnelligkeit und die derselben an-
gemessenen Preise ein. Sie sahen auch recht wohl, dass man an
Michelangelo weniger das Grosse, als die phantastische Willkür und
ganz bestimmte Äusserlichkeiten bewunderte und machten ihm nun
dieselben nach wo es passte und wo nicht. Ihre Malerei wird eine
Darstellung von Effekten ohne Ursachen, von Bewegungen und Muskel-
anstrengungen ohne Nothwendigkeit. Endlich richteten sie sich auf
Das ein, was die meisten Leute von jeher in der Malerei vorzüglich
geschätzt haben: auf Vieles, auf Glänzendes und auf Natürliches. Dem
Vielen genügten sie durch Vollpfropfen der Gemälde mit Figuren,
auch mit ganz müssigen und störenden; dem Glänzenden durch ein
Colorit, das man ja nicht nach dem jetzigen Zustande der meisten
betreffenden Bilder beurtheilen darf, indem ehemals eine freundliche
Farbe mit hell oder changeant aufgetragenen Lichtern neben der an-
dern sass. Das Natürliche endlich wurde theils durch grundprosaische
Auffassung und Wirklichmachung des Vorganges, theils durch ganz
naturalistische Behandlung einzelner Theile erreicht, welche dann neben
dem übrigen Bombast beträchtlich absticht. — Der grösste Jammer
aber ist, dass manche der betreffenden Künstler, sobald sie nur woll-
ten oder durften, den echten Naturalismus und selbst ein harmonisches
Colorit besassen, wie namentlich ihre Bildnisse beweisen.

Eine Zeitlang verlangte die Mode lauter Gegenstücke zum
jüngsten Gericht
, und es entstanden jene Gewimmel nackter
(oder enggekleideter) Figuren, die in allen möglichen und unmöglichen
Stellungen auf einem Raum, der sie nicht zum dritten Theil beher-

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[995/1017] Äussere Bedingungen des Manierismus. erhörten Bedingungen in die Hände; alle zünftige und locale Gebun- denheit hatte aufgehört; jeder Grosse und jede Kirchenverwaltung verlangten für ihre Gebäude einen monumentalen Schmuck von oft ungeheurem Umfang und in grossem Styl. Aufgaben, zu welchen eben Rafael und Michelangelo mit Aufwand aller ihrer Kräfte hin- gereicht hatten, gelangten jetzt bisweilen an den Ersten Besten, wur- den auch wohl das Ziel, nach welchem Ehrgeiz und Intrigue um die Wette rannten. Den wahren Höhegrad des jetzt zur Mode gewordenen Kunst- sinnes sahen die klügern Künstler ihren Gönnern sehr bald ab. Sie bemerkten, dass die Herren vor Allem rasch und billig bedient sein wollten und richteten sich auf Schnelligkeit und die derselben an- gemessenen Preise ein. Sie sahen auch recht wohl, dass man an Michelangelo weniger das Grosse, als die phantastische Willkür und ganz bestimmte Äusserlichkeiten bewunderte und machten ihm nun dieselben nach wo es passte und wo nicht. Ihre Malerei wird eine Darstellung von Effekten ohne Ursachen, von Bewegungen und Muskel- anstrengungen ohne Nothwendigkeit. Endlich richteten sie sich auf Das ein, was die meisten Leute von jeher in der Malerei vorzüglich geschätzt haben: auf Vieles, auf Glänzendes und auf Natürliches. Dem Vielen genügten sie durch Vollpfropfen der Gemälde mit Figuren, auch mit ganz müssigen und störenden; dem Glänzenden durch ein Colorit, das man ja nicht nach dem jetzigen Zustande der meisten betreffenden Bilder beurtheilen darf, indem ehemals eine freundliche Farbe mit hell oder changeant aufgetragenen Lichtern neben der an- dern sass. Das Natürliche endlich wurde theils durch grundprosaische Auffassung und Wirklichmachung des Vorganges, theils durch ganz naturalistische Behandlung einzelner Theile erreicht, welche dann neben dem übrigen Bombast beträchtlich absticht. — Der grösste Jammer aber ist, dass manche der betreffenden Künstler, sobald sie nur woll- ten oder durften, den echten Naturalismus und selbst ein harmonisches Colorit besassen, wie namentlich ihre Bildnisse beweisen. Eine Zeitlang verlangte die Mode lauter Gegenstücke zum jüngsten Gericht, und es entstanden jene Gewimmel nackter (oder enggekleideter) Figuren, die in allen möglichen und unmöglichen Stellungen auf einem Raum, der sie nicht zum dritten Theil beher- 63*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 995. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1017>, abgerufen am 26.05.2024.