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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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solcher Gaben und Gnaden nur eben Liebenswürdigkeit zu
nennen, mag Manchem zu kärglich erscheinen, aber das hat
nur der Mißbrauch des Worts verschuldet; spricht man doch
sogar oft, unsinnig genug, von "liebenswürdiger Schwäche",
obwohl sicherlich nur starke Naturen echter Liebenswürdig-
keit fähig sind. Denn in Wahrheit gehört das Wort zu
dem Höchsten, was man von einem Menschen aussagen kann;
wahre Liebenswürdigkeit quillt uns nur bei jenen entgegen,
die sich volle Harmonie ihrer Kräfte und Strebungen er-
rungen, sie ist nur zum Theil ein Geschenk der Götter,
Sache des Naturells, ein angeborenes Talent, zum größeren
Theil ein Product inneren Kampfs und seelischer Arbeit,
der Selbstklärung. Aus je schrofferen Verhältnissen heraus
sich der Mensch solche Harmonie erringt, um so höher muß
unsere Achtung für ihn sein. Und nun denke man, wie
früh Caroline Reuß, das Mädchen mit der reichen, weichen
Seele, dem eckigen harten Gatten angetraut worden, man
denke an die engen dörflichen Verhältnisse in den ersten Tagen
ihrer Ehe! Tausende ähnlicher Frauennaturen haben in
gleicher Lage Schwung und Adel der Seele eingebüßt, viele
nur deßhalb sie bewahrt, weil das Muttergefühl läuternd und
stützend hinzutrat -- aber wie wenige haben ihren Schatz
so gemehrt, wie diese Frau! Man sagt, nur glückliche
Menschen könnten ganz gut sein -- das Beispiel Carolinens
streitet nicht dagegen, sie war glücklich, weil sie sich nie
arm fühlte in dem Gedanken, was sie entbehrte, sondern
stets reich in dem Gedanken, was ihr blieb. Und ihr blieb
viel: sie selbst und die Ausgeglichenheit ihrer Seele, dann
der blühende Kindersegen und die Liebe ihres Gatten. Frei-
lich war seine Liebe, die, von dem Willen abgesehen, nach

ſolcher Gaben und Gnaden nur eben Liebenswürdigkeit zu
nennen, mag Manchem zu kärglich erſcheinen, aber das hat
nur der Mißbrauch des Worts verſchuldet; ſpricht man doch
ſogar oft, unſinnig genug, von "liebenswürdiger Schwäche",
obwohl ſicherlich nur ſtarke Naturen echter Liebenswürdig-
keit fähig ſind. Denn in Wahrheit gehört das Wort zu
dem Höchſten, was man von einem Menſchen ausſagen kann;
wahre Liebenswürdigkeit quillt uns nur bei jenen entgegen,
die ſich volle Harmonie ihrer Kräfte und Strebungen er-
rungen, ſie iſt nur zum Theil ein Geſchenk der Götter,
Sache des Naturells, ein angeborenes Talent, zum größeren
Theil ein Product inneren Kampfs und ſeeliſcher Arbeit,
der Selbſtklärung. Aus je ſchrofferen Verhältniſſen heraus
ſich der Menſch ſolche Harmonie erringt, um ſo höher muß
unſere Achtung für ihn ſein. Und nun denke man, wie
früh Caroline Reuß, das Mädchen mit der reichen, weichen
Seele, dem eckigen harten Gatten angetraut worden, man
denke an die engen dörflichen Verhältniſſe in den erſten Tagen
ihrer Ehe! Tauſende ähnlicher Frauennaturen haben in
gleicher Lage Schwung und Adel der Seele eingebüßt, viele
nur deßhalb ſie bewahrt, weil das Muttergefühl läuternd und
ſtützend hinzutrat — aber wie wenige haben ihren Schatz
ſo gemehrt, wie dieſe Frau! Man ſagt, nur glückliche
Menſchen könnten ganz gut ſein — das Beiſpiel Carolinens
ſtreitet nicht dagegen, ſie war glücklich, weil ſie ſich nie
arm fühlte in dem Gedanken, was ſie entbehrte, ſondern
ſtets reich in dem Gedanken, was ihr blieb. Und ihr blieb
viel: ſie ſelbſt und die Ausgeglichenheit ihrer Seele, dann
der blühende Kinderſegen und die Liebe ihres Gatten. Frei-
lich war ſeine Liebe, die, von dem Willen abgeſehen, nach

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[XIV/0030] ſolcher Gaben und Gnaden nur eben Liebenswürdigkeit zu nennen, mag Manchem zu kärglich erſcheinen, aber das hat nur der Mißbrauch des Worts verſchuldet; ſpricht man doch ſogar oft, unſinnig genug, von "liebenswürdiger Schwäche", obwohl ſicherlich nur ſtarke Naturen echter Liebenswürdig- keit fähig ſind. Denn in Wahrheit gehört das Wort zu dem Höchſten, was man von einem Menſchen ausſagen kann; wahre Liebenswürdigkeit quillt uns nur bei jenen entgegen, die ſich volle Harmonie ihrer Kräfte und Strebungen er- rungen, ſie iſt nur zum Theil ein Geſchenk der Götter, Sache des Naturells, ein angeborenes Talent, zum größeren Theil ein Product inneren Kampfs und ſeeliſcher Arbeit, der Selbſtklärung. Aus je ſchrofferen Verhältniſſen heraus ſich der Menſch ſolche Harmonie erringt, um ſo höher muß unſere Achtung für ihn ſein. Und nun denke man, wie früh Caroline Reuß, das Mädchen mit der reichen, weichen Seele, dem eckigen harten Gatten angetraut worden, man denke an die engen dörflichen Verhältniſſe in den erſten Tagen ihrer Ehe! Tauſende ähnlicher Frauennaturen haben in gleicher Lage Schwung und Adel der Seele eingebüßt, viele nur deßhalb ſie bewahrt, weil das Muttergefühl läuternd und ſtützend hinzutrat — aber wie wenige haben ihren Schatz ſo gemehrt, wie dieſe Frau! Man ſagt, nur glückliche Menſchen könnten ganz gut ſein — das Beiſpiel Carolinens ſtreitet nicht dagegen, ſie war glücklich, weil ſie ſich nie arm fühlte in dem Gedanken, was ſie entbehrte, ſondern ſtets reich in dem Gedanken, was ihr blieb. Und ihr blieb viel: ſie ſelbſt und die Ausgeglichenheit ihrer Seele, dann der blühende Kinderſegen und die Liebe ihres Gatten. Frei- lich war ſeine Liebe, die, von dem Willen abgeſehen, nach

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/30>, abgerufen am 28.03.2024.