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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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der Natur des Mannes keine Opfer bringen konnte, die ge-
ringere, während sie viel schenken mußte, aber eben darum
immer reicher ward, je mehr sie schenkte. Diese Liebe war
die einzige Brücke zwischen den Ehegatten, und sie führte
über die breiteste, tiefste Kluft. Man weiß, wie Ernst
Büchner den Künsten, seinem Volksthum und der Freiheit
abgewendet gewesen -- seiner Gattin waren es die Leitsterne
ihres gesammten Denkens und Empfindung. Sie hatte einen
brennenden Durst nach Schönheit und feinstes Verständniß
für ihre Offenbarungen, in welcher Form immer sie ihr
nahe traten; daß sie namentlich die Dichtkunst liebte, ge-
staltete sich dadurch, daß ihr diese allein zugänglich war.
Eine feinste Nachempfinderin hatte sie in der mündlichen
Rede selbst ein reizendes Talent der Gestaltung; schriftlich
hat sie es nie versucht. So mag man es nicht überschwäng-
lich nennen, wenn ihre Freunde diese Frau, obwohl sie
nichts geschrieben, eine Dichterin nennen. Wie sie ihrem
Volksthum ergeben war, ist bereits erwähnt, hauptsächlich
deshalb liebte sie auch die Freiheit; es that ihrem patrio-
tischen Herzen wehe, daß sich dem deutschen Volke die Opfer
des "heiligen Krieges" so schlecht gelohnt. Parteiprogramme
standen ihr ferne, das Gezänk des Tages war ihr widerlich,
aber aus ihrem Patriotismus, aus ihrem Gefühl für
Menschenwürde quoll ihr stark und mächtig der Wunsch
nach einer freiheitlichen Gestaltung ihres Vaterlandes. Schon
dies zeigt uns die ganze Tiefe der Kluft zwischen diesen
beiden außergewöhnlich veranlagten Naturen; aber noch
weitere Gegensätze lassen sich hervorheben. Caroline mühte
sich sicherlich ehrlich, den wissenschaftlichen Strebungen des
Gatten mindestens in den leitenden Ideen zu folgen, aber

der Natur des Mannes keine Opfer bringen konnte, die ge-
ringere, während ſie viel ſchenken mußte, aber eben darum
immer reicher ward, je mehr ſie ſchenkte. Dieſe Liebe war
die einzige Brücke zwiſchen den Ehegatten, und ſie führte
über die breiteſte, tiefſte Kluft. Man weiß, wie Ernſt
Büchner den Künſten, ſeinem Volksthum und der Freiheit
abgewendet geweſen — ſeiner Gattin waren es die Leitſterne
ihres geſammten Denkens und Empfindung. Sie hatte einen
brennenden Durſt nach Schönheit und feinſtes Verſtändniß
für ihre Offenbarungen, in welcher Form immer ſie ihr
nahe traten; daß ſie namentlich die Dichtkunſt liebte, ge-
ſtaltete ſich dadurch, daß ihr dieſe allein zugänglich war.
Eine feinſte Nachempfinderin hatte ſie in der mündlichen
Rede ſelbſt ein reizendes Talent der Geſtaltung; ſchriftlich
hat ſie es nie verſucht. So mag man es nicht überſchwäng-
lich nennen, wenn ihre Freunde dieſe Frau, obwohl ſie
nichts geſchrieben, eine Dichterin nennen. Wie ſie ihrem
Volksthum ergeben war, iſt bereits erwähnt, hauptſächlich
deshalb liebte ſie auch die Freiheit; es that ihrem patrio-
tiſchen Herzen wehe, daß ſich dem deutſchen Volke die Opfer
des "heiligen Krieges" ſo ſchlecht gelohnt. Parteiprogramme
ſtanden ihr ferne, das Gezänk des Tages war ihr widerlich,
aber aus ihrem Patriotismus, aus ihrem Gefühl für
Menſchenwürde quoll ihr ſtark und mächtig der Wunſch
nach einer freiheitlichen Geſtaltung ihres Vaterlandes. Schon
dies zeigt uns die ganze Tiefe der Kluft zwiſchen dieſen
beiden außergewöhnlich veranlagten Naturen; aber noch
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[XV/0031] der Natur des Mannes keine Opfer bringen konnte, die ge- ringere, während ſie viel ſchenken mußte, aber eben darum immer reicher ward, je mehr ſie ſchenkte. Dieſe Liebe war die einzige Brücke zwiſchen den Ehegatten, und ſie führte über die breiteſte, tiefſte Kluft. Man weiß, wie Ernſt Büchner den Künſten, ſeinem Volksthum und der Freiheit abgewendet geweſen — ſeiner Gattin waren es die Leitſterne ihres geſammten Denkens und Empfindung. Sie hatte einen brennenden Durſt nach Schönheit und feinſtes Verſtändniß für ihre Offenbarungen, in welcher Form immer ſie ihr nahe traten; daß ſie namentlich die Dichtkunſt liebte, ge- ſtaltete ſich dadurch, daß ihr dieſe allein zugänglich war. Eine feinſte Nachempfinderin hatte ſie in der mündlichen Rede ſelbſt ein reizendes Talent der Geſtaltung; ſchriftlich hat ſie es nie verſucht. So mag man es nicht überſchwäng- lich nennen, wenn ihre Freunde dieſe Frau, obwohl ſie nichts geſchrieben, eine Dichterin nennen. Wie ſie ihrem Volksthum ergeben war, iſt bereits erwähnt, hauptſächlich deshalb liebte ſie auch die Freiheit; es that ihrem patrio- tiſchen Herzen wehe, daß ſich dem deutſchen Volke die Opfer des "heiligen Krieges" ſo ſchlecht gelohnt. Parteiprogramme ſtanden ihr ferne, das Gezänk des Tages war ihr widerlich, aber aus ihrem Patriotismus, aus ihrem Gefühl für Menſchenwürde quoll ihr ſtark und mächtig der Wunſch nach einer freiheitlichen Geſtaltung ihres Vaterlandes. Schon dies zeigt uns die ganze Tiefe der Kluft zwiſchen dieſen beiden außergewöhnlich veranlagten Naturen; aber noch weitere Gegenſätze laſſen ſich hervorheben. Caroline mühte ſich ſicherlich ehrlich, den wiſſenſchaftlichen Strebungen des Gatten mindeſtens in den leitenden Ideen zu folgen, aber

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/31>, abgerufen am 20.04.2024.