Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Romanino etc. Die beiden Pordenone.
höhere geistige Bedeutung an irgend einem Vorgange hervorzuheben,
war wohl so wenig seine Sache als die der Schule überhaupt, allein
er ist ganz besonders frisch und lebendig in der Auffassung des äus-
sern Lebens und hat in der Carnation, zumal wo sie im Helldunkel
erscheint, eine solche eigenthümliche warme Weichheit (morbidezza,
Mürbheit) wie kein Anderer der Schule. -- Sein Hauptwerk in Ve-
nedig (Academie), S. Lorenzo Giustiniani von andern Heiligen unda
Ordensbrüdern umgeben, hat wohl eine etwas gesuchte Dramatik; die
santa conversazione sieht trotz aller Blicke und Gesten danach aus,
als wüssten die Leute nicht recht, was sie einander zu sagen haben;
-- eine Madonna mit Heiligen (ebenda) befriedigt als reines und sehr
schönes Existenzbild viel mehr; -- ebenda fünf schwebende Putten
auf Wolken. -- Ein herrliches Altarbild, S. Catharina mit S. Seba-b
stian und S. Rochus, in S. Giovanni Elemosinario (Cap. rechts vom
Chor). -- Mehreres in S. Rocco. -- In den Angeli zu Murano: dasc
Hochaltarbild (?). -- Im Pal. Manfrin: Vermählung Mariä, und: Be-d
schneidung, Halbfigurenbilder von so blasser und allgemeiner Behand-
lung, dass man sie dem P. kaum zutrauen mag. -- Im Pal. Doria zue
Rom: die Tochter des Herodes mit ihrer Magd, ein herrliches, leid-
lich erhaltenes Halbfigurenbild; sie ist von der hohen venezianischen
Schönheit, dabei klug und kalt, auch das Haupt des Täufers höchst
edel venezianisch. -- Im Pal. Pitti: eine santa conversazione in Halb-f
figuren, von höchster Pracht und Harmonie der Farbe. -- In den Uffi-
zien: ein vorzügliches männliches Porträt, eine unförmliche Judith undg
eine improvisirte, in den Formen ziemlich stumpfe, aber gluthfarbige
Bekehrung des Paulus (Breitbild).

Giov. Antonio's Bruder oder Verwandter Bernardino da Por-
denone
scheint der Urheber mehrerer Familienbilder zu sein, welche
einen Künstler (Bildhauer oder Maler? -- vielleicht den Giov. Anto-
nio?) umgeben von seinen Angehörigen und Schülern darstellen; eines
im Pal. Borghese zu Rom, eines im Pal. Manfrin, ein drittes in Eng-h
land; das erstgenannte ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Vor-
bild dieser Gattung. -- Sein bestes Altarbild, eine thronende Madonnai
mit Heiligen, meist Mönchen, in den Frari, erste Cap. links vom
Chor; ohne besondern Adel des Gedankens oder des Ausdruckes ein
Kleinod durch Farbenpracht und Lebensfülle; -- auch ein Halbfiguren-

Romanino etc. Die beiden Pordenone.
höhere geistige Bedeutung an irgend einem Vorgange hervorzuheben,
war wohl so wenig seine Sache als die der Schule überhaupt, allein
er ist ganz besonders frisch und lebendig in der Auffassung des äus-
sern Lebens und hat in der Carnation, zumal wo sie im Helldunkel
erscheint, eine solche eigenthümliche warme Weichheit (morbidezza,
Mürbheit) wie kein Anderer der Schule. — Sein Hauptwerk in Ve-
nedig (Academie), S. Lorenzo Giustiniani von andern Heiligen unda
Ordensbrüdern umgeben, hat wohl eine etwas gesuchte Dramatik; die
santa conversazione sieht trotz aller Blicke und Gesten danach aus,
als wüssten die Leute nicht recht, was sie einander zu sagen haben;
— eine Madonna mit Heiligen (ebenda) befriedigt als reines und sehr
schönes Existenzbild viel mehr; — ebenda fünf schwebende Putten
auf Wolken. — Ein herrliches Altarbild, S. Catharina mit S. Seba-b
stian und S. Rochus, in S. Giovanni Elemosinario (Cap. rechts vom
Chor). — Mehreres in S. Rocco. — In den Angeli zu Murano: dasc
Hochaltarbild (?). — Im Pal. Manfrin: Vermählung Mariä, und: Be-d
schneidung, Halbfigurenbilder von so blasser und allgemeiner Behand-
lung, dass man sie dem P. kaum zutrauen mag. — Im Pal. Doria zue
Rom: die Tochter des Herodes mit ihrer Magd, ein herrliches, leid-
lich erhaltenes Halbfigurenbild; sie ist von der hohen venezianischen
Schönheit, dabei klug und kalt, auch das Haupt des Täufers höchst
edel venezianisch. — Im Pal. Pitti: eine santa conversazione in Halb-f
figuren, von höchster Pracht und Harmonie der Farbe. — In den Uffi-
zien: ein vorzügliches männliches Porträt, eine unförmliche Judith undg
eine improvisirte, in den Formen ziemlich stumpfe, aber gluthfarbige
Bekehrung des Paulus (Breitbild).

Giov. Antonio’s Bruder oder Verwandter Bernardino da Por-
denone
scheint der Urheber mehrerer Familienbilder zu sein, welche
einen Künstler (Bildhauer oder Maler? — vielleicht den Giov. Anto-
nio?) umgeben von seinen Angehörigen und Schülern darstellen; eines
im Pal. Borghese zu Rom, eines im Pal. Manfrin, ein drittes in Eng-h
land; das erstgenannte ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Vor-
bild dieser Gattung. — Sein bestes Altarbild, eine thronende Madonnai
mit Heiligen, meist Mönchen, in den Frari, erste Cap. links vom
Chor; ohne besondern Adel des Gedankens oder des Ausdruckes ein
Kleinod durch Farbenpracht und Lebensfülle; — auch ein Halbfiguren-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f1003" n="981"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Romanino etc. Die beiden Pordenone.</hi></fw><lb/>
höhere geistige Bedeutung an irgend einem Vorgange hervorzuheben,<lb/>
war wohl so wenig seine Sache als die der Schule überhaupt, allein<lb/>
er ist ganz besonders frisch und lebendig in der Auffassung des äus-<lb/>
sern Lebens und hat in der Carnation, zumal wo sie im Helldunkel<lb/>
erscheint, eine solche eigenthümliche warme Weichheit (morbidezza,<lb/>
Mürbheit) wie kein Anderer der Schule. &#x2014; Sein Hauptwerk in Ve-<lb/>
nedig (Academie), S. Lorenzo Giustiniani von andern Heiligen und<note place="right">a</note><lb/>
Ordensbrüdern umgeben, hat wohl eine etwas gesuchte Dramatik; die<lb/>
santa conversazione sieht trotz aller Blicke und Gesten danach aus,<lb/>
als wüssten die Leute nicht recht, was sie einander zu sagen haben;<lb/>
&#x2014; eine Madonna mit Heiligen (ebenda) befriedigt als reines und sehr<lb/>
schönes Existenzbild viel mehr; &#x2014; ebenda fünf schwebende Putten<lb/>
auf Wolken. &#x2014; Ein herrliches Altarbild, S. Catharina mit S. Seba-<note place="right">b</note><lb/>
stian und S. Rochus, in S. Giovanni Elemosinario (Cap. rechts vom<lb/>
Chor). &#x2014; Mehreres in S. Rocco. &#x2014; In den Angeli zu Murano: das<note place="right">c</note><lb/>
Hochaltarbild (?). &#x2014; Im Pal. Manfrin: Vermählung Mariä, und: Be-<note place="right">d</note><lb/>
schneidung, Halbfigurenbilder von so blasser und allgemeiner Behand-<lb/>
lung, dass man sie dem P. kaum zutrauen mag. &#x2014; Im Pal. Doria zu<note place="right">e</note><lb/>
Rom: die Tochter des Herodes mit ihrer Magd, ein herrliches, leid-<lb/>
lich erhaltenes Halbfigurenbild; sie ist von der hohen venezianischen<lb/>
Schönheit, dabei klug und kalt, auch das Haupt des Täufers höchst<lb/>
edel venezianisch. &#x2014; Im Pal. Pitti: eine santa conversazione in Halb-<note place="right">f</note><lb/>
figuren, von höchster Pracht und Harmonie der Farbe. &#x2014; In den Uffi-<lb/>
zien: ein vorzügliches männliches Porträt, eine unförmliche Judith und<note place="right">g</note><lb/>
eine improvisirte, in den Formen ziemlich stumpfe, aber gluthfarbige<lb/>
Bekehrung des Paulus (Breitbild).</p><lb/>
        <p>Giov. Antonio&#x2019;s Bruder oder Verwandter <hi rendition="#g">Bernardino da Por-<lb/>
denone</hi> scheint der Urheber mehrerer Familienbilder zu sein, welche<lb/>
einen Künstler (Bildhauer oder Maler? &#x2014; vielleicht den Giov. Anto-<lb/>
nio?) umgeben von seinen Angehörigen und Schülern darstellen; eines<lb/>
im Pal. Borghese zu Rom, eines im Pal. Manfrin, ein drittes in Eng-<note place="right">h</note><lb/>
land; das erstgenannte ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Vor-<lb/>
bild dieser Gattung. &#x2014; Sein bestes Altarbild, eine thronende Madonna<note place="right">i</note><lb/>
mit Heiligen, meist Mönchen, in den Frari, erste Cap. links vom<lb/>
Chor; ohne besondern Adel des Gedankens oder des Ausdruckes ein<lb/>
Kleinod durch Farbenpracht und Lebensfülle; &#x2014; auch ein Halbfiguren-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[981/1003] Romanino etc. Die beiden Pordenone. höhere geistige Bedeutung an irgend einem Vorgange hervorzuheben, war wohl so wenig seine Sache als die der Schule überhaupt, allein er ist ganz besonders frisch und lebendig in der Auffassung des äus- sern Lebens und hat in der Carnation, zumal wo sie im Helldunkel erscheint, eine solche eigenthümliche warme Weichheit (morbidezza, Mürbheit) wie kein Anderer der Schule. — Sein Hauptwerk in Ve- nedig (Academie), S. Lorenzo Giustiniani von andern Heiligen und Ordensbrüdern umgeben, hat wohl eine etwas gesuchte Dramatik; die santa conversazione sieht trotz aller Blicke und Gesten danach aus, als wüssten die Leute nicht recht, was sie einander zu sagen haben; — eine Madonna mit Heiligen (ebenda) befriedigt als reines und sehr schönes Existenzbild viel mehr; — ebenda fünf schwebende Putten auf Wolken. — Ein herrliches Altarbild, S. Catharina mit S. Seba- stian und S. Rochus, in S. Giovanni Elemosinario (Cap. rechts vom Chor). — Mehreres in S. Rocco. — In den Angeli zu Murano: das Hochaltarbild (?). — Im Pal. Manfrin: Vermählung Mariä, und: Be- schneidung, Halbfigurenbilder von so blasser und allgemeiner Behand- lung, dass man sie dem P. kaum zutrauen mag. — Im Pal. Doria zu Rom: die Tochter des Herodes mit ihrer Magd, ein herrliches, leid- lich erhaltenes Halbfigurenbild; sie ist von der hohen venezianischen Schönheit, dabei klug und kalt, auch das Haupt des Täufers höchst edel venezianisch. — Im Pal. Pitti: eine santa conversazione in Halb- figuren, von höchster Pracht und Harmonie der Farbe. — In den Uffi- zien: ein vorzügliches männliches Porträt, eine unförmliche Judith und eine improvisirte, in den Formen ziemlich stumpfe, aber gluthfarbige Bekehrung des Paulus (Breitbild). a b c d e f g Giov. Antonio’s Bruder oder Verwandter Bernardino da Por- denone scheint der Urheber mehrerer Familienbilder zu sein, welche einen Künstler (Bildhauer oder Maler? — vielleicht den Giov. Anto- nio?) umgeben von seinen Angehörigen und Schülern darstellen; eines im Pal. Borghese zu Rom, eines im Pal. Manfrin, ein drittes in Eng- land; das erstgenannte ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Vor- bild dieser Gattung. — Sein bestes Altarbild, eine thronende Madonna mit Heiligen, meist Mönchen, in den Frari, erste Cap. links vom Chor; ohne besondern Adel des Gedankens oder des Ausdruckes ein Kleinod durch Farbenpracht und Lebensfülle; — auch ein Halbfiguren- h i

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1003
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 981. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1003>, abgerufen am 26.05.2024.