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Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4.

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[Beginn Spaltensatz] damit jedermann gleich beym ersten Anblick wüßte, wornach er sich in seiner fernern Geschmackscultur zu richten hätte. Denn man sage, was man wolle, in Geschmackssachen, wo nicht, wie bey Gegenständen der Verstandeserkenntniß, feste Begriffe und Formeln, sondern so manche aRReta des Gefühls das Urtheil leiten, muß auch nicht selten das bloße Ansehn eines erkannten und erklärten höhern Genies gelten, und durch sein Beyspiel Geschmacksnorm festzustellen befugt seyn. Wäre nun mein Beurtheiler kein höheres, sondern ein Kunstgenie bloß meines gleichen, so würden unsere einander entgegenstehenden Autoritäten, wie zwey gleiche unabhängige Kräfte sich wenigstens die Wage halten, und sein Geschmack müßte von dem Meinigen, wie ein Souverain von dem Andern, wo nicht mit schüchterner, doch mit bescheidener Achtung sprechen. Zeigte sichs aber gar, daß er an Kunsttalent und Cultur noch unter mir wäre - o so dürfte ja sein Geschmacksurtheil sichs noch weit weniger anmaaßen, dem Meinigen und dem Urtheile des mir gleich gebildeten und gestimmten Publicums zum herrschenden Kanon dienen zu wollen. Dann müßte er vielmehr seinen abweichenden Geschmack, den ich einen Verschmack nennen möchte, wornach er das Blümchen Wunderhold für ein unwürdiges und geistloses Symbol der Bescheidenheit erklärt, an dem Urtheile seines Erfinders und der andern gebildeten Geister, denen es nicht also vorkommt, bescheiden und demuthsvoll zu berichtigen, und also seinen Verschmack in Geschmack umzubilden suchen. So viel kommt also darauf an, zu wissen, wessen die Stimme sey, die so anmaßend hinter dem Vorhange hervortönet! -

Ich muß hier, wiewohl ungern, abbrechen; hoffe aber sowohl diesen, als auch andern Recensenten, nächstens in der Academie, wo es wohlfeiler zehren für mich ist, als hier, reichlicher zu bewirthen. Denn ich bin Willens, etwas über mich selbst und meine Werke, nicht mir, sondern der Kunst zu Liebe, zu schreiben.



Bey dieser Gelegenheit muß ich auch anzeigen, daß noch nicht der vierte Theil der ohnehin so wenigen und kaum hinlänglichen Subscribenten auf die ausserordentliche Ausgabe meiner Gedichte die Pränumerations Pistolette eingesandt hat. Wie kann ich denn also wagen, das Werk zu unternehmen, oder, wie ichs wünschte, schon nächste Ostermesse zu liefern. Noch einmal und zum letzten will ich den Termin bis Ende May d.J. hinaussetzen, und wenn bis dahin nicht wenigstens so viel baar einkommt, daß ich vor beträchtlicherm Schaden gesichert bin, so will ich alsdann lieber den geringern, wiewohl für mich auch nicht unerheblichen Verlust an Insertions- und Portokosten über mich ergehen lassen, und jedem sein eingesandtes Geld wieder zurückschicken. Das Schicksal meiner Gedichte sey hernach, welches es wolle. Mich gehen sie weiter nichts an.

[irrelevantes Material - 6 Zeilen fehlen][Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] damit jedermann gleich beym ersten Anblick wüßte, wornach er sich in seiner fernern Geschmackscultur zu richten hätte. Denn man sage, was man wolle, in Geschmackssachen, wo nicht, wie bey Gegenständen der Verstandeserkenntniß, feste Begriffe und Formeln, sondern so manche ἀῤῥητα des Gefühls das Urtheil leiten, muß auch nicht selten das bloße Ansehn eines erkannten und erklärten höhern Genies gelten, und durch sein Beyspiel Geschmacksnorm festzustellen befugt seyn. Wäre nun mein Beurtheiler kein höheres, sondern ein Kunstgenie bloß meines gleichen, so würden unsere einander entgegenstehenden Autoritäten, wie zwey gleiche unabhängige Kräfte sich wenigstens die Wage halten, und sein Geschmack müßte von dem Meinigen, wie ein Souverain von dem Andern, wo nicht mit schüchterner, doch mit bescheidener Achtung sprechen. Zeigte sichs aber gar, daß er an Kunsttalent und Cultur noch unter mir wäre – o so dürfte ja sein Geschmacksurtheil sichs noch weit weniger anmaaßen, dem Meinigen und dem Urtheile des mir gleich gebildeten und gestimmten Publicums zum herrschenden Kanon dienen zu wollen. Dann müßte er vielmehr seinen abweichenden Geschmack, den ich einen Verschmack nennen möchte, wornach er das Blümchen Wunderhold für ein unwürdiges und geistloses Symbol der Bescheidenheit erklärt, an dem Urtheile seines Erfinders und der andern gebildeten Geister, denen es nicht also vorkommt, bescheiden und demuthsvoll zu berichtigen, und also seinen Verschmack in Geschmack umzubilden suchen. So viel kommt also darauf an, zu wissen, wessen die Stimme sey, die so anmaßend hinter dem Vorhange hervortönet! –

Ich muß hier, wiewohl ungern, abbrechen; hoffe aber sowohl diesen, als auch andern Recensenten, nächstens in der Academie, wo es wohlfeiler zehren für mich ist, als hier, reichlicher zu bewirthen. Denn ich bin Willens, etwas über mich selbst und meine Werke, nicht mir, sondern der Kunst zu Liebe, zu schreiben.



Bey dieser Gelegenheit muß ich auch anzeigen, daß noch nicht der vierte Theil der ohnehin so wenigen und kaum hinlänglichen Subscribenten auf die ausserordentliche Ausgabe meiner Gedichte die Pränumerations Pistolette eingesandt hat. Wie kann ich denn also wagen, das Werk zu unternehmen, oder, wie ichs wünschte, schon nächste Ostermesse zu liefern. Noch einmal und zum letzten will ich den Termin bis Ende May d.J. hinaussetzen, und wenn bis dahin nicht wenigstens so viel baar einkommt, daß ich vor beträchtlicherm Schaden gesichert bin, so will ich alsdann lieber den geringern, wiewohl für mich auch nicht unerheblichen Verlust an Insertions- und Portokosten über mich ergehen lassen, und jedem sein eingesandtes Geld wieder zurückschicken. Das Schicksal meiner Gedichte sey hernach, welches es wolle. Mich gehen sie weiter nichts an.

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Zitationshilfe: Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_antikritik_1791/3>, abgerufen am 05.05.2024.