worden wären, selbst wenn man dem Wiener Congreß nicht die Carlsbader Beschlüsse hätte folgen lassen -- im deutschen Volke wäre doch immer der Groll der Enttäuschung wach geblieben und der patriotische Schmerz, seine besten Hoff- nungen begraben zu sehen. Wer jenen Strom politischer Strebungen, auf dessen Wogen wir nun auch unsern Dichter werden dahintreiben sehen, verfolgt, wird nie vergessen dürfen, daß es Strebungen von Männern waren, welche in ihrer Jünglingszeit um die Erfüllung, nicht blos ihrer Ideale, sondern auch ihrer berechtigten Erwartungen betrogen worden, und von Jünglingen, welche in der schwülen, gewitterschweren Luft eines mißvergnügten Volkes aufgewachsen.
Wie stark diese Thatsache auch betont zu werden ver- dient, so liegt doch selbstverständlich eine nähere Betrachtung der Ereignisse und Stimmungen von 1815-1830 außer- halb des Rahmens dieser Darstellung. Nur daran sei er- innert, daß jene Enttäuschung zwar eine allgemeine war, sich aber doch in verschiedenen Landschaften verschieden stark äußerte, daß ferner im Norden mehr die Zersplitterung, im Süden mehr die Knechtung des Vaterlandes beklagt wurde. Denn während die nördlichen Stämme aus nationaler Be- geisterung für "All-Deutschland" in den "heiligen Krieg" gezogen und darum die Wiederkehr der Kleinstaaterei als schneidigste Verhöhnung ihrer Erwartungen nachfühlten, em- pfanden es die Süddeutschen, welche erst allmählig und nie in gleich starker Weise vom nationalen Enthusiasmus er- griffen worden, als das Bitterste, daß der deutsche Bund selbst jenes bescheidene Maaß bürgerlicher Freiheiten geraubt, welches der Rheinbund gebracht. Und weil man dergestalt im Norden beklagte, daß es nicht besser, im Süden aber, daß
worden wären, ſelbſt wenn man dem Wiener Congreß nicht die Carlsbader Beſchlüſſe hätte folgen laſſen — im deutſchen Volke wäre doch immer der Groll der Enttäuſchung wach geblieben und der patriotiſche Schmerz, ſeine beſten Hoff- nungen begraben zu ſehen. Wer jenen Strom politiſcher Strebungen, auf deſſen Wogen wir nun auch unſern Dichter werden dahintreiben ſehen, verfolgt, wird nie vergeſſen dürfen, daß es Strebungen von Männern waren, welche in ihrer Jünglingszeit um die Erfüllung, nicht blos ihrer Ideale, ſondern auch ihrer berechtigten Erwartungen betrogen worden, und von Jünglingen, welche in der ſchwülen, gewitterſchweren Luft eines mißvergnügten Volkes aufgewachſen.
Wie ſtark dieſe Thatſache auch betont zu werden ver- dient, ſo liegt doch ſelbſtverſtändlich eine nähere Betrachtung der Ereigniſſe und Stimmungen von 1815-1830 außer- halb des Rahmens dieſer Darſtellung. Nur daran ſei er- innert, daß jene Enttäuſchung zwar eine allgemeine war, ſich aber doch in verſchiedenen Landſchaften verſchieden ſtark äußerte, daß ferner im Norden mehr die Zerſplitterung, im Süden mehr die Knechtung des Vaterlandes beklagt wurde. Denn während die nördlichen Stämme aus nationaler Be- geiſterung für "All-Deutſchland" in den "heiligen Krieg" gezogen und darum die Wiederkehr der Kleinſtaaterei als ſchneidigſte Verhöhnung ihrer Erwartungen nachfühlten, em- pfanden es die Süddeutſchen, welche erſt allmählig und nie in gleich ſtarker Weiſe vom nationalen Enthuſiasmus er- griffen worden, als das Bitterſte, daß der deutſche Bund ſelbſt jenes beſcheidene Maaß bürgerlicher Freiheiten geraubt, welches der Rheinbund gebracht. Und weil man dergeſtalt im Norden beklagte, daß es nicht beſſer, im Süden aber, daß
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[LXXIII/0089]
worden wären, ſelbſt wenn man dem Wiener Congreß nicht
die Carlsbader Beſchlüſſe hätte folgen laſſen — im deutſchen
Volke wäre doch immer der Groll der Enttäuſchung wach
geblieben und der patriotiſche Schmerz, ſeine beſten Hoff-
nungen begraben zu ſehen. Wer jenen Strom politiſcher
Strebungen, auf deſſen Wogen wir nun auch unſern Dichter
werden dahintreiben ſehen, verfolgt, wird nie vergeſſen dürfen,
daß es Strebungen von Männern waren, welche in ihrer
Jünglingszeit um die Erfüllung, nicht blos ihrer Ideale,
ſondern auch ihrer berechtigten Erwartungen betrogen worden,
und von Jünglingen, welche in der ſchwülen, gewitterſchweren
Luft eines mißvergnügten Volkes aufgewachſen.
Wie ſtark dieſe Thatſache auch betont zu werden ver-
dient, ſo liegt doch ſelbſtverſtändlich eine nähere Betrachtung
der Ereigniſſe und Stimmungen von 1815-1830 außer-
halb des Rahmens dieſer Darſtellung. Nur daran ſei er-
innert, daß jene Enttäuſchung zwar eine allgemeine war,
ſich aber doch in verſchiedenen Landſchaften verſchieden ſtark
äußerte, daß ferner im Norden mehr die Zerſplitterung, im
Süden mehr die Knechtung des Vaterlandes beklagt wurde.
Denn während die nördlichen Stämme aus nationaler Be-
geiſterung für "All-Deutſchland" in den "heiligen Krieg"
gezogen und darum die Wiederkehr der Kleinſtaaterei als
ſchneidigſte Verhöhnung ihrer Erwartungen nachfühlten, em-
pfanden es die Süddeutſchen, welche erſt allmählig und nie
in gleich ſtarker Weiſe vom nationalen Enthuſiasmus er-
griffen worden, als das Bitterſte, daß der deutſche Bund
ſelbſt jenes beſcheidene Maaß bürgerlicher Freiheiten geraubt,
welches der Rheinbund gebracht. Und weil man dergeſtalt
im Norden beklagte, daß es nicht beſſer, im Süden aber, daß
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/89>, abgerufen am 25.11.2024.
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