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Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4.

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Vorläufige Antikritik und Anzeige.

Das Urtheil über mich und meine Gedichte in der A. L. Z. Nro. 13. und 14. von d. J. muß meine und meines ganzen Publicums Aufmerksamkeit ganz vorzüglich erwecken. Denn mit der ehrwürdigen Miene des gründlichsten Tiefsinns, der geübtesten Urtheilskraft, des raffinirtesten Geschmacks, kurz, mit der ganzen Herren- und Meistergeberde, vor welcher selbst der kühnste Geist des Widerspruches andachtsvoll verstummen möchte, strebt sein Verfasser darzuthun, daß wir uns seit zwanzig Jahren sehr übel geirret haben.

Ich meines Theils wußte nun zwar längst, und werde es in keinem Moment meines Lebens vergessen, daß weder ich selbst ein gereifter und vollendeter Geist bin, noch daß ich einen solchen in meinen Werken ausgeprägt habe. Denn wie könnte mir wohl die triviale Wahrheit entfallen, daß kein endlicher Geist jemals zur Vollendung ausreife? Dennoch glaubte ich, mein Geist, und wenigstens einige seiner Früchte, wären wohl so weit emporgediehen, um von dem reifern Ausschusse absolut unreifer und unvollendeter Geister, wie unterm Monde wir alle sind, ohne Mundverziehung genossen werden zu können. Das aber war grober Irrthum. Man muß, möglich oder nicht möglich, man muß ein reifer und vollendeter Geist seyn, und nur reife, vollendete Producte liefern. Ich aber - ach! Selbst für die Unreifen bin ich noch lange nicht reif genug.

Weit ärger noch, als ich, war mein großgünstiges Publicum von Irrthum befangen. Denn dieses hielt fast durchgehends meinen Genius für ein viel höheres Wesen, als ich selbst, sogar in den Stunden des jugendlichsten Dünkelrausches, ihn jemals zu halten vermochte;
[Spaltenumbruch] und wahrlich! an weit mehrern seiner Producte, als mir lieb war, hatte es sein überaus großes Wohlgefallen. Mit Schaam und Unzufriedenheit erfüllte mich öfters dieser Glaube, dieser Feyertanz um manche meiner Pagoden. Nicht ohne Besorgniß dachte ich daher an die Miene, mit welcher es wohl aufgenommen werden dürfte, wenn ich ihm bey einer neuen strengern Musterung wenigstens seine unwürdigsten Lieblingspuppen entziehen müßte. Jetzt thäte es Noth, ich entzöge ihm sogar die wohlgerathensten Gestalten.

Denn siehe, aus einer höhern Sfäre ist ein reifer und vollkommener Kunstgeist auf die allgemeine Lit. Zeitung heruntergestiegen; aus einer Sfäre, wo die Poesieströme lieblich flöten; aus einer Sfäre, wo die jugendlichen Blüthen des Geistes in der Fruchtzeit nicht absterben, das ist, wo das Vorhergehende und Nachfolgende als Eins und in Einem Zeitmoment gedacht, und im Bilde angeschaut werden kann; aus einer Sfäre, wo man nicht so genau und bestimmt als hienieden sich auszudrücken braucht, und die Redensarten, etwas mit einem einzigen Schönheitsgenuß - oder Schönheitsverlust erkaufen, als Synonyme verwechseln darf; aus einer Sfäre, wo ein verjüngendes Licht eben so gut, als eine verjüngende Wärme der Erstarrung eines frühzeitigen Alters wehret; aus einer Sfäre, wo die menschlichen Geisteskräfte vereinzelt und getrennt wirken; wo die Poesie die Sitten, den Character, und die ganze Weisheit ihrer Zeit, geläutert und veredelt, in ihren Spiegel sammelt; mit einem Wort, aus einer Sfäre, wo man nach ganz andern Gesetzen denkt, anschaut, empfindet, combinirt, tropisirt, bildert, bezeichnet, als wir unreifen unvollendeten Geister hierunten zu thun uns für schuldig erachten. Diesem Herabgestiegenen geziemt es, kraft obiger statistischen Nachrichten, unverzagt zu behaupten, daß er unter allen Bürgerischen Gedichten, selbst den am reichlichsten ausgesteuerten, keines zu nennen wisse, das ihm einen durchaus reinen, durch gar kein Mißfallen erkauften Genuß gewährt habe. Ein langes Register von Ursachen ist unmittelbar hierauf dargelegt. Ich bitte, man vergleiche dieß doch mit der obigen Statistik. -

Zu unserer nicht geringen Verwunderung erfahren wir samt und sonders, was bisher weder ich selbst mir, noch vollends mein ganzes verblendetes Publicum sich, träumen ließ, daß ich nicht bloß - ein unreifer unvollendeter Dichter? - o wenn es das nur wäre! - nein, daß ich ganz und gar kein Dichter bin, daß ich diesen Nahmen gar nicht verdiene. - Man glaubt hier doch nicht etwa, daß ich den Kunstgeist nur schikanire? Bewahre! hier ist der Beweis: Eins der ersten Erfodernisse des Dichters ist Idealisirung, Veredlung (ob dieß wohl Synonyme seyn sollen? -) ohne welche er aufhört, seinen Nahmen zu verdienen. Nun aber vermißt man bey mir diese Idealisirkunst. Also! -

Vermöge dieses Mangels bin ich nun freylich schon so viel, als gar nichts. Aber wie noch weit weniger als nichts, müsset nicht vollends Ihr seyn, meine geliebten und hochverehrten Brüder im Apollo, die ihr mit mir um den lyrischen Lorbeerkranz ringet! Ihr, Asmus, Blumauer, Gleim, Goeckingk, Göthe, *) Herder, Ja-[Ende Spaltensatz]

*) Im 8. Bande seiner Schriften.
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Vorläufige Antikritik und Anzeige.

Das Urtheil über mich und meine Gedichte in der A. L. Z. Nro. 13. und 14. von d. J. muß meine und meines ganzen Publicums Aufmerksamkeit ganz vorzüglich erwecken. Denn mit der ehrwürdigen Miene des gründlichsten Tiefsinns, der geübtesten Urtheilskraft, des raffinirtesten Geschmacks, kurz, mit der ganzen Herren- und Meistergeberde, vor welcher selbst der kühnste Geist des Widerspruches andachtsvoll verstummen möchte, strebt sein Verfasser darzuthun, daß wir uns seit zwanzig Jahren sehr übel geirret haben.

Ich meines Theils wußte nun zwar längst, und werde es in keinem Moment meines Lebens vergessen, daß weder ich selbst ein gereifter und vollendeter Geist bin, noch daß ich einen solchen in meinen Werken ausgeprägt habe. Denn wie könnte mir wohl die triviale Wahrheit entfallen, daß kein endlicher Geist jemals zur Vollendung ausreife? Dennoch glaubte ich, mein Geist, und wenigstens einige seiner Früchte, wären wohl so weit emporgediehen, um von dem reifern Ausschusse absolut unreifer und unvollendeter Geister, wie unterm Monde wir alle sind, ohne Mundverziehung genossen werden zu können. Das aber war grober Irrthum. Man muß, möglich oder nicht möglich, man muß ein reifer und vollendeter Geist seyn, und nur reife, vollendete Producte liefern. Ich aber – ach! Selbst für die Unreifen bin ich noch lange nicht reif genug.

Weit ärger noch, als ich, war mein großgünstiges Publicum von Irrthum befangen. Denn dieses hielt fast durchgehends meinen Genius für ein viel höheres Wesen, als ich selbst, sogar in den Stunden des jugendlichsten Dünkelrausches, ihn jemals zu halten vermochte;
[Spaltenumbruch] und wahrlich! an weit mehrern seiner Producte, als mir lieb war, hatte es sein überaus großes Wohlgefallen. Mit Schaam und Unzufriedenheit erfüllte mich öfters dieser Glaube, dieser Feyertanz um manche meiner Pagoden. Nicht ohne Besorgniß dachte ich daher an die Miene, mit welcher es wohl aufgenommen werden dürfte, wenn ich ihm bey einer neuen strengern Musterung wenigstens seine unwürdigsten Lieblingspuppen entziehen müßte. Jetzt thäte es Noth, ich entzöge ihm sogar die wohlgerathensten Gestalten.

Denn siehe, aus einer höhern Sfäre ist ein reifer und vollkommener Kunstgeist auf die allgemeine Lit. Zeitung heruntergestiegen; aus einer Sfäre, wo die Poesieströme lieblich flöten; aus einer Sfäre, wo die jugendlichen Blüthen des Geistes in der Fruchtzeit nicht absterben, das ist, wo das Vorhergehende und Nachfolgende als Eins und in Einem Zeitmoment gedacht, und im Bilde angeschaut werden kann; aus einer Sfäre, wo man nicht so genau und bestimmt als hienieden sich auszudrücken braucht, und die Redensarten, etwas mit einem einzigen Schönheitsgenuß – oder Schönheitsverlust erkaufen, als Synonyme verwechseln darf; aus einer Sfäre, wo ein verjüngendes Licht eben so gut, als eine verjüngende Wärme der Erstarrung eines frühzeitigen Alters wehret; aus einer Sfäre, wo die menschlichen Geisteskräfte vereinzelt und getrennt wirken; wo die Poësie die Sitten, den Character, und die ganze Weisheit ihrer Zeit, geläutert und veredelt, in ihren Spiegel sammelt; mit einem Wort, aus einer Sfäre, wo man nach ganz andern Gesetzen denkt, anschaut, empfindet, combinirt, tropisirt, bildert, bezeichnet, als wir unreifen unvollendeten Geister hierunten zu thun uns für schuldig erachten. Diesem Herabgestiegenen geziemt es, kraft obiger statistischen Nachrichten, unverzagt zu behaupten, daß er unter allen Bürgerischen Gedichten, selbst den am reichlichsten ausgesteuerten, keines zu nennen wisse, das ihm einen durchaus reinen, durch gar kein Mißfallen erkauften Genuß gewährt habe. Ein langes Register von Ursachen ist unmittelbar hierauf dargelegt. Ich bitte, man vergleiche dieß doch mit der obigen Statistik. –

Zu unserer nicht geringen Verwunderung erfahren wir samt und sonders, was bisher weder ich selbst mir, noch vollends mein ganzes verblendetes Publicum sich, träumen ließ, daß ich nicht bloß – ein unreifer unvollendeter Dichter? – o wenn es das nur wäre! – nein, daß ich ganz und gar kein Dichter bin, daß ich diesen Nahmen gar nicht verdiene. – Man glaubt hier doch nicht etwa, daß ich den Kunstgeist nur schikanire? Bewahre! hier ist der Beweis: Eins der ersten Erfodernisse des Dichters ist Idealisirung, Veredlung (ob dieß wohl Synonyme seyn sollen? –) ohne welche er aufhört, seinen Nahmen zu verdienen. Nun aber vermißt man bey mir diese Idealisirkunst. Also!

Vermöge dieses Mangels bin ich nun freylich schon so viel, als gar nichts. Aber wie noch weit weniger als nichts, müsset nicht vollends Ihr seyn, meine geliebten und hochverehrten Brüder im Apollo, die ihr mit mir um den lyrischen Lorbeerkranz ringet! Ihr, Asmus, Blumauer, Gleim, Goeckingk, Göthe, *) Herder, Ja-[Ende Spaltensatz]

*) Im 8. Bande seiner Schriften.
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        <p> Das Urtheil über mich und meine Gedichte in der  A. L. Z. Nro. 13. und 14. von d. J.<note type="editorial"><bibl>Schiller, Friedrich: Göttingen, b. Dieterich: Gedichte von G. A. Bürger. Mit Kupfern. 1789. Erster Theil. 272 S. Zweyter Theil. 296 S. 8. (1 Rthlr. 16 gr.). Jena, 1791.</bibl><ref target="https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00056019/ALZ_1791_Bd1u2_050.tif">Online verfügbar: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Journals@UrMEL, abgerufen am 20.09.2018.</ref></note>   muß meine und meines ganzen Publicums Aufmerksamkeit ganz vorzüglich erwecken.   Denn mit der ehrwürdigen Miene des gründlichsten Tiefsinns, der geübtesten Urtheilskraft,   des raffinirtesten Geschmacks, kurz, mit der ganzen Herren- und Meistergeberde,   vor welcher selbst der kühnste Geist des Widerspruches andachtsvoll verstummen möchte,   strebt sein Verfasser darzuthun,  daß wir uns seit zwanzig Jahren sehr übel geirret haben.  </p><lb/>
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Zitationshilfe: Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_antikritik_1791/1>, abgerufen am 28.03.2024.