es schlimmer geworden, weil ferner das dynastische Gefühl in Preußen, Sachsen und Hannover naturgemäß stärker war, als in den, größtentheils erst durch Napoleon in ihren gegen- wärtigen Grenzen aufgerichteten Staaten des Südens, darum ist es auch klar, warum die Opposition des Volkes gegen die neue Ordnung am Main und Rhein stärker war, als an der Elbe und Weser, warum sie hier mindestens die Erfül- lung jenes vielerwähnten Artikel XIII der Bundesacte, die Gewährung einer landständischen Verfassung erzwang, während in Norddeutschland auch diese feierliche Verheißung unerfüllt blieb. So erklärt es sich ferner, warum die Volksbewegung in Süddeutschland nur in den ersten Jahren nach der Re- stauration einen ausgeprägt nationalen Charakter trug, von da ab jedoch immer demokratischer wurde, so daß hier von Jahr zu Jahr mehr die Frage der Freiheit gegen jene der Einheit in den Wünschen und Strebungen des Volkes in den Vordergrund trat.
Nirgendwo läßt sich diese Entwickelung im Besonderen deutlicher nachweisen, als in jenem Staate, mit dem wir uns ohnehin vornehmlich beschäftigen müssen, dem Großherzog- thum Hessen. Sein Beherrscher, Ludwig I. hatte sich seit seinem Regierungsantritt (1806) vielfach als Anhänger fran- zösischen Wesens und Vertreter eines aufgeklärten Absolutis- mus erwiesen; dem Rheinbund war er ein eifriges Mitglied, und während er einerseits die alte ständische Verfassung kurz- weg abschaffte, hob er andrerseits spontan die Leibeigenschaft und einzelne Privilegien des Adels auf. Das sicherte ihm eine gewisse Popularität, welche freilich nach 1815 rasch verflog: durch seine französischen Sympathien trat er zu den nationalen, durch seinen Absolutismus zu den liberalen
es ſchlimmer geworden, weil ferner das dynaſtiſche Gefühl in Preußen, Sachſen und Hannover naturgemäß ſtärker war, als in den, größtentheils erſt durch Napoleon in ihren gegen- wärtigen Grenzen aufgerichteten Staaten des Südens, darum iſt es auch klar, warum die Oppoſition des Volkes gegen die neue Ordnung am Main und Rhein ſtärker war, als an der Elbe und Weſer, warum ſie hier mindeſtens die Erfül- lung jenes vielerwähnten Artikel XIII der Bundesacte, die Gewährung einer landſtändiſchen Verfaſſung erzwang, während in Norddeutſchland auch dieſe feierliche Verheißung unerfüllt blieb. So erklärt es ſich ferner, warum die Volksbewegung in Süddeutſchland nur in den erſten Jahren nach der Re- ſtauration einen ausgeprägt nationalen Charakter trug, von da ab jedoch immer demokratiſcher wurde, ſo daß hier von Jahr zu Jahr mehr die Frage der Freiheit gegen jene der Einheit in den Wünſchen und Strebungen des Volkes in den Vordergrund trat.
Nirgendwo läßt ſich dieſe Entwickelung im Beſonderen deutlicher nachweiſen, als in jenem Staate, mit dem wir uns ohnehin vornehmlich beſchäftigen müſſen, dem Großherzog- thum Heſſen. Sein Beherrſcher, Ludwig I. hatte ſich ſeit ſeinem Regierungsantritt (1806) vielfach als Anhänger fran- zöſiſchen Weſens und Vertreter eines aufgeklärten Abſolutis- mus erwieſen; dem Rheinbund war er ein eifriges Mitglied, und während er einerſeits die alte ſtändiſche Verfaſſung kurz- weg abſchaffte, hob er andrerſeits ſpontan die Leibeigenſchaft und einzelne Privilegien des Adels auf. Das ſicherte ihm eine gewiſſe Popularität, welche freilich nach 1815 raſch verflog: durch ſeine franzöſiſchen Sympathien trat er zu den nationalen, durch ſeinen Abſolutismus zu den liberalen
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[LXXIV/0090]
es ſchlimmer geworden, weil ferner das dynaſtiſche Gefühl
in Preußen, Sachſen und Hannover naturgemäß ſtärker war,
als in den, größtentheils erſt durch Napoleon in ihren gegen-
wärtigen Grenzen aufgerichteten Staaten des Südens, darum
iſt es auch klar, warum die Oppoſition des Volkes gegen die
neue Ordnung am Main und Rhein ſtärker war, als an
der Elbe und Weſer, warum ſie hier mindeſtens die Erfül-
lung jenes vielerwähnten Artikel XIII der Bundesacte, die
Gewährung einer landſtändiſchen Verfaſſung erzwang, während
in Norddeutſchland auch dieſe feierliche Verheißung unerfüllt
blieb. So erklärt es ſich ferner, warum die Volksbewegung
in Süddeutſchland nur in den erſten Jahren nach der Re-
ſtauration einen ausgeprägt nationalen Charakter trug, von
da ab jedoch immer demokratiſcher wurde, ſo daß hier von
Jahr zu Jahr mehr die Frage der Freiheit gegen jene der
Einheit in den Wünſchen und Strebungen des Volkes in den
Vordergrund trat.
Nirgendwo läßt ſich dieſe Entwickelung im Beſonderen
deutlicher nachweiſen, als in jenem Staate, mit dem wir uns
ohnehin vornehmlich beſchäftigen müſſen, dem Großherzog-
thum Heſſen. Sein Beherrſcher, Ludwig I. hatte ſich ſeit
ſeinem Regierungsantritt (1806) vielfach als Anhänger fran-
zöſiſchen Weſens und Vertreter eines aufgeklärten Abſolutis-
mus erwieſen; dem Rheinbund war er ein eifriges Mitglied,
und während er einerſeits die alte ſtändiſche Verfaſſung kurz-
weg abſchaffte, hob er andrerſeits ſpontan die Leibeigenſchaft
und einzelne Privilegien des Adels auf. Das ſicherte ihm
eine gewiſſe Popularität, welche freilich nach 1815 raſch
verflog: durch ſeine franzöſiſchen Sympathien trat er zu
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/90>, abgerufen am 25.11.2024.
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