Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] cobi, Langbein, Matthison, Ramler, C. Schmidt, Schiller, *) Schubart, Stäudlin, Stollberg, Voß und - o verzeihet, oder vielmehr dankt mir, daß ich nicht euch allen das Herzeleid anthue, euch hier zu nennen! Denn euch alle erblickt der reife und vollkommene Astralgeist so tief unter mir, als ich selbst seiner Meinung nach bisher noch unter dem höchsten Schönen geblieben bin. Welchen Erdensohn muß nicht Schwindel befallen bey solcher höchsten Höhe der Schönheit, und des neben ihr schwebenden Kunstgeistes! -

Meine Elegie, als Molly sich losreißen wollte, so werden wir weiter belehrt, gehört zu meinen mattesten Producten. Ganz einleuchtend thun dieses schon die kaum zur Hälfte ausgezogenen dicta probantia dar, ohne daß es nöthig gewesen wäre, nur noch ein Wort darüber zu verlieren. Merkt es euch, ihr vielen rohen, unreifen, unvollendeten Männer- und Weiberseelen, die ihr euch von den Naturtönen dieses Liedes so innig durchdringen, so tief rühren ließet! Ihr steht betäubt, und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde ich ja nun wohl auch dieß Lied müssen. -

Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und euerm Oberrichter, daß euer so hoch gepriesenes Blümchen Wunderhold, frey heraus gesagt, Tändeley ist! Und was alsdann anders, als alberne Tändeley? -

Priester und Laien, durch Horazens: Si vis me flere - verführt, glaubten bisher immer, die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich seyn. Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber weiß es besser. Idealisirt - ja, idealisirt! - müssen sie seyn. O Engel, Garve, Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbey, diesen wundersamen aus Ariosts Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! - Ha, daß nicht die Lessing, die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn so unnachahmlich schön in den meisten Diction und Versbau ist, so poetisch sie gesungen sind, so unpoetisch sind sie empfunden! Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich hat sich der Kunstgeist darinn weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens Wunderhold gefallen. Deß hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht meine, nicht irgend eines sublunarischen Menschen wahre, natürliche, eigenthümliche, sondern idealisirte, das ist, keines sterblichen Menschen Empfindungen - Abstractionen - man denke! - Abstractionen von Empfindungen müßten jene Gedichte enthalten, wenn sie etwas werth seyn sollten. - O Petrarca, Petrarca, der du eigenthümlicher, als je Einer, sangest, was du eigenthümlicher, als je Einer, für deine Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du Jahr-[Spaltenumbruch] hunderte durchstraltest, wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? - Bey dem allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er behauptet, daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sey. - -

Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen ästhetischen Publicum zu - merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste gedruckte Wort über irgend eine Recension meiner Werke. Aber bey dieser muß es mir selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gutgeheißen werden, wenn ich den Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzutheilen, und so eine Menge Widersprüche aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders wünschte ich dem Begriffe einer idealisirten Empfindung, diesem mirabili dictu, nur eine einzige interessante Anschauung aus irgend einem alten oder neuen, einheimischen oder fremden Dichter, der das mirabile so recht getroffen hätte, untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine Academie der schönen Redekünste an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt bin, so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, so gar auf eigenem Grund und Boden, mich zum Ecce homo machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner Producte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser Recension das Ansehn gewinnet.

Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Muth genug in mir gefühlt hätte, einem alten Günstlinge des Publicums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich - ja, ich würde auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visir aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde. Wohlan denn! Gestrenge und vermuthlich eben so tapfere Maske, ich bitte dich, wer bist du? Ich frage nicht deßwegen, um nur meine und des Publicums eitle Neugier zu befriedigen. Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurtheiler und seinen vermuthlich ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. - Vielleicht, sag ich? Nein, er hat zuverlässig keine! Er ist kein Künstler, er ist ein Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Fantome, als idealisirte Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zuthun in einer solchen Recension das Todesurtheil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein Meisterstück nennen und keinem geringern, als einem Engel oder Schiller beylegen höre. Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern Gift zubereiten wollen, so würden sie es so thun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht enthüllte,[Ende Spaltensatz]

*) In seinen lyrischen Producten.

[Beginn Spaltensatz] cobi, Langbein, Matthison, Ramler, C. Schmidt, Schiller, *) Schubart, Stäudlin, Stollberg, Voß und – o verzeihet, oder vielmehr dankt mir, daß ich nicht euch allen das Herzeleid anthue, euch hier zu nennen! Denn euch alle erblickt der reife und vollkommene Astralgeist so tief unter mir, als ich selbst seiner Meinung nach bisher noch unter dem höchsten Schönen geblieben bin. Welchen Erdensohn muß nicht Schwindel befallen bey solcher höchsten Höhe der Schönheit, und des neben ihr schwebenden Kunstgeistes! –

Meine Elegie, als Molly sich losreißen wollte, so werden wir weiter belehrt, gehört zu meinen mattesten Producten. Ganz einleuchtend thun dieses schon die kaum zur Hälfte ausgezogenen dicta probantia dar, ohne daß es nöthig gewesen wäre, nur noch ein Wort darüber zu verlieren. Merkt es euch, ihr vielen rohen, unreifen, unvollendeten Männer- und Weiberseelen, die ihr euch von den Naturtönen dieses Liedes so innig durchdringen, so tief rühren ließet! Ihr steht betäubt, und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde ich ja nun wohl auch dieß Lied müssen. –

Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und euerm Oberrichter, daß euer so hoch gepriesenes Blümchen Wunderhold, frey heraus gesagt, Tändeley ist! Und was alsdann anders, als alberne Tändeley? –

Priester und Laien, durch Horazens: Si vis me flere – verführt, glaubten bisher immer, die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich seyn. Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber weiß es besser. Idealisirt – ja, idealisirt! – müssen sie seyn. O Engel, Garve, Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbey, diesen wundersamen aus Ariosts Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! – Ha, daß nicht die Lessing, die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn so unnachahmlich schön in den meisten Diction und Versbau ist, so poëtisch sie gesungen sind, so unpoëtisch sind sie empfunden! Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich hat sich der Kunstgeist darinn weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens Wunderhold gefallen. Deß hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht meine, nicht irgend eines sublunarischen Menschen wahre, natürliche, eigenthümliche, sondern idealisirte, das ist, keines sterblichen Menschen Empfindungen – Abstractionen – man denke! – Abstractionen von Empfindungen müßten jene Gedichte enthalten, wenn sie etwas werth seyn sollten. – O Petrarca, Petrarca, der du eigenthümlicher, als je Einer, sangest, was du eigenthümlicher, als je Einer, für deine Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du Jahr-[Spaltenumbruch] hunderte durchstraltest, wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? – Bey dem allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er behauptet, daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sey. – –

Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen ästhetischen Publicum zu – merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste gedruckte Wort über irgend eine Recension meiner Werke. Aber bey dieser muß es mir selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gutgeheißen werden, wenn ich den Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzutheilen, und so eine Menge Widersprüche aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders wünschte ich dem Begriffe einer idealisirten Empfindung, diesem mirabili dictu, nur eine einzige interessante Anschauung aus irgend einem alten oder neuen, einheimischen oder fremden Dichter, der das mirabile so recht getroffen hätte, untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine Academie der schönen Redekünste an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt bin, so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, so gar auf eigenem Grund und Boden, mich zum Ecce homo machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner Producte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser Recension das Ansehn gewinnet.

Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Muth genug in mir gefühlt hätte, einem alten Günstlinge des Publicums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich – ja, ich würde auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visir aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde. Wohlan denn! Gestrenge und vermuthlich eben so tapfere Maske, ich bitte dich, wer bist du? Ich frage nicht deßwegen, um nur meine und des Publicums eitle Neugier zu befriedigen. Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurtheiler und seinen vermuthlich ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. – Vielleicht, sag ich? Nein, er hat zuverlässig keine! Er ist kein Künstler, er ist ein Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Fantome, als idealisirte Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zuthun in einer solchen Recension das Todesurtheil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein Meisterstück nennen und keinem geringern, als einem Engel oder Schiller beylegen höre. Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern Gift zubereiten wollen, so würden sie es so thun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht enthüllte,[Ende Spaltensatz]

*) In seinen lyrischen Producten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle">
        <p><pb facs="#f0002"/><cb type="start" n="385"/>
cobi, Langbein, Matthison,       Ramler, C. Schmidt, Schiller, <note place="foot" n="*)">In seinen lyrischen Producten.</note> Schubart, Stäudlin, Stollberg, Voß und &#x2013; o verzeihet,   oder vielmehr dankt mir, daß ich nicht euch allen das Herzeleid anthue, euch  hier zu nennen! Denn euch alle erblickt der reife und vollkommene Astralgeist <hi rendition="#i">so tief   unter mir</hi>, als ich selbst seiner Meinung nach bisher noch <hi rendition="#i">unter dem höchsten Schönen   geblieben bin</hi>. Welchen Erdensohn muß nicht Schwindel befallen bey solcher höchsten   Höhe der Schönheit, und des neben ihr schwebenden Kunstgeistes! &#x2013;  </p><lb/>
        <p>  Meine Elegie, als Molly sich losreißen wollte, so werden wir weiter belehrt, <hi rendition="#i">gehört   zu meinen mattesten Producten</hi>. Ganz einleuchtend thun dieses schon die kaum zur Hälfte   ausgezogenen <hi rendition="#i">dicta probantia</hi> dar, ohne daß es nöthig gewesen wäre, nur noch ein Wort   darüber zu verlieren. Merkt es euch, ihr vielen rohen, unreifen, unvollendeten Männer-   und Weiberseelen, die ihr euch von den Naturtönen dieses Liedes so innig durchdringen,   so tief rühren ließet! Ihr steht betäubt, und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt   mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde   ich ja nun wohl auch dieß Lied müssen. &#x2013;  </p><lb/>
        <p>  Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir   ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und euerm Oberrichter, daß   euer so hoch gepriesenes <hi rendition="#i">Blümchen Wunderhold, frey heraus gesagt, Tändeley ist!</hi> Und   was alsdann anders, als <hi rendition="#i">alberne</hi> Tändeley? &#x2013;  </p><lb/>
        <p>  Priester und Laien, durch Horazens: <hi rendition="#i">Si vis me flere</hi> &#x2013; verführt, glaubten bisher immer,   die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich seyn.   Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl   erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber   weiß es besser. Idealisirt &#x2013; ja, idealisirt! &#x2013; müssen sie seyn. O Engel, Garve,   Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbey, diesen wundersamen aus Ariosts   Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! &#x2013; Ha, daß nicht die Lessing,   die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern   Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn <hi rendition="#i">so unnachahmlich schön in den   meisten Diction und Versbau</hi> ist, so poëtisch sie <hi rendition="#i">gesungen</hi> sind, so unpoëtisch sind   sie <hi rendition="#i">empfunden!</hi> Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich   hat sich der Kunstgeist darinn weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens   Wunderhold gefallen. Deß hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen   Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht <hi rendition="#i">meine</hi>, nicht irgend <hi rendition="#i">eines</hi> sublunarischen Menschen wahre,   natürliche, eigenthümliche, sondern <hi rendition="#i">idealisirte</hi>, das ist, <hi rendition="#i">keines</hi> sterblichen Menschen   Empfindungen &#x2013; Abstractionen &#x2013; man denke! &#x2013; Abstractionen von Empfindungen müßten jene   Gedichte enthalten, wenn sie etwas werth seyn sollten. &#x2013; O Petrarca, Petrarca, der du <hi rendition="#i">eigenthümlicher</hi>, als je Einer, sangest, was du <hi rendition="#i">eigenthümlicher</hi>, als je Einer, für deine   Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du
Jahr-<cb n="386"/>
hunderte durchstraltest,   wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? &#x2013; Bey dem   allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er   behauptet, <hi rendition="#i">daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sey</hi>. &#x2013; &#x2013;  </p><lb/>
        <p>  Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen   ästhetischen Publicum zu &#x2013; merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten   Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste   gedruckte Wort über irgend eine Recension meiner Werke. Aber bey dieser muß es mir   selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gutgeheißen werden, wenn ich den   Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo   ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzutheilen, und so eine Menge Widersprüche   aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders   wünschte ich dem Begriffe einer <hi rendition="#i">idealisirten Empfindung</hi>, diesem <hi rendition="#i">mirabili dictu</hi>,   nur eine einzige <hi rendition="#i">interessante</hi> Anschauung aus irgend einem alten oder neuen,   einheimischen oder fremden Dichter, der das <hi rendition="#i">mirabile</hi> so recht getroffen hätte,   untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine <hi rendition="#i">Academie   der schönen Redekünste</hi> an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt bin,   so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, so gar auf eigenem Grund und Boden, mich   zum <hi rendition="#i">Ecce homo</hi> machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner   Producte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser   Recension das Ansehn gewinnet.  </p><lb/>
        <p>  Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Muth genug in mir gefühlt hätte, einem alten   Günstlinge des Publicums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich &#x2013; ja, ich würde   auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visir aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde.   Wohlan denn! Gestrenge und vermuthlich eben so tapfere Maske, ich bitte dich, wer bist du?   Ich frage nicht deßwegen, um nur meine und des Publicums eitle Neugier zu befriedigen.   Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurtheiler und seinen vermuthlich   ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren   und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. &#x2013; <hi rendition="#i">Vielleicht</hi>, sag ich? Nein, er hat <hi rendition="#i">zuverlässig</hi> keine! Er ist kein Künstler, er ist ein   Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Fantome, als idealisirte   Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit   einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zuthun in einer <hi rendition="#i">solchen   Recension</hi> das Todesurtheil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein   Meisterstück nennen und keinem geringern, als einem Engel oder Schiller beylegen höre.   Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern   Gift zubereiten wollen, so würden sie es so thun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit   bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht   enthüllte,<cb type="end"/><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0002] cobi, Langbein, Matthison, Ramler, C. Schmidt, Schiller, *) Schubart, Stäudlin, Stollberg, Voß und – o verzeihet, oder vielmehr dankt mir, daß ich nicht euch allen das Herzeleid anthue, euch hier zu nennen! Denn euch alle erblickt der reife und vollkommene Astralgeist so tief unter mir, als ich selbst seiner Meinung nach bisher noch unter dem höchsten Schönen geblieben bin. Welchen Erdensohn muß nicht Schwindel befallen bey solcher höchsten Höhe der Schönheit, und des neben ihr schwebenden Kunstgeistes! – Meine Elegie, als Molly sich losreißen wollte, so werden wir weiter belehrt, gehört zu meinen mattesten Producten. Ganz einleuchtend thun dieses schon die kaum zur Hälfte ausgezogenen dicta probantia dar, ohne daß es nöthig gewesen wäre, nur noch ein Wort darüber zu verlieren. Merkt es euch, ihr vielen rohen, unreifen, unvollendeten Männer- und Weiberseelen, die ihr euch von den Naturtönen dieses Liedes so innig durchdringen, so tief rühren ließet! Ihr steht betäubt, und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde ich ja nun wohl auch dieß Lied müssen. – Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und euerm Oberrichter, daß euer so hoch gepriesenes Blümchen Wunderhold, frey heraus gesagt, Tändeley ist! Und was alsdann anders, als alberne Tändeley? – Priester und Laien, durch Horazens: Si vis me flere – verführt, glaubten bisher immer, die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich seyn. Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber weiß es besser. Idealisirt – ja, idealisirt! – müssen sie seyn. O Engel, Garve, Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbey, diesen wundersamen aus Ariosts Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! – Ha, daß nicht die Lessing, die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn so unnachahmlich schön in den meisten Diction und Versbau ist, so poëtisch sie gesungen sind, so unpoëtisch sind sie empfunden! Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich hat sich der Kunstgeist darinn weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens Wunderhold gefallen. Deß hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht meine, nicht irgend eines sublunarischen Menschen wahre, natürliche, eigenthümliche, sondern idealisirte, das ist, keines sterblichen Menschen Empfindungen – Abstractionen – man denke! – Abstractionen von Empfindungen müßten jene Gedichte enthalten, wenn sie etwas werth seyn sollten. – O Petrarca, Petrarca, der du eigenthümlicher, als je Einer, sangest, was du eigenthümlicher, als je Einer, für deine Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du Jahr- hunderte durchstraltest, wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? – Bey dem allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er behauptet, daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sey. – – Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen ästhetischen Publicum zu – merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste gedruckte Wort über irgend eine Recension meiner Werke. Aber bey dieser muß es mir selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gutgeheißen werden, wenn ich den Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzutheilen, und so eine Menge Widersprüche aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders wünschte ich dem Begriffe einer idealisirten Empfindung, diesem mirabili dictu, nur eine einzige interessante Anschauung aus irgend einem alten oder neuen, einheimischen oder fremden Dichter, der das mirabile so recht getroffen hätte, untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine Academie der schönen Redekünste an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt bin, so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, so gar auf eigenem Grund und Boden, mich zum Ecce homo machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner Producte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser Recension das Ansehn gewinnet. Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Muth genug in mir gefühlt hätte, einem alten Günstlinge des Publicums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich – ja, ich würde auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visir aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde. Wohlan denn! Gestrenge und vermuthlich eben so tapfere Maske, ich bitte dich, wer bist du? Ich frage nicht deßwegen, um nur meine und des Publicums eitle Neugier zu befriedigen. Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurtheiler und seinen vermuthlich ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. – Vielleicht, sag ich? Nein, er hat zuverlässig keine! Er ist kein Künstler, er ist ein Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Fantome, als idealisirte Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zuthun in einer solchen Recension das Todesurtheil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein Meisterstück nennen und keinem geringern, als einem Engel oder Schiller beylegen höre. Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern Gift zubereiten wollen, so würden sie es so thun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht enthüllte, *) In seinen lyrischen Producten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-09-20T12:18:30Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-09-20T12:18:30Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_antikritik_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_antikritik_1791/2
Zitationshilfe: Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_antikritik_1791/2>, abgerufen am 28.04.2024.